1970 war eine Zeitenwende in der Gegenkultur: Heroin statt Hasch, RAF statt Hippies, Heavy Metal statt Donovan. Und Janis Joplin starb. Der Traum, dass alles, was man braucht, Liebe sei, war vorbei, doch die Show ging weiter, und musikalisch war dieses Jahr ein durchaus fruchtbares.

1970 - ein Jahr der Zeitenwende. - © Christian Berger
1970 - ein Jahr der Zeitenwende. - © Christian Berger

The Beatles: Let It Be

Selbst als ein von Drogen und Selbstzweifeln derangierter und zutiefst zerstrittener Haufen schafften es die Liverpooler immer noch, mit Songs wie "Let It Be", "Across the Universe" und dem Proto-Grungekracher "Ive Got A Feeling" die Konkurrenz auf die Plätze zu verweisen.

Nie klangen gepflegte Upgefucktheit und Lebensüberdruss auf hohem Niveau schöner. Empfehlenswert als Ergänzung zur regulären Veröffentlichung ist "Let It Be - Naked", die von Phil Spectors Sülz-Streichern entstaubte Version der Platte.

Black Sabbath: Paranoid

Nach dem hypnotisch-gruseligen Debüt legten Tommy Iommi und Ozzy Ozbourne auf diesem Album noch ein paar Kohlen in den satanischen Hochofen und kochten schwerstes Metall, das bis heute die Headbangerszene erfreut.

Nebem dem wild und primitiv dahinrumpelnden Titelsong überzeugen vor allem "War Pigs" und "Iron Man" als klassische Statements des von Bier und Speed befeuerten Proletarier-Hardrocks.

Led Zeppelin: III

Wenn wir schon bei der Metallindustrie sind - die dritte Platte der Teufelsanbeter rund um Jimmy Page und Robert Plant gehört allein schon wegen des unfassbar guten "Immigrant Song" unbedingt auf diese Liste. Wie der mit seinem hart funkigen Schlagzeug, den Rasiermesserriffs der Gitarre und dem Kriegsgeheul des Sängers losdonnert, jagt einem immer wieder kalte Schauer über den Rücken - und man lauscht dabei nichts weniger als der Blaupause für nahezu alles, was Gruppen wie die Red Hot Chili Peppers oder Janes Addicition später einmal machen sollten. Ach ja, der Rest vom Album ist auch noch ganz gut . . .

Crosby, Stills, Nash & Young: Déjà Vu

Dieses letzte große Statement der Gegenkultur der 60er Jahre darf in keiner gut sortierten Platten- oder CD-Sammlung fehlen. Stephen Stills groovt mit dem Latin-inspirierten "Carry On" in die Scheibe hinein; Graham Nash schmeichelt mit dem contryesken "Teach Your Children" dem inneren Truckdriver im Hörer; David Crosby gibt mit "Almost Cut My Hair" den Rebellen - und Neil Young beweist mit "Helpless" und "Country Girl", dass er einer der besten Songwriter seiner Generation war - und immer noch ist.

Grateful Dead: American Beauty

Dass ausgerechnet die für stundenlange Improvisationen und wilde Jams bekannten und geliebten LSD-Superfreaks aus San Francisco die vielleicht schönste Songsammlung des Jahres veröffentlichen würden, war die musikalische Überraschung von 1970.

Vom tief traurigen "Box Of Rain" über den Sunshine-Sound von "Sugar Magnolia" bis zum vertonten Beat-Gedicht "Truckin" ist dies die wohl zugänglichste und auch zeitloseste Platte der "dankbaren Toten". Mit Sicherheit aber ist es ihre bezauberndste.

Syd Barrett: The Madcap Laughs

Obwohl mit der wenig erfreulichen Diagnose "unheilbare Schizophrenie" konfrontiert und von seinen ehemaligen Bandgenossen gefeuert, war der "verrückte Diamant" und Gründer von Pink Floyd 1970 noch nicht ganz abgeschliffen und ausgebrannt. Sein Solodebüt, dem vor dem endgültigen Rückzug ins Private noch eine Platte folgte, macht ihrem Titel alle Ehre. Es ist seltsamer, wirrer und irrer Acid-Folkrock, der von Trips zu Traumdrachen, Oktopussen und der schrecklichen Selbsterkenntnis "Sometimes I feel / Alone and unreal" handelt. Ein echter Underground-Klassiker der Rauschgiftmusik, der immer wieder das überragende kompositorische Genie Barretts durchschimmern lässt. Anspieltipps: "No Good Trying", "No Mans Land", "Octopuss" und die atemberaubend schöne James-Joyce-Vertonung "Golden Hair".

Simon & Garfunkel: Bridge Over Troubled Water

Das letzte gemeinsame Studioalbum der beiden Engelszungen zeigt Paul Simon auf einem frühen Höhepunkt seiner Songwriterkunst. Der Titelsong gehört ohne Übertreibung zum Besten und Schönsten, was die Populärmusik im 20. Jahrhundert hervorgebracht hat, und mit "The Boxer", "El Condor Pasa" und dem von Velvet Underground beinflussten "The Only Living Boy In New York" sind gleich noch drei weitere unzerstörbare Evergreens auf dem Album.

Chapter III: Volume Two

Manfred Manns zweiter Versuch, mit hochkarätigen Musikern seine ganz eigene Vorstellung von Fusion-Sound umzusetzen, war wie die Vorgängerplatte zwar ein kommerzieller Totalflop, gehört aber zum künstlerisch Wertvollsten, was in diesem Jahr veröffentlicht wurde.

Groovige Rockrhythmen treffen auf freejazzige Soli und Klänge aus der modernen E-Musik. Für den gemeinen Pop- und Rockkonsumenten schwer verdaulich, ist die Platte jedoch zum Geheimtipp für die Freunde anspruchsvoller Beschallung geworden. Highlights sind der Opener "Lady Ace" und das 15-minütige "Happy Being Me".

Eric Burdon & War: Eric Burdon Declares War

Zusammen mit einem formi- dablen Ensemble schwarzer Musiker kreierte der britische Blues-Shouter eine unwiderstehliche Mixtur aus Soul, Funk, Blues, Latin und leichten Jazzeinflüssen - und legte damit auch das Fundament für die späteren Welterfolge der hier noch als Begleitband auftretenden "War". Neben dem Charterfolg "Spill The Wine" glänzt das Album mit einer fantastischen Interpretation von Jon D. Loudermilks "Tobacco Road", die - vorangetrieben durch rollende Drums, extatische Percussions, angejazzte Bläsersätze und funkige Gitarrenriffs - der sozialkritischen Botschaft des Songs nachdrückliches Gewicht verleiht.