Sozialminister Rudolf Anschober (Grüne) hat 40 Millionen Euro extra für ein Pilotprojekt zur Pflege dementer Menschen im Budget 2021 zugestanden erhalten. Laut ÖVP-Klubobmann August Wöginger muss der Schwerpunkt seiner Partei bei der türkis-grünen Pflegereform bei der Unterstützung pflegender Angehöriger liegen.

Mit diesen Botschaften nimmt die Bundesregierung nach einer mehr als halbjährlichen Corona-bedingten Pause die Bemühungen um eine Pflegereform wieder auf. Schon vor der für heute, Dienstag, angesetzten Fachveranstaltung ist klar, wo es Schwachstellen bei der Pflege von fast einer halben Million pflegebedürftiger Menschen gibt. Das reicht von der seit Jahren beklagten Zersplitterung und unterschiedlichen Abgeltung von Pflegeleistungen in den einzelnen Bundesländern bis zur notwendigen Pflegeoffensive.

Insgesamt mehr als fünf Milliarden Euro gibt die öffentliche Hand für die Pflege aus. Den größten Brocken bildet das Pflegegeld, das je nach Grad der Pflegebedürftigkeit vom Bund an rund 460.000 Menschen in Österreich ausbezahlt wird. Allerdings liegen die Kompetenzen für die Hauskranken- und Langzeitpflege in Heimen bei den Bundesländern.

Unterschiedliche Systeme in den Bundesländern

Das führt direkt zu einem der Hauptprobleme für Betroffene, weil die Pflegesysteme in den Bundesländern unterschiedlich sind. Das gilt vor allem auch für die Abgeltung von Pflegeleistungen durch die öffentliche Hand, die je nach Bundesland unterschiedlich hoch ausfällt. Ein paar Kilometer jenseits oder diesseits einer Landesgrenze entscheidet damit, welche Zuzahlung pflegebedürftige Menschen und deren Angehörige für Pflegeangebote und -leistungen bekommen. Es hängt also vom Zufall ab, ob ein Mensch mit ein- und demselben Bedarf an Pflege und Betreuung mehr oder weniger Geld erhält.

In den vergangenen Jahren hat zwar der Bund über einen Pflegefonds weitere Mittel aus dem Budget zu den steigenden Ausgaben der Länder für die Pflege zugeschossen. An dem Fleckerlteppich bei der Leistungsabgeltung hat sich aber nichts geändert.

Auf eine weitere Schwachstelle wurde heuer im Sommer im Zuge einer Studie des Wirtschaftsforschungsinstituts für den Gemeindebund aufmerksam gemacht. Die Information über Pflegeangebote auf regionaler Ebene wird als nicht ausreichend empfunden und müsste daher verbessert und ausgebaut werden.

Zudem verschärft sich das Problem fehlender Pflegekräfte in Österreich. Das liegt vor allem auch an der demografischen Entwicklung. Die Zahl der älteren Menschen nimmt zu – vor allem jene der hochbetagten Menschen, die über 80 oder 85 Jahre alt sind. Der Bedarf an Pflegepersonal konnte ohne Pflegekräfte aus dem Ausland schon bisher nicht mehr gedeckt werden.

Personalbedarf steigt stark an


Das gilt nicht nur für die 24-Stunden-Betreuung, die im Pflegewesen insgesamt nur rund fünf Prozent des Leistungsspektrums abdeckt. Eine Studie vom November 2019, wonach in Österreich 75.000 Vollzeitkräfte (mit Teilzeit sind es 100.000) zusätzlich bis 2030 fehlen, ist auch Richtschnur für die türkis-grüne Bundesregierung und den zuständigen Sozialminister Anschober.

Die Expertin des Wirtschaftsforschungsinstituts (Wifo), Ulrike Famira-Mühlberger, hat zuletzt vor der Illusion gewarnt, dass die Bewältigung des Personalnotstandes ohne ausländische Pflegekräfte möglich sein wird. Welche zusätzlichen Probleme sich in Corona-Zeiten ergeben, hat sich in den vergangenen Monaten bei der Einreise rumänischer Pflegekräfte für die 24-Stunden-Betreuung gezeigt.

Vertreter von Sozial- und Hilfsorganisationen und Fachleute sind sich einig: Die Bewältigung des längst bestehenden akuten Personalmangels ist die größte Herausforderung bei der Pflegereform. Er führt bereits jetzt dazu, dass teilweise Pflegeplätze in ausgebauten Heimen gar nicht belegt werden können.

Zwar hat die türkis-grüne Bundesregierung kleine, erste Schritte in Richtung neuer Wege in der Pflegeausbildung beschritten. Aber nach wie vor besteht ein Hauptproblem darin, dass Pflegekräfte, die jahrelang ausgebildet wurden, wegen der Belastungen durch den Beruf entweder in die Spitäler übersiedeln oder durch einen Berufswechsel für die Pflege überhaupt verloren gehen.

Die Bemühungen, vor allem Frauen später zu einem Wiedereinstieg in einen Pflegeberuf zu animieren oder auch Arbeitslose zu einem Berufsumstieg zu motivieren, haben die Personallücken nicht schließen können. In manchen Bundesländern wird nun versucht, mit zusätzlichen finanziellen Anreizen einen Wechsel in einen Pflegeberuf attraktiver zu gestalten. In Oberösterreich zuletzt etwa für Beschäftigte, die beim Flugzeugzulieferer FACC im Innviertel abgebaut werden.

Finanzierung weiter ungelöst

Der Mangel an Pflegepersonal rührt auch daher, dass in Österreich mehr als 70 Prozent der pflegebedürftigen Menschen zu Hause von Angehörigen, vor allem von Frauen, betreut werden. Der Umstand, dass Frauen selbst berufstätig sind, statt sich daheim um einen Angehörigen zu kümmern, lassen den Bedarf an Personal zusätzlich steigen. Verbesserungen für pflegende Angehörige sind in Aussicht gestellt worden. Vorerst handelt es sich bei den Plänen der ÖVP, dass es für pflegende Angehörige zur Entlastung im Alltag einen pflegefreien Tag geben soll, um Ankündigungen.

Völlig ungelöst ist schließlich auch die Finanzierung. Eines steht nach zehn Monaten Amtszeit der türkis-grünen Regierung immerhin fest: Die Einführung einer eigenen Pflegeversicherung, mit der Teile der ÖVP über Jahre geliebäugelt haben, ist vom Tisch.

Woher das notwendige zusätzliche Geld für die Pflege stattdessen aus dem Budget kommen soll, ist weiterhin offen. Für 2021 ist im Voranschlag von Finanzminister Gernot Blümel (ÖVP) mit Ausnahme des Demenz-Pilotprojekts für eine Pflegereform nichts vorgesehen. Das hängt auch damit zusammen, dass die Pflegereform erst schrittweise ab dem kommenden Jahr umgesetzt wird. Der Vorschlag der SPÖ, von Gewerkschaft und Arbeiterkammer, eine Millionärsabgabe und die Erbschaftssteuer einzuführen, kommt für die ÖVP nicht in Frage.

Die finanzielle Situation hat sich sogar seit Anfang 2018 für den Bund noch verschärft, weil er als Ausgleich für die Abschaffung des Pflegeregresses in den Heimen nun jährlich 200 Millionen zusätzlich an die Länder überweisen muss.
Ohne Einigung mit den Ländern im kommenden Jahr über die künftige Finanzierung wird aber die von Türkis-Grün versprochene Pflegereform nur Stückwerk bleiben.