In Chile putschen die Militärs gegen die Demokratie, die Watergate-Affäre erreicht ihren Höhepunkt, und die arabische Welt dreht dem Westen wegen des Jom-Kippur-Krieges den Ölhahn ab. Die Verstärker bleiben aber eingestöpselt, denn auch im Jahr der Energiekrise wird fleißig gerockt. Wir haben uns die bemerkenswertesten Platten von 1973 noch einmal angehört.

Mit der Gitarre durch die Ölkrise: 1973 war ein durchaus ergiebiges Jahr für die Rockmusik.

- © Cartoon: Christian Berger
Mit der Gitarre durch die Ölkrise: 1973 war ein durchaus ergiebiges Jahr für die Rockmusik.
- © Cartoon: Christian Berger

John Cale: Paris 1919

Nicht weniger als ein dadaistisch gebrochenes Porträt der europäischen Kultur nach dem Ersten Weltkrieg wollte der Mitbegründer von Velvet Underground mit seinem dritten Soloalbum zeichnen, und das ist ihm weitgehend geglückt. Begleitet von kompetenten Studiomusikern und einem Symphonieorchester, hat John Cale einen bezaubernden Kunstliedreigen geschaffen, der als eines der ganz wenigen Werke die Grenzen zwischen E- und U-Musik mühelos verwischt. Kunstvoll komponierte Songs entführen den Hörer in eine Art Traum-Europa der Zwischenkriegszeit - hinter wunderschönen Melodien lauern Gewaltfantasien und Cales Markenzeichen, die Drone-Music, bei der ein gleichbleibender Grundakkord stur alle Wechsel der Melodie begleitet und so einen hypnotisierenden Effekt erzeugt. Mit "Andalucia" ist auf der Platte auch einer der zehn schönsten Songs des 20. Jahrhunderts zu hören.

Lou Reed: Berlin

Würde Depression Töne erzeugen, hörten sich diese wohl so an wie dieses Album. Schonungsloser als hier wurde im Pop selten über Verzweiflung, Drogensucht, Prostitution, Entfremdung und Selbstverletzung gesungen. Reed griff eine ganze Reihe von Songs, die er für Velvet Underground geschrieben hatte, wieder auf, jagte sie durch eine Art Einschwärzungsmaschine und verpasste ihnen Texte voller nackter Hoffnungslosigkeit, die von psychischen Erkrankungen ebenso erzählen wie von der Isolation, unter der die daran Erkrankten leiden. Besonders erschütternd wird diese an verstörenden Momenten nicht gerade arme Platte mit dem Lied "The Kids", das davon handelt, wie das Sozialamt einer Prostituierten die Kinder wegnimmt.

Pink Floyd: The Dark Side Of The Moon

Dass ein Konzeptalbum über Angst, Depression, Tod und Wahnsinn zu einer der am meisten verkauften Platten aller Zeiten wurde, sagt vielleicht mehr über unsere Kultur aus als viele dicke Soziologenwälzer. Roger Waters und seine Crew haben hier dem bedrängten Individuum, das unter den Zumutungen eines immer hektischer werdenden Kapitalismus leidet, ein Denkmal gesetzt.

Inspiriert wurde der Longplayer von der Ehefrau des Keyboarders Rick Wright, die unter schweren Depressionen litt, und natürlich vom ehemaligen Bandleader Syd Barrett, der nach der ersten Platte der Gruppe in den Wahnsinn abgedriftet war. Nie zuvor und nie mehr danach haben Pink Floyd dermaßen eng und partnerschaftlich zusammengearbeitet. Auf "The Dark Side Of The Moon" trug jedes Bandmitglied wesentlich zum unverwechselbaren Sounderlebnis, das die Platte bietet, bei. Die ausgefeilten Songs und die ambitionierten Texte wurden mit einer jahrzehntelangen (!) Chartplatzierung belohnt.

Neil Young: Time

Fades Away

Dieses Livedokument einer von Exzessen und Egotrips gekennzeichneten Tour markiert den Beginn von Youngs "dunkler Trilogie" (mit "On The Beach" und "Tonight’s The Night"). Die Platte muss man allein schon wegen "Last Dance" besitzen - und um zu erleben, wie der grantige Bandleader am Ende ein finsteres Riffgewitter loslässt. Obwohl sich hier vom Titeltrack, einer räudigen Junkie-Hymne, über die autobiografische Ballade "Don’t Be Denied" bis zum grimmigen Rausschmeißer ein toller Song an den nächsten reiht, meint Neil Young bis heute, dies sei seine schlechteste Arbeit und verweigert ein Reissue als CD. Da hat er wohl "Trans", "Everybody’s Rockin’" oder "Life" erfolgreich verdrängt. Dabei ist dieses Livealbum in seiner grandiosen Abgefucktheit ein gelungener Schnappschuss einer aus den Fugen geratenen Rock-’n‘-Roll-Welt, in der die Hippie-Träume zerbrachen.

Manfred Mann’s Earth Band: Solar Fire

Die 1970er Jahre waren die hohe Zeit des Prog-Rock, als Genesis, Yes, Pink Floyd, Van der Graaf Generator, King Crimson und etliche andere versuchten, mitten im Unterhaltungsbusiness einen Kunstanspruch anzumelden. Manchmal waren die Ergebnisse arg peinliche Angebereien von und für Halbgebildete.

Nicht hier. Die Earth Band verzichtet ganz auf die oft lästige Pseudointellektualität des Genres und konzentriert sich voll auf ihre musikalischen Stärken. Eine getragene Version von Bob Dylans "Father Of Day, Father Of Night" eröffnet das Album und zeigt uns eine Band, die mit Mick Rogers über einen der besten Rockgitarristen nicht nur in dieser Ära verfügt.

Darauf folgt der harte Knaller "In The Beginning, Darkness", und bei "Pluto The Dog" bringt uns wohl zum ersten Mal in der Popgeschichte gesampeltes Hundegebell zum Lachen. Der Titelsong rollt wie heiße Lava aus den Boxen, drohend, hypnotisch, heavy. Danach geht es in Instrumentalgefilde, wo die Band erneut beweist, wie mühelos sie Hardrock, Jazz und Jam unter einen Hut bringt.