"Als Bundesregierung haben wir das Motto: Hilfe, für alle, die es wirklich brauchen", begann Sozialminister Johannes Rauch (Grüne) die Ankündigung, die sogenannte Aliquotierung bei Pensionen für zwei Jahre aussetzen zu wollen. Davon betroffen sind rund 200.000 Pensionistinnen und Pensionisten, die nun keine gestaffelte Pensionsanpassung mehr bekommen. Stattdessen gibt es die ganze Erhöhung im ersten Jahr nach Pensionsantritt – unabhängig vom Antrittszeitpunkt. "Wir wollen dort hinschauen, wo die Notlagen besonders groß sind", begründete Rauch diesen Schritt. Das Sozialministerium geht von einem Pensionsanstieg zwischen 5,8 und 10,2 Prozent aus, was sich mit zusätzlichen Kosten von rund 150 Millionen Euro für das Jahr 2023 zu Buche schlagen würde.


Die nun ausgesetzte Aliquotierungsregelung führe vor allem bei einer hohen Inflation zu Benachteiligungen für Pensionisten und Pensionistinnen, meinte der Sozialminister. Die erste Pensionserhöhung würde demnach nur aliquot erfolgen: Wer später im Jahr in den Ruhestand geht, sieht seine Pension im darauffolgenden Jahr weniger stark steigen. Wer im Jänner geht, bekommt die Erhöhung zur Gänze, wer im Juni geht, nur mehr die Hälfte. Wer im November und Dezember geht, bekommt gar nichts. "Das mag in Zeiten niedriger Inflation kein großartiges Problem sein (...), in Zeiten hoher Inflation sehr wohl", so Rauch.

Vor allem Frauen benachteiligt

Und die Inflation dürfte hoch bleiben. Für die Berechnung der Pensionsanpassung wird ein Durchrechnungszeitraum von Sommer vergangenen Jahres zu Sommer dieses Jahres hergezogen. Aktuelle Wirtschaftsprognosen gehen von einer neun- bis zehnprozentigen Inflation aus, was zwar zu einer hohen Pensionserhöhung führen würde, aber eben auch die Benachteiligung durch die Aliquotierung befeuert hätte, so Rauch.

Betroffen wären vor allem Frauen, warnten Kritiker schon im Vorfeld. Da die Anhebung des Pensionsalters für Frauen ab 2024 zu einem verspäteten Pensionsantritt führt, würden Frauen in den nächsten zehn Jahren immer in der zweiten Jahreshälfte ihren Ruhestand antreten müssen. Deshalb standen Warnungen vor einer mittelbaren Diskriminierung von Frauen im Raum, die SPÖ kündigte eine Klage vor dem Verfassungsgerichtshof an, sollte die Regierung hier keine Schritte setzen. Die grüne Senioren-Sprecherin Bedrana Ribo begrüßte den Schritt der Regierung ausdrücklich mit dem Verweis auf die negativen Auswirkungen für Frauen.

Schon 2022 wurde die Pensionsanpassung entschärft, Neupensionisten bekamen vergangenes Jahr mindestens die halbe Pensionserhöhung. "Auch ein Signal, die Auswirkungen der Inflation abzumildern", sagte Rauch bei der Pressekonferenz.

Interessensvertreter zufrieden, Neos verorten "Pfusch"

Am Rande gab es an der Aliquotierung als Ganzes noch leise Kritik. Für Rauch sei die Regelung, die von Türkis-Grün eingeführt worden ist, auch "ein Anreiz dafür, früher in Pension zu gehen", da Menschen sonst Abschläge ihrer Pension in Kauf nehmen müssten. Ein Ziel der Regierung ist es, Menschen länger im Arbeitsleben zu halten. Die Neos kritisieren die Idee der Aliquotierung aus denselben Gründen: Wer früher in Pension gehe, würde dadurch mehr bekommen, das sei "völlig verrückt und ungerecht", sagte die Partei schon in der Vergangenheit. Und auch von dem jetzigen Schritt halten die Neos wenig. Sozialsprecher Gerald Loacker spricht von einem "Pfusch bei den Pensionen" und fordert "ein System wie vor 2018, bei dem jeder zusätzliche Arbeitsmonat zu einer höheren Pension geführt hat."

Abgesehen davon gab es von der Tribüne weitestgehend Zustimmung: SPÖ-Bundesparteichefin Pamela Rendi-Wagner sieht den Aliquotierungsstopp auch als SPÖ-Erfolg. Der Schritt komme nach "massivem Druck der SPÖ und der Gewerkschaft". Und: "Damit werden 200.000 Menschen vor dem Pensionsraub bewahrt." In weiterer Folge fordert Rendi-Wagner wegen der Benachteiligung von Frauen ein generelles Aliquotierungsaus.

Die Präsidentin des ÖVP-Seniorenbundes Ingrid Korosec ist auf SPÖ-Linie und fordert ebenfalls eine dauerhafte Abschaffung. "Langfristig muss das Ziel aber die dauerhafte Abschaffung der Aliquotierung sein", so Korosec, die sich, genauso wie der Präsident des SPÖ-nahen Pensionistenverbandes Peter Kostelka, für eine rückwirkende Aufhebung ausspricht. Gleichzeitig fordern sie eine vorgezogene Pensionsanpassung im Juli 2023 um fünf Prozent.

Historischer Zankapfel Pensionserhöhungen

Die Geschichte Österreichs mit dem Umgang bei Pensionserhöhungen ist eine des Hin und Hers. Früher gab es vor allem Stichtage und Wartefristen: Ursprünglich eingeführt unter der schwarz-blauen Regierung von Wolfgang Schüssel (ÖVP) wurde eine Wartefrist auf die erste Pensionserhöhung 2008 unter Alfred Gusenbauer drei Tage vor der Nationalratswahl wieder abgeschafft. Nach einer Neuausrichtung des Standpunktes war die SPÖ aber dann doch für die kostensparende Wartefrist. Bundeskanzler Werner Faymann (SPÖ) führte sie 2011 deshalb wieder ein. Mit dem Ergebnis, dass Pensionisten im schlimmsten Fall bis zu 23 Monate auf ihre erste Erhöhung warten mussten. Im freien Spiel der Kräfte unter der Beamtenregierung wurde die Wartefrist erneut ausgesetzt, bevor Türkis-Grün zu Beginn des Vorjahres erstmals die Aliquotierung der Pensionen einführte.