Immer mehr Österreicher sind mit der Frage konfrontiert, wie sie die Pflege von Angehörigen organisieren sollen. "Der Pflegenotstand ist Realität", sagte am Dienstagnachmittag der neue Sozialminster Rudi Anschober (Grüne) bei der Übernahme des Ressorts von Brigitte Zarfl, bisher Ministerin im Beamtenkabinett, die nun wieder die Präsidialsektion im Sozialministerium leiten wird. Die Pflege sei die größte Herausforderung, erklärte Anschober. Schon in einem der nächsten Ministerräte wird Türkis-Grün erste Maßnahmen im Pflegesektor beschließen.

In ihrem Regierungspakt lassen ÖVP und Grüne zwar mit der Ankündigung einer Pflegeversicherung aufhorchen. Allerdings wird es sich dabei nicht um eine klassische eigene Versicherung wie etwa in Deutschland handeln, das hat ÖVP-Obmann Sebastian Kurz bereits in der Vorwoche deutlich gemacht. Vielmehr soll die frühere Idee der Volkspartei aufgegriffen werden, dass die Pflegeversicherung als eigener Zweig der Unfallversicherung eingerichtet wird, freilich ohne eigene Beiträge wie im Fall einer Versicherung. Das wurde der "Wiener Zeitung" von verlässlicher Quelle in der ÖVP bestätigt. Im Koalitionspakt selbst ist das im Pflegekapitel nicht näher ausgeführt. Dort ist lediglich von einer Bündelung der Finanzierung in Absprache mit den Bundesländern die Rede.
Vonseiten der Arbeiterkammer wird diese Vorgangsweise kritisiert. "Das ist halt eine Türschildänderung", urteilt Silvia Rosoli, AK-Expertin für Pflege, im Gespräch mit der "Wiener Zeitung". Die Abwicklung, die derzeit von der Pensionsversicherungsanstalt erledigt werde, werde künftig zur Allgemeinen Unfallversicherungsanstalt (AUVA) verlagert. "Es geht nur um die Terminologie, um die Leute zu beruhigen", meint Rosoli. Es handle sich bei den türkis-grünen Plänen um eine vermeintliche Versicherung, die im Wesentlichen mit Steuermitteln finanziert werde. "Pflegeversicherung erweckt einen falschen Eindruck", erklärt die AK-Pflegeexpertin.
Keine höheren Beiträge, um die Wirtschaft nicht zu belasten
Sie verweist außerdem darauf, dass die Wirtschaftskammer gegen eine Erhöhung der Beiträge und damit der Lohnnebenkosten sei. "Da passt kein Blatt zwischen uns", betont Rosoli. Auch in der Volkspartei wird auf die Aussagen von Obmann Kurz hingewiesen. Eine höhere Belastung durch Beiträge oder höhere Lohnnebenkosten für die Finanzierung der Pflege ist demnach auch von ÖVP-Seite nicht geplant.
Vielmehr sollen die Ausgaben für die Pflege weiterhin großteils aus Steuereinnahmen finanziert werden. Derzeit werden jährlich rund fünf Milliarden Euro aufgebracht, darunter allein rund zwei Milliarden Euro für das Pflegegeld, das zu Beginn des neuen Jahres um einheitlich 1,8 Prozent in allen sieben Stufen des Pflegegeldes angehoben wurde. Rund 460.000 Menschen erhalten Pflegegeld. Es werde jedenfalls keine Mehrkosten durch Beiträge für die Pflegefinanzierung geben, wird in der Volkspartei bekräftigt. Zusätzlich wolle man jedoch Mittel, die in der AUVA durch die rückläufige Zahl an Arbeitsunfällen frei werden, künftig für die Pflege nützen. "Wir glauben, dass eine Reihe von Mitteln frei werden", heißt es in der Volkspartei.