Das Thema interessiert ganz offenkundig viele. Die Meldung, dass Niederösterreich am Montag 250 Pflegerinnen aus Rumänien und Bulgarien einfliegen lässt, um einem Zusammenbrechen der 24-Stunden-Betreuung daheim, die großteils von ausländischen Pflegekräften aufrecht erhaltren wird, vorzubeugen, war am Samstag die meistgelesene Geschichte in der Online-Ausgabe der "Wiener Zeitung".
Verwunderlich ist das nicht wirklich. Angesichts der Corona-Krise und teils gesperrter Grenzen in Richtung Osteuropa steht das Außenministerium seit einiger Zeit in Kontakt mit Nachbarstaaten. Sozialminister Rudi Anschober (Grüne) hat vorsorglich erst vor kurzem vor möglicherweise drohenden Engpässen bei der Pflege gewarnt. Gleichzeitig lässt die Bundesregierung aber nicht an der Kürzung der Familienbeihilfe für Kinder im Ausland rütteln, die auch die Pflegerinnen im Ausland trifft. "Das Thema Indexierung ist derzeit überhaupt kein Thema", wurde der "Wiener Zeitung" im Büro von Familien- und Arbeitsministerin Christine Aschbacher (ÖVP) erklärt.
Statt 114 Millionen Euro nur 64 Millionen eingespart
Dabei zeigen die Daten für 2019, dem ersten Jahr, seit dem die Indexierung der Familienbeihilfe für Beschäftigte gilt, deren Kinder weiter in der Heimat leben, dass die von der damaligen ÖVP-FPÖ-Bundesregierung den Österreichern in Aussicht gestellten Einsparungen nicht einmal annährend erreicht wurden. Bei der Einführung wurde das Sparziel von der damaligen Familienministerin Juliane Bogner-Strauß (ÖVP) mit 114 Millionen Euro beziffert. Das wäre knapp die Hälfte bis ein Drittel der Summe, die Österreich insgesamt pro Jahr bis 2018 für Kinder im Ausland aufgewendet hat.
Die Neuregelung, die Kürzungen für Kinder etwa in Ungarn, der Slowakei, besonders aber in Rumänien und Bulgarien bringt, wurde damit begründet, dass die Höhe der Beihilfe der Kaufkraft im jeweiligen Heimatland entspreche. Tatsächlich lagen die Einsparungen laut Familienministerium 2019 insgesamt bei rund 64 Millionen Euro, also um 50 Millionen Euro unter der erwarteten Sparsumme. Die höheren Auszahlungen für Kinder in Ländern wie der Schweiz haben Mehrkosten von rund 150.000 Euro verursacht.
Obwohl Österreich jetzt generell dringend Pflegekräfte sucht, um die Pflege von hilfsbedürftigen Menschen generell und vor allem auch die Aufrechterhaltung der 24-Stunden-Pflege sicherzustellen, denkt die Bundesregierung unter ÖVP-Führung nicht daran, dies für ausländische Pflegerinnen durch eine Aufhebung der Kürzung der Familienbeihilfe attraktiver zu machen. "Das Problem ist ja nicht der finanzielle Anreiz", wird im Familienministerium betont. Denn es gebe trotz der Kürzungen durch die Anfang 2019 erfolgte Änderung eine gleichbleibende Zahl an Überweisungen von Familienbeihilfen ins Ausland. Deren Zahl liegt bei rund 137.000. Es sei nicht zu einem Rückgang gekommen, wie von manchen befürchtet worden sei.
Anschober will erst nach der Krise reden
Vom Koalitionspartner, den Grünen, die mit dieser Regelung der Familienbeihilfe ins Ausland, keine Freude haben, kommt gegen diese Linie der ÖVP derzeit kein Widerstand. Die türkis-grüne Bundesregierung hat zwar in der abgelaufenen Woche ein Hilfspaket mit in Summe 100 Millionen Euro festgelegt, um durch Alternativen Engpässe bei der Pflege zu verhindern. Sozialminister Anschober legt aber trotz seiner Warnung vor einer drohenden Verschärfung der Situation im Pflegebereich in Sachen Familienbeihilfe vorerst die Hände in den Schoß. Zwei Nachfragen der "Wiener Zeitung" zu diesem Thema blieben in seinem Ressort den ganzen Samstag über unbeantwortet. Dafür hat er via "Kronen Zeitung" (Sonntagsausgabe) seine Position mitgeteilt: "Meine Meinung dazu können Sie sich vorstellen. Wir werden uns das in der Regierung ansehen – allerdings nach der Krise." Diese Aussage wurde am Sonntag schließlich gegenüber der "Wiener Zeitung" wiederholt. Das grüne Regierungsmitglied möchte offenbar angesichts der Probleme bei der Bewältigung der Corona-Erkrankungen nicht am Haussegen in der Bundesregierung rütteln.
Allerdings hängt wegen der Kürzungen der Familienbeihilfe bei ausländischen Arbeitnehmern in Österreich, deren Kinder in der Heimat leben, ein Damoklesschwert über Österreich. Auf europäische Ebene wurde ein Verfahren eingeleitet. Die ÖVP-geführte Regierung sieht ihre Position für eine Kürzung der Familienbeihilfen von Expertenseite gut abgesichert. Sollte Österreich allerdings tatsächlich verurteilt werden, drohen Nachzahlungen in mehrfacher Millionenhöhe.
SPÖ macht Druck für Ende der Kürzungen
Von Oppositionsseite wächst der Druck. So hat der Leiter der SPÖ-Fraktion im EU-Parlament, Andreas Schieder, am Sonntag gefordert, die Indexierung der Familienbeihilfe endlich abzuschaffen. Die Corona-Pandemie zeige deutlich, welchen wichtigen Beitrag ausländische Arbeitskräfte in der Pflege leisten: "Wir müssen das endlich anerkennen und respektieren."
8000 Betroffene allein in Niederösterreich
Allein in Niederösterreich werden 8000 Menschen im Rahmen einer 24-Stunden-Betreuung versorgt, österreichweit sind es rund 33.000 Personen. Der Obmann der Personenbetreuer in der niederösterreichischen Wirtschaftskammer, Robert Pozdena, rechnet in 70 Fällen in nächster Zeit mit Betreuungsproblemen. Deswegen haben das Land Niederösterreich und die NÖ-Wirtschaftskammer das Einfliegen der Pflegerinnen aus Rumänien und Bulgarien am Montag organisiert. Das Land trägt die Flugkosten, die Wirtschaftskammer die Kosten für die notwendige 14-tägige Quarantäne, die in Österreich vor der Aufnahme der Pflegetätigkeit notwendig ist.