Seit Jahren tauchte sein Name verlässlich im unteren Drittel der Favoritenlisten für den Literatur-Nobelpreis auf, mit diesem Ergebnis hätten wohl wenige gerechnet - außer vielleicht dem Geehrten selbst, der bekannte bereits 1988: "Es ist bei mir wie bei Kafka. Schreibe ich etwas hin, schon ist es vollkommen." Der Kärntner Schriftsteller Peter Handke, 76, erhält den Literatur-Nobelpreis 2019, die bedeutendste Auszeichnung, die einem Autor zuteilwerden kann.
Handkes Rang als Größe der Gegenwartsliteratur ist unbestritten. Dennoch gibt es wohl kaum einen anderen Autor, dessen Person und Werk, dessen politische Einsichten und Ansichten so polarisiert haben wie jene Handkes. Entweder ergreift man Partei für ihn - oder gegen ihn; verteidigt ihn blindlings und rückhaltlos - oder hat in dem Mann mit der markanten Frisur eine verlässliche Reizfigur gewonnen. Entweder man begibt sich mit Handkes Büchern auf verschlungene Selbst- und Weltbefragung, verliert sich freudvoll in seinen mäandernden Sätzen - oder man kann wenig bis gar nichts mit dem heiligen Ernst dieser Prosa, den ausufernden Naturbetrachtungen, der gedrechselten Beschwörung des Alltags anfangen. Handke, Genie und Spaltpilz.
"Lesen Sie gefälligst!"
Seinen Ruf als Rappelkopf hat er sich redlich erworben. Bereits sein erster Auftritt in der Welt der Literatur begann mit einer Attacke: Im Jahr 1966 kritisierte er die arrivierten Literaten der Gruppe 47 und hielt in Princeton eine Schimpftirade, in der er die "Beschreibungsimpotenz" der versammelten Altherrenautoren beklagte.
Im selben Jahr brachte Claus Peymann Handkes Sprechstück "Publikumsbeschimpfung" heraus: Die Uraufführung geriet zur Theatersensation und verhalf dem Jungautor zum Durchbruch. Geradezu planmäßig erregten in Folge seine Theaterarbeiten das Publikum; Handke avancierte zum Dramatiker der Stunde, zum Popstar der Literatur. 1981 landete er mit dem dramatischen Gedicht "Über die Dörfer" bei den Salzburger Festspielen einen veritablen Flop. Es folgte eine mehrjährige Bühnenabstinenz des Autors, die erst durch Claus Peymanns Uraufführung von "Das Spiel vom Fragen" im Jahr 1990 gebrochen wurde; drei weitere Handke-Arbeiten am Burgtheater folgten; die Theater-Zusammenarbeit von Peymann und Handke ging auch nach dem Wechsel des Intendanten ans Berliner Ensemble nahtlos weiter. 2003 war dort mit "Untertagblues" erneut ein Wut-Monolog à la Handke zu sehen.
2011 kam das Stück "Immer noch Sturm" heraus, eines von Handkes persönlichsten Dramen. Darin begibt sich der Autor auf die Suche nach seinen Vorfahren, slowenische Kleinbauern in Kärnten, und verkoppelt die Familienerkundung mit der Geschichte der Partisanenbewegung. Mit diesem Thema betrat Handke politisch heikles Terrain: Von den Partisanen profitierte seinerzeit das Land, nach Kriegsende war ihr verlustreicher Kampf ein gewichtiges Argument für die Alliierten, Österreich seine Souveränität zu gewähren. Bis heute gibt es dafür keine offizielle Würdigung. Vielen Kritikern galt "Immer noch Sturm" als Handkes "wichtigstes und bestes Stück". Immer wenn sich Peter Handke seiner Familie literarisch näherte, ist das Ergebnis außergewöhnlich. In "Wunschloses Unglück" setzte er seiner Mutter nach deren Selbstmord ein literarisches Denkmal; in "Kindergeschichte" (1981) gewährte er unerschrockene Einblicke in den bittersüßen Alltag mit seiner Tochter Amina. Pflichtlektüren für jeden Vater.
1996 veröffentlichte Handke den Reisebericht "Eine winterliche Reise zu den Flüssen, Donau, Save, Morawa und Drina"; seine proserbische Haltung am Höhepunkt des Balkankonflikts erregte weltweites Aufsehen. Weit über die literarische Welt hinaus wurde er als "Serbenfreund" geschmäht; mit spitzzüngigen Interviews feuerte er die Skandalisierungsversuche weiter an. Die Causa Handke geriet zum Politikum. Noch einmal flackerte die Kontroverse auf, als der Schriftsteller bei der Beerdigung von Slobodan Miloević eine Grabrede hielt.
Eigenwillig durchpflügt Peter Handke seit jeher die literarische Welt. Er hat zahllose Werke übersetzt und hob gern die Vergessenen und Verkannten in den Himmel, etwa den Vorarlberger Bauerndichter Franz Michael Felder; die anerkannten Meister des Literaturbetriebs (Brecht, Schiller, Musil) stempelte er lustvoll ab.
Bereits zu Lebzeiten erscheint bei Suhrkamp eine Handke-Gesamtausgabe, eine seltene Ehre. Die Handke-Bibliothek umfasst 14 Bände, vereint Prosa, Gedichte, Theaterstücke, Aufsätze und Journale. Auf mehr als 11.000 Seiten wird, mit einem ganz eigenen Blick auf die Welt, Blatt für Blatt der Aufstand gegen die sogenannte Wirklichkeit geprobt. Eine poetische Handreichung zur Welterkundung. "Lesen Sie gefälligst", forderte Handke einst in einem seiner seltenen Interviews. Gern.