Man kann es natürlich so sportlich nehmen wie Jamie Foxx, der seinem Kollegen Will Smith frei übersetzt nahelegte: "Alter, spiel’ halt besser, dann wirst du auch für einen Oscar nominiert". Man mag Smiths Boykott der Oscar-Verleihung, bei der heuer kein einziger Afro-Amerikaner - also auch Will Smith nicht - in den wichtigen Kategorien Schauspiel, Regie und Drehbuch nominiert wurde, wehleidig finden. Aber wegwischen lässt sich das Thema damit nicht. Man kann so umstrittene Antworten darauf finden wie Charlotte Rampling, die meinte, die Boykott-Kampagne sei "rassistisch gegenüber weißen Schauspielern". Oder man kann die Sache ein bisschen differenzierter angehen, wie Helen Mirren, die die Oscar-vergebende Academy verteidigt hat: "Welche Filme werden gedreht, wie werden sie besetzt, welche Drehbücher werden geschrieben? Diese Dinge haben mehr Einfluss, als die Frage, wer am Ende einen Oscar in der Hand hält".

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Ein kurzer Blick auf die acht als beste Filme nominierten Produktionen lässt schon erahnen, dass mehr hinter der Bredouille der einstigen Traumfabrik stecken muss. Nur ein einziger der acht Filme ("Mad Max: Fury Road") hat ein Drehbuch, das nicht auf einer historischen Begebenheit oder einem bereits existierenden Roman basiert. Es ist naturgemäß schwierig (und lächerlich), historische oder literarisch bekannte Figuren einfach buchstäblich "umzufärben" - wenn man eine ganz neue Idee verwirklicht, sollte es aber eigentlich für die Geschichte unerheblich sein, ob eine Rolle, die das Publikum ohnehin neu kennenlernt, von einem Weißen oder einem Afroamerikaner gespielt wird. Oder einer Frau, wenn wir schon dabei sind.

Keine zehn Prozent

Ist also die Ideenlosigkeit der US-Filmindustrie, die unserer schnell und billig zu befriedigenden Unterhaltungssucht geschuldet ist, die Wurzel des Übels? Oder anders gefragt: Hat die Oscar-Academy vielleicht gar nicht besonders rassistisch ausgewählt, sondern bildet die Nominiertenliste das Produktionsgeschehen einfach nur in aller Traurigkeit ab? Ein ausführlicher Blick in die US-Filmproduktionen des vergangenen Jahres lässt eher auf letzteres schließen.

Eine Auswertung der "Wiener Zeitung" der 100 Filme mit dem besten Einspielergebnis des Jahres 2015 zeichnet zwar kein ganz so düsteres Bild der Kreativität in Hollywood. Aber doch basieren weniger als die Hälfte der 100 - nämlich 43 - auf originalen Ideen, sind also weder eine biografische oder historische Erzählung, eine Buchverfilmung, eine Fortsetzung, ein Remake oder Ähnliches. Von diesen 43 Filmen wiederum, in denen den Autoren und Regisseuren also weitgehend freigestanden wäre, auch Schwarze und Frauen für eine Hauptrolle zu besetzen, zeigen 13 eine Frau als handlungstragende Protagonistin und bei lediglich sechs steht ein Schwarzer im Mittelpunkt (davon einmal eine schwarze Frau - selbstverständlich im Sex-Triangel). Dieser Film ("The Perfect Guy") ist übrigens von jenen 43 Originalidee-Filmen der einzige, den ein afroamerikanischer Drehbuchautor geschrieben hat.

Aber manchmal kommt die Vielfalt, die es zwar im Drehbuch gäbe, im Film gar nicht an: Immer noch tappt man beim Casting gerne in alte Fallen des sogenannten "Whitewashings". So wurde für den Film "Aloha" die so gar nicht asiatische Emma Stone als Halbasiatin besetzt - weil sie nun mal mutmaßlich mehr Publikum anzieht, als eine unbekanntere Schauspielerin der entsprechenden korrekten Ethnie. Tumult verursachte auch die Bibelverfilmung "Exodus: Gods and Kings", den Ägypter Ramses fand man vom weißen Australier Joel Edgerton gar blass verkörpert.

Lediglich vier der 100 untersuchten Filmen haben afroamerikanische Regisseure inszeniert. Das ist so frappant wenig, dass man mehr als versucht ist, hier ein strukturelles Problem in Hollywood zu orten. Oder, polemischer gesagt: Es ist irgendwie kaum vorstellbar, dass nicht zumindest ein paar hirnlose Action-Fortsetzungen auch ein Schwarzer oder sogar eine Frau ganz passabel hingekriegt hätten.

Nischenexistenzen

Apropos Frauen: Es ist wahrscheinlich kein Zufall, dass ausgerechnet vor den heurigen Oscars die Filmbranche so aufgewühlt und streitbar ist. Immerhin war das vergangene Jahr eines, in dem sich auch weibliches Filmpersonal nicht mehr mit bisher Alltäglichem abfinden wollte. Spätestens, als nach einem Hack-Angriff auf Sony bekannt wurde, dass Charlize Theron 10 Millionen Dollar weniger erhalten hat als ihr halb so bekannter (und nicht Oscar-prämierter) Filmpartner, wurde die eklatante Gender Pay Gap diskutiert. Die ungleiche Bezahlung macht es noch unlogischer, warum Frauen in Hollywoodfilmen nur ein klein bisschen weniger unsichtbar sind als Schwarze - wären sie doch eigentlich so viel billiger. Dennoch wurde von den 100 besteinspielenden Filmen nur sieben von Frauen inszeniert. Eine Petitesse bringt die verdrehte Situation gut auf den Punkt: Der Film "Point Break", ein Surfer-Thriller aus den 90ern von einer der renommiertesten US-Filmemacherinnen, Kathryn Bigelow, erfuhr im vergangenen Jahr ein Remake. Regie führte diesmal ein Mann. (Floppte übrigens.)

Apropos Flop: Nun kann man natürlich sagen: Das sind ja nur die 100 Filme mit dem besten Ergebnis, vielleicht ist das einfach das, was das Publikum sehen will - keine Frauen, keine Schwarzen? Ausführliche Stichproben legen aber nahe, dass sich das Bild auf den hinteren Plätzen der US-Box-Office-Liste nicht krass verändert.

Wenn für 100 Filme nur sechs Frauen ohne männliche Hilfe ein Drehbuch geschrieben haben und auch gerade einmal zwei afroamerikanische Drehbuchautoren in dem Testsample auftauchen, ist es wohl nicht ganz vermessen, das als einen Grund dafür zu sehen, dass Schwarze und Frauen Nischenexistenzen in Hollywoodfilmen führen. Aber auch da kann man noch einen Schritt zurückgehen, auf der Suche danach, wo der Hund begraben liegt: Denn es gibt Menschen, die diese Mitarbeiter beauftragen. Und auch diese Direktoren und Manager sind zu 80 Prozent weiße Männer, wie eine neue Studie besagt.

Übrigens ist ein Film, der sich mit afroamerikanischer Kultur beschäftigt, sogar in einer Oscar-Kategorie nominiert: Die Hiphop-Biografie "Straight outta Compton" hat Chancen auf einen Drehbuchpreis. Geschrieben haben dieses Drehbuch - fünf Weiße.