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Start-ups und die Frage nach dem Wert

Von Victor Purtscher

Recht
Eine zündende Idee allein reicht nicht. Auch eine Unternehmensplanung muss her.
© fotolia.com/peshkova

Gastbeitrag: Eine intensive Befassung mit Geschäftsmodell und Unternehmensplanung ist auch für Start-ups unerlässlich.


Wien. Geht es nach der Regierung, sollen Start-ups künftig leichter an Investitionskapital kommen. Neben direkten staatlichen Förderungen wollen SPÖ und ÖVP durch eine Reihe von Maßnahmen rund eine Milliarde Euro an Investitionen von Banken, Versicherungen und Stiftungen mobilisieren. Konkrete Vorschläge sollen bis zum Sommer erarbeitet werden.

In Österreich sind Firmengründungen nach wie vor stark von Bankenkrediten und weniger von Beteiligungen und Investitionskapital getragen. Die Gründe hierfür sind mannigfaltig. Sollte es aber der Regierung gelingen, eine erhöhte Investitionsbereitschaft zu fördern, so stellt sich für viele Geldgeber die Frage, wie viele Geschäftsanteile sie für ihre Investitionssumme bekommen werden. Gründer müssen sich wiederum darüber Gedanken machen, wie viele Anteile sie abgeben müssen. In diesen Fällen sollten sich beide Seiten eingehend mit dem Wert des Start-ups befassen.

Besonderheiten der Start-ups

"The true value of an enterprise is the present value of future cash flows, always has been, always will be - go figure future cash flows!" Diese Aussage wird Mary Meeker zugeschrieben, ehemalige Managing Director bei der Investmentbank Morgan Stanley. Bemerkenswert ist, dass diese Aussage bereits um die Jahrtausendwende getätigt wurde - mitten in der dot.com Blase - aber seitdem nichts an Aktualität eingebüßt hat. Auch heute bemisst sich der Wert jedes Unternehmens, unter der Prämisse rein finanzieller Zielsetzungen, aus dem Wert der zukünftig den Eigentümern zufließenden Zahlungsströme.

Die Herausforderung bei Start-ups ist die erhöhte Unsicherheit, die mit der Schätzung dieser zukünftigen Cashflows verbunden ist. Sie weisen im Vergleich zu traditionellen Unternehmen zahlreiche Besonderheiten auf: fehlende Historie, hohe Abhängigkeit von der Person des Gründers und Ähnliches.

Eine erste Schätzung

Statt sich der Aufgabe zu stellen und sich eingehend mit diesen Merkmalen und ihrer Abbildung in zukünftigen Cashflows zu befassen, wird oft auf "alternative" Bewertungsverfahren wie Multiplikatorverfahren oder diverse "Praktikerformeln" zurückgegriffen. Ersteren liegt die Annahme zugrunde, dass aus beobachteten Preisen und finanziellen Größen (Umsatz) oder operativen Kennzahlen (etwa Anzahl registrierter User oder Klickraten) eines vergleichbaren Unternehmens ein kausaler Zusammenhang besteht und daraus eine Verhältniszahl gewonnen werden kann. Durch die Übertragung dieser Verhältniszahl auf die finanzielle Größe beziehungsweise operative Kennzahl des zu bewertenden Unternehmens soll sich dann dessen potenzieller Marktpreis ergeben. Die Multiplikatorverfahren sind technisch rasch anwendbar, ersetzen die subjektiven Preisvorstellungen der Beteiligten durch die vermeintliche Objektivität des Marktes und sparen scheinbar Zeit und Kosten. Im Ergebnis liefern sie jedoch allenfalls eine erste, sehr überschlägige Preisschätzung.

Zur Bewertung bedarf es künftiger Cashflows. Deren Schätzung erfordert eine intensive Auseinandersetzung mit dem Unternehmen und seinen Werttreibern. Die anfängliche Schwäche von Start-ups kann somit auch als Stärke genutzt werden - kein Nachteil ohne Vorteil. Die Fokussierung auf die operativen Treiber bedingt eine starke Auseinandersetzung mit dem operativen Geschäftsmodell. Dabei gilt es, sich eingehend mit dem Marktpotenzial und dessen Erschließung, der Preispolitik, der Vertriebsstruktur, den Produktionskapazitäten, den Kosten, der Organisation, der Finanzierung, den Steuern und vielem mehr auseinanderzusetzen.

Die Überleitung des operativen Geschäftsmodells in Planungsrechnungen schafft eine transparente Verbindung zwischen den operativen Treibern und dem Unternehmenswert. Sie zwingt den Gründer zu einer kritischen Auseinandersetzung mit dem wirtschaftlichen Potenzial seiner Idee und ermöglicht dem Investor seine eigene Einschätzung zu den in den Planungsrechnungen dargelegten Annahmen zu treffen. Denn fehlende, mangelhafte oder intransparente Informationen erschweren nicht nur die Bildung der richtigen Erwartungen hinsichtlich der zukünftigen Performance, sie lassen auch kaum entscheidungsrelevante Aussagen zum übernommenen Risiko zu.

Detaillierter Plan als Basis

Gelingt es dem Gründer nicht, transparent die Risiken seines Geschäftsmodells aufzuzeigen, so werden Investoren weniger bereit sein, einen adäquaten Anteil des Risikos zu übernehmen und daher für den erforderlichen Finanzierungsbetrag mehr als den angemessenen Anteil an der Performance verlangen. In der Finanzierungstheorie geht man davon aus, dass das vorhandene Risiko eines Investitionsobjekts nur zwischen den Kapitalgebern aufgeteilt werden kann. Übernimmt ein Investor weniger als seine adäquate Performance-/Risiko-Position, geht dies zwangsläufig zu Lasten der anderen, in der Regel zu Lasten des Gründers.

Detaillierte Unternehmensplanungen, die ihre Zusammenfassung in mehrjährigen Planerfolgsrechnungen und Planbilanzen finden, sollten somit die Basis jeder Verhandlung über Ausmaß von Finanzierung und Unternehmensbeteiligung bilden.

Eine sauber dokumentierte Unternehmensplanung darf jedoch nicht über den Umstand hinwegtäuschen, dass neben dem zumeist optimistischen Blick in die Zukunft durchaus die Gefahr besteht, dass sich die Idee des Gründers nicht wie erhofft entwickelt. Im schlimmsten Fall führt dies nach Jahren des Geldverbrennens zur Insolvenz des Unternehmens. Das Insolvenzrisiko ist naturgemäß höher, wenn sich der Betrieb in seiner frühen Entwicklungsphase befindet und nimmt mit zunehmender Reife ab.

Diesem erhöhten Insolvenzrisiko von Start-ups kann man in der Praxis auf zweierlei Art begegnen: Zum einen mittels willkürlicher Sicherheitszuschläge zum Zinssatz (in dot.com-Zeiten waren hier Zinssätze von 15 bis 30 Prozent beobachtbar). Zum anderen über die Bildung von Insolvenzszenarien. Da Zuschlägen zum Zinssatz sowohl die finanzierungstheoretische Grundlage als auch eine belastbare empirische Basis für ihre Höhe fehlen, wurde in den letzten Jahren zunehmend die Anwendung von Insolvenzszenarien empfohlen.

"Best Case" und "Worst Case"

Dabei wird neben dem "Best Case" der Unternehmensentwicklung gemäß Planung ein "Worst Case"-Szenario gestellt, das beispielsweise für die nächsten drei Jahre negative Zahlungsströme und anschließende Insolvenz ausweist. Für beide Fälle lässt sich ein Unternehmenswert berechnen und anschließend mit einer Eintrittswahrscheinlichkeit gewichten. Der Vorteil dieser Vorgehensweise besteht darin, dass einerseits den Gründern und Investoren auch die Möglichkeit des (Total-)Verlusts vor Augen geführt wird. Andererseits kann bei diesem Verfahren jeder seine eigenen, subjektiven Eintrittswahrscheinlichkeiten anwenden.

Bei der Finanzierung von Start-ups sollte man korrekterweise oftmals besser von "Bepreisung" als von "Bewertung" sprechen. Preise auf realen Märkten bilden sich nicht nur auf Basis von Theorien, sondern in erster Linie auf Basis von Verhandlungen. Die abgegebene Anteilshöhe stellt sich in der Praxis zumeist als Ergebnis von Kapitalbedarf auf der einen Seite und Verhandlungsstärke auf der anderen Seite dar. Verhandlungsvorteile wird dabei derjenige generieren, der über mehr relevante Informationen verfügt, oder der Intransparenz, die regelmäßig als Rechtfertigung für Preisabschläge angeführt wird, reduziert. Eine intensive Befassung mit dem Geschäftsmodell und der Unternehmensplanung ist daher für beide Seiten unerlässlich.

Victor Purtscher ist Partner bei KPMG mit dem Schwerpunkt Advisory, insbesondere in den Bereichen Unternehmensbewertung, Finanzierung und Transaktionsberatung.