Fast ein Jahr ist es her, dass die Bundesregierung eine umfassende Pflegereform in Aussicht stellte. Im Mai 2022 traten Gesundheitsminister Johannes Rauch (Grüne), Grüne-Klubobfrau Sigrid Maurer und ÖVP-Klubobmann August Wöginger vor die Medien, um eine "Pflegemilliarde" und rund zwanzig Maßnahmen zur Verbesserung der Versorgung anzukündigen.

Ein Großteil der Ankündigungen ist elf Monate später Realität. Mitarbeiter im Pflegebereich erhielten im Dezember 2022 erstmals einen - vorerst auf zwei Jahre beschränkten - Gehaltsbonus, auch an pflegende Angehörige soll unter gewissen Voraussetzungen im heurigen Juli erstmals ein Bonus ausbezahlt werden. Eine zusätzliche Urlaubswoche für Pflegekräfte ab 43 wurde ebenso beschlossen wie ein Ausbildungszuschuss im Pflegebereich und gewisse Erleichterungen bei der Rot-Weiß-Rot-Karte. Eine Pflegelehre soll versuchsweise im Herbst 2023 starten. Ausständig ist dagegen etwa noch die Ausweitung des Rechtsanspruchs auf Pflegekarenz auf drei Monate.

All das könnten aber nur erste Schritte sein, findet Ingrid Korosec, Präsidentin des ÖVP-Seniorenbundes. Sie vermisse vor allem strukturelle Reformen, meinte sie bei einem Pressegespräch am Donnerstag. Durch die Kompetenzverteilung zwischen Bund und Ländern würden sich Betroffene in einem "Kompetenzendschungel" wiederfinden, Finanzströme seien unübersichtlich, Doppelgleisigkeiten machen das System ineffizient und teuer. Außerdem gebe es gravierende Unterschiede zwischen den Bundesländern: Im Jahr 2019 errechnete der Seniorenbund, dass Betroffene in Niederösterreich mit 451,80 Euro Pflegegeld für Pflegestufe drei 55 Betreuungsstunden durch mobile Pflegedienste finanzieren konnten, im Burgenland dagegen nur 27. Seither sei das Pflegegeld zwar valorisiert worden, an den Verhältnissen zwischen den Bundesländern habe sich aber nichts geändert.

Finanzierung aus einer Hand

Konkret brauche es einheitliche Angebote in allen Ländern, Ansprechpartner für Beratung, Vermittlung und administrative Abwicklung von Pflege sowie einen Digitalisierungsschub. Vorteilhaft wäre laut Korosec auch eine Finanzierung des Pflegesystems aus einer Hand. Eine solche scheint aber nicht in Griffweite, Voraussetzung wären umfassende Verschiebungen der Kompetenzen zwischen Bund und Ländern. Korosec hofft dennoch auf Verbesserungen im Zuge der aktuell laufenden Verhandlungen zum Finanzausgleich. Dieser regelt die Verteilung der Steuermittel zwischen Bund, Ländern und Gemeinden, Pflege wurde dabei als Schwerpunkt definiert.

Auch abgesehen davon fordert die Seniorenbund-Präsidentin ein "Umdenken" beim Thema Pflege. Immer noch werde in Österreich ein großer Teil der Pflegearbeit auf Angehörige abgewälzt, weshalb nicht nur ein massives Plus bei der Förderung der 24-Stunden-Betreuung, sondern auch ein Ausbau der mobilen Pflegedienste notwendig sei. Diese würden dem Steuerzahler auch deutlich billiger kommen als die Unterbringung in Heimen.

Vorbild könne hier Dänemark sein: In den 1980er Jahren stand das Pflegesystem dort kurz vor dem Kollaps, 80 Prozent der Pflegebedürftigen waren in Heimen untergebracht. Heute sei es nur noch jeder Achte, der Fokus liegt auf mobilen Diensten und Unterstützung der Selbstständigkeit. Gleichzeitig sei Pflege in Dänemark in das Gesundheitssystem integriert und vollständig steuerfinanziert. Die Ausgaben für Gesundheit seien dabei aber in Österreich und Dänemark annähernd gleich hoch.(vis)