Soziale Medien schaffen eine ganz neue Qualität der Desinformation in Form einer "Informationsverschmutzung auf globaler Ebene". Faktenchecks und das bloße Einstreuen von faktischen Informationen helfen nicht, um die zunehmende "Informationsunordnung" und die "globale Informationsverschmutzung" einzudämmen. Dies sind zwei der Erkenntnisse des soeben veröffentlichten Berichts des Europarates mit dem etwas sperrigen Titel "Information Disorder: Toward an interdisciplinary framework for research and policy making".
Die Autoren des Berichts, Claire Wardle vom Journalismuszentrum First Draft am Shorenstein Center der Harvard Kennnedy School und der iranische Forscher, Schriftsteller und Blogger Hossein Derakhshan, sehen als wesentlichen Aspekt im Kampf gegen Desinformation im Internet die stärkere Beachtung von emotionalen und rituellen Aspekten der Kommunikationsverbreitung. Ihre Annahmen stützen sich dabei auf den US-Theoretiker James Carey, der Kommunikation weniger als Informationsaustausch zwischen zwei Personen, sondern als Instrument, um gemeinsame Glaubensüberzeugungen herzustellen, klassifizierte. Es sei dabei essenziell, einen bestimmten Gegensatz, oder ein gewisses Drama zu erzeugen, also die mit- und gegeneinander kämpfenden Mächte in der Welt abzubilden.
Propaganda und Falschmeldungen
Die Autoren machen drei Felder der "Informationsverschmutzung" aus: Fehlinformation, wenn Unrichtiges weiterverbreitet wird, allerdings ohne den Hintergrund, jemandem Schaden zuzufügen. Desinformation, die bewusst verbreitet wird, um zu schaden. Und als dritte Option die Falschinformation, die eigentlich im privaten Bereich bleiben sollte, aber bewusst öffentlich gemacht wird, um zu schaden. Diese ist derzeit unter dem Begriff "Fake-News" in Umlauf. Die Studienautoren verzichten bewusst auf den Begriff "Fake-News", da dies nur einen Mode- oder Sammelbegriff für die "globale Informationsverschmutzung" darstellt und derzeit in manchen Kreisen als Begriff missbraucht wird, um Informationen, die unliebsam sind, zu diskreditieren. Außerdem gibt es mit Begriffen wie Propaganda oder auch Lüge bereits Termini, die entsprechende Lügen kennzeichnen, egal ob in der digitalen oder der realen Welt.
Die historische Bedeutung und Wirkungen von Propaganda, erfundenen Geschichten und Gerüchten ist zudem bereits wissenschaftlich gut dokumentiert, so Wardle und Derakhshan weiter. Der Aspekt der sozialen Netzwerke und die neue Dimension und Qualität der "Informationsverschmutzung" ist hingegen noch wesentlich besser zu erforschen. Ein "komplexes Netz aus Motivationen", um solche "schmutzigen" Botschaften zu schaffen, zu verbreiten und zu konsumieren, und die neuen technischen Möglichkeiten und Plattformen sorgen für eine "atemlose Geschwindigkeit" des Austauschs.
Wider die Falschinformation
Ein weiterer interessanter Aspekt des Berichts ist die Erkenntnis, dass Initiativen die unter dem Begriff "Faktencheck" laufen und die es etwa bei Fernsehsendern gibt oder auch Zeitungen und Online-Medien, die sich der Qualität und der objektiven Berichterstattung verschrieben haben, als Antwort nicht ausreichen. Es reicht nicht aus, wenn man versucht, einfach nur faktische Information nachzuschießen und auf die Falschinformation hinzuweisen. Dies ist lediglich "eine potenzielle Verschwendung von Zeit und Ressourcen, wenn dabei nicht die emotionalen und rituellen Kommunikationselemente ausreichend verstanden werden".
Ein wesentlicher "Erfolgsfaktor" von Falschinformation sind Emotionen. Die Verfasser der Studie kommen zu dem Ergebnis, dass jene Meldungen dann besonders erfolgreich sind, wenn sie "mit den Emotionen der Leute spielen und Gefühle wie Überlegenheit, Ärger oder Angst hervorrufen". Denn diese Faktoren sorgen dafür, dass Nutzer sozialer Netzwerke Inhalte untereinander verstärkt teilen, um sich mit ihren Online-Gemeinschaften in Form moderner "Stämme" zu verbinden. Öffentliche Likes, Kommentare und Postings schaffen eine Verbundenheit. Eine Gemeinschaft oder auch eine Echo-Kammer und Filterblase, die eigene Meinungen verstärkt und in der Gesamtheit dann zu richtigen Inhalten verklärt.
Wardle und Derakhshan liefern acht wesentliche Punkte im Umgang mit diesen Phänomenen ab: Es muss zu allererst kritisch überdacht werden, welche Definitionen, daher welche Sprache genutzt wird. Die Auswirkungen auf die Demokratie, die Rolle des Fernsehens und die Schwächung von lokalen Medien müssen genauer untersucht und beachtet werden. Diese Betrachtungen müssen zudem bis auf eine Mikro-Ebene gehen und demographische Aspekte beinhalten. Neue Technologien wie Bots könnten in Zukunft verstärkt genutzt werden, um Online-Petitionen und direkte Demokratie zu beeinflussen. Die Rolle von Filterblasen und Echokammern auf demokratische Prozesse und Meinungen ist zu hinterfragen und zu überprüfen. Und zu guter Letzt muss man jene Gruppen gezielter ansprechen, die keine Möglichkeit zum Zugang zu unbeeinflusster Meinung hat und somit nicht zwischen Fakt und Fiktion unterscheiden kann.
Die Schlussfolgerung der Autoren in ihrem Bericht lautet daher: "Wir müssen Gerüchte und Verschwörungen mit ansprechenden und mächtigen Erzählungen bekämpfen, die sich derselben Techniken bedienen wie Desinformation." Es sollte also etwa darum gehen, emotionale Antworten mit starken visuellen Aspekten zu finden und diese mehrfach zu wiederholen. Filterblasen können nicht zum Platzen gebracht werden, wenn man die tägliche Informationsaufnahme der Internetgemeinschaft nur mit gegenläufigen und meist sehr trockenen Nachrichten anreichert. Es gelte daher immer auch die "hidden Agenda", also die versteckten Beweggründe, der Einzelpersonen zu analysieren.