Die türkis-grüne Bundesregierung hat zwar als einer der ersten konkreten Maßnahmen eine Personaloffensive im Pflegebereich angekündigt und eingeleitet. Den gut 100.000 Beschäftigten Pflegekräften und weiteren Beschäftigten bei diversen Sozialorganisationen reicht das allein allerdings keineswegs. Sie verleihen seit Montag dieser Woche mit gewerkschaftlichen Kampfmaßnahmen in Form von Betriebsversammlungen ihrer Forderung für die laufenden Kollektivvertragsvertragsverhandlungen in der Sozialwirtschaft Nachdruck. Die einzige Forderung lautet: Einführung der 35-Stunden-Woche. "Von der 27. Imagekampagne für Pflegeberufe hat keiner etwas", sagt Michaela Guglberger von der Dienstleistungsgewerkschaft Vida bewusst pointiert auch in Richtung der Koalition von ÖVP und Grünen.
Am heutigen Dienstag findet eine neue Verhandlungsrunde für die Bediensteten der Caritas statt, die getrennt von anderen Sozialorganisationen geführt werden. Für Mittwoch kommender Woche ist dann der vierte Verhandlungstermin für die Sozialwirtschaft angesetzt. Schon vor einem Jahr hat es im Zuge der Lohnrunde Demonstrationen gegeben. Die Gewerkschaften Vida und jene der Privatangestellten (GPA-DJP) verhandeln auf Arbeitnehmerseite gemeinsam und sind Anfang Dezember außergewöhnlicher Weise mit einer einzigen Forderungen in die Verhandlungen gegangen, nämlich Verkürzung der Arbeitszeit auf 35 Stunden pro Woche (die "Wiener Zeitung" berichtete Anfang Dezember des Vorjahres). Verhandlungsführer auf Arbeitgeberseite in der Sozialwirtschaft ist Walter Marschitz. Dieser hat zwar bei Verhandlungsbeginn grundsätzlich Verständnis für Forderungen die in Summe mehr als 100.000 Beschäftigten signalisiert, aber aus Kostengründen deutlich ablehnend auf eine 35-Stunden-Woche reagiert.
"Einzigartige Forderungen erfordern einzigartige Maßnahmen", erklärt Gewerkschafterin Guglberger zu der Premiere, dass es heuer keinen Wunsch nach einer Erhöhung der Löhne gibt, sondern nur die jene nach der 35-Stunden-Woche. In der Branche sind 70 Prozent der Mitarbeiter als Teilzeitkräfte tätig, großteils Frauen. Besonders hoch ist der Anteil der Teilzeitbeschäftigten bei den mobilen Diensten bei den Sozialorganisationen. "Uns ist schon bewusst, dass die Forderung bei Teilzeitbeschäftigten eine Lohnerhöhung von 8,6 Prozent bedeutet", erläutert die Vida-Arbeitnehmervertreterin. Im Durchschnitt sind Mitarbeiterinnen in der Sozialwirtschaft rund 30 Stunden pro Woche beschäftigt. "Aber es geht darum, die Branche attraktiver zu machen", ergänzt Guglberger: "Ich sehe die 35-Stunden-Woche als einen wichtigen Schritt dorthin."
Viele junge Mitarbeiter wechseln in andere Berufe
Die Bundesregierung mit Sozial- und Gesundheitsminister Rudi Anschober (Grüne) hat erst in der Vorwoche im Ministerrat einen Schulversuch mit einer Pflegeausbildung bis zur Matura ab September dieses Jahres für rund 150 Schüler beschlossen. Anschober hat bei dieser Gelegenheit und auch bei seinen Antrittsinterviews besonders hervorgehoben, dass er imaginär seinen Hut vor den Leistungen der Pflegeberufe zieht. Laut einer Studie im Auftrag des Sozialministeriums droht bis zum Jahr 2030 eine Lücke von 75.000 Pflegekräften. Dafür gibt es vor allem zwei Gründen: viele Jüngere wechseln bald nach der Pflegeausbildung rasch in andere Berufe und eine stattliche Anzahl an älteren Pflegekräften geht in den kommenden Jahren selbst in Pension, genau zu jenem Zeitpunkt, zu dem die Babyboomer-Generation selbst in Pension geht und in der Folge vermehrt betreuungs- und pflegebedürftig wird.
In einem sind sich Arbeitgeber- und Arbeitnehmervertreter in der Sozialwirtschaft einig. Das Hauptproblem ist die schwierige finanzielle Situation. Viele Sozialorganisationen und -vereine sind direkt von der Finanzierung durch die öffentliche Hand abhängig. Diese hat die Bremse angezogen, damit die Kosten im Pflegebereich nicht noch stärker steigen, als dies in den vergangenen Jahren ohnehin bereits der Fall war. Eine Arbeitsgruppe aus Vertretern von Bund und Ländern soll in einer Arbeitsgruppe für die türkis-grüne Bundesregierung eine Finanzierungslösung finden und die diversen Finanzierungströme bündeln.