Die steigende Zahl an hochbetagten Menschen bringt vor allem für Österreichs Kommunen wachsende Herausforderungen. Das betrifft sowohl die Finanzierung des Sozial- und Pflegesektors als auch die Abstimmung bei der Betreuung pflegebedürftiger Menschen mit Bund und Ländern. Gerade dabei hapert es nach Ansicht von Gemeindevertretern in Österreich nach wie vor massiv. Denn sie beklagen besonders Defizite zum Nachteil der Kommunen bei der Einbindung von Gemeinden in eine systematische Information und bei der Koordination bei der Pflege. Das ist eines der zentralen Ergebnisse einer neue Studie des Wirtschaftsforschungsinstituts (Wifo) im Auftrag des privaten Pflegeheimbetreibers SeneCura in Zusammenarbeit mit dem Österreichischen Gemeindebund. Schon in der Vergangenheit hat der Rechnungshof ebenfalls die Aufsplitterung im Pflegebereich kritisiert.
Basis ist die Befragung von 649 Gemeinden, das ist rund ein Drittel aller österreichischen Kommunen. Demnach sehen die Gemeinden vor allem Nachholbedarf bei der Information und Koordination, um speziell einen Ausblick über den künftigen Pflegebedarf der lokalen Bevölkerung zu erhalten. Das setzt sich fort. Denn bemängelt wird auch, dass damit die Grundlage für eine kompetente Information der Bevölkerung über Pflegemöglichkeiten in der näheren Umgebung und die Beratung über Angebote fehlt. Die Gemeindevertreter orten diesbezüglich ein großes Manko. Ihrer Meinung nach könnten regionale Informationsstellen für Pflege Abhilfe schaffen, wie bei der Präsentation der Studienergebnisse durch Wifo-Chef Christoph Badelt, Wifo-Studienleiterin Ulrike Famira-Mühlberger und Gemeindebundpräsident Alfred Riedl am Donnerstag in Wien erläutert wurde.
Koalition will Finanzierung bündeln
Reformen im Pflegebereich sind von der türkis-grünen Bundesregierung schon beim Amtsantritt im Jänner als vorrangiges Thema eingestuft worden. Die alles überschattende Coronaepidemie hat aber ab März die Pflege in den Hintergrund gedrängt. Jetzt haben ÖVP und Grüne erklärt, dass heuer im Herbst ein neuer Anlauf für Änderungen und Verbesserungen bei der Pflege unternommen wird. Eines scheint dabei außer Streit gestellt: es wird keine eigene Pflegeversicherung wie etwa in Deutschland geben, es bleibt bei der Finanzierung der wachsenden Pflegeausgaben über Steuern. Allerdings möchte die Koalition die Finanzierungsströme der Pflege bündeln.
Auf diesen Aspekt macht auch Wifo-Chef Badelt aufmerksam. Derzeit wird das Pflegegeld in sieben Stufen je nach dem Ausmaß der Pflegebedürftigkeit an rund 460.000 Menschen in Österreich vom Bund ausbezahlt. Pflegedienstleistungen werden hingegen vorrangig von Ländern und Gemeinden finanziert. In Summe werden damit jedenfalls rund fünf Milliarden Euro aufgewendet. Teilweise aber ohne wirkliche Steuerung, wie der Sozialexperte und Wirtschaftsforscher feststellt. Das sieht man auch in den Kommunen so, wie die Wifo-Befragung gezeigt hat. 67 Prozent der Gemeinden bemängeln demnach, dass bei der Finanzierung und Organisation nicht ausreichend auf die Bedürfnisse der Gemeinden Rücksicht genommen wird. Das macht den Gemeindevertretern besonderes Kopfzerbrechen, weil gleichzeitig der finanzielle Druck auf die Kommunen im Pflegebereich ständig steigt.
Finanzierung und Personal als brennende Themen
Kein Wunder ist demnach, dass das Thema Finanzierung den Kommunalpolitikern regelrecht unter den Fingernägeln brennt. In Vorarlberg sehen hundert Prozent der befragten Gemeinden die künftige Finanzierung des Pflegesystems als größte Herausforderung an, in Niederösterreich sind es immerhin noch 93 Prozent. Als fast ebenso wichtig wird die Frage des Pflegepersonals angesehen, wo laut einer früheren Wifo-Studie bis 2030 ein Bedarf von rund 75.000 zusätzlichen Pflegekräften bis zum Jahr 2030 besteht. In Niederösterreich halten 91 Prozent der Gemeinden das Thema Pflegepersonal für wichtig oder eher wichtig. Für manche Experten ist der Personalmangel sogar das größere Problem bei der Pflege, weil Nachwuchs nicht so rasch rekrutiert werden kann. In der 24-Stunden-Betreuung daheim, die allerdings insgesamt nur rund fünf Prozent des Pflegebereichs umfasst, ist die Abhängigkeit von Betreuerinnen aus dem Ausland, vor allem aus Rumänien und der Slowakei, besonders ausgeprägt.
Die Konsequenz für Gemeindebundpräsident Riedl aus den zentralen Studienergebnissen ist klar. Der Gemeindebund werde sich in die ab September intensiver beginnenden Beratungen über Änderungen bei der Pflege stärker einbringen. Der auf Bundesebene zuständige Sozialminister Rudi Anschober (Grüne) möchte erste Ergebnisse der Pflegereform noch im heurigen Herbst vorlegen.
Laut der Wifo-Befragung macht es für Bezieher von Pflegedienstleistungen keinen finanziellen Unterschied, ob diese Leistungen von einer privaten, gemeinnützigen Organisation oder von der öffentlichen Hand angeboten werden. Nach ihren Präferenzen bezüglich der Trägerschaft befragt, können sich vor allem jenen Gemeinden, in denen sich bereits jetzt ein privates, stationäres Pflegeheim befindet, ein privates Unternehmen als Träger vorstellen. Das wiederum sieht SeneCura, das derzeit in 57 Gemeinden ein Sozialzentrum betreibt, als Chance und Auftrag zugleich.