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Was hatte Kreisky übersehen?

Von Nikolaus Schwärzler

Recht

Ein kritischer Blick auf die Arbeit des obersten Organs der Verwaltung: die Volksanwaltschaft.


Die Volksanwaltschaft in Österreich ist eine im weltweiten Vergleich herzeigbare und grundsätzlich hervorragende Situation. Bereits in der Ausgabe Nr. 78 vom 20. April dieses Jahres widmete ich diesem Thema einen Beitrag; Womöglich voreilig führte ich es als sehr erwähnenswerten Erfolg an, dass österreichische Ombudsmann-Institutionen (nun in toto zehn an der Zahl) insgesamt 65 Verordnungsprüfungsanträge an den Verfassungsgerichtshof gestellt hatten.

Zur Erinnerung: Unter dem Titel "Volksanwalts- und große Rechtschutznovelle" wurden die hier intervenierenden Rechtsschutzorgane in der Ära der roten Minderheitsregierung 1970 geschaffen. Kreisky hatte ein überaus hohes, fast zu hohes Ziel, den Repräsentanten des Volkes - den Volksanwalt - auch zu einem potenziellen Kontrollor der Regierung als oberstes Organ der Verwaltung zu machen.

Kreisky unterschied damit ganz bewusst zwischen Gesetzgebung und Verwaltung. Gesetze als Produkt der gesetzgebenden Institutionen waren im System des "soft law" (nämlich der Möglichkeit, Empfehlungen gegenüber der Verwaltung auszusprechen) für den Ombudsmann unantastbar. Die Verwaltung hingegen sollte sehr wohl seiner Kontrolle unterliegen, indem ihm die Kompetenz zur Überprüfung von Verordnungen und Bescheiden, also den Entscheidungen der Verwaltungsinstitutionen, zugesprochen wurde.

Die bittere Enttäuschung 1979

Somit sollten sich im Falle eines Konflikts über eine Verordnung - abstrahiert gesehen - Gesetzgebung und Verwaltung über Antrag des jeweiligen Volksanwalts vor dem Verfassungsgerichtshof gegenüberstehen. Zur Kontrolle und Behebung von möglicherweise unterlaufenen Fehlern bei der Formulierung von Verordnungen, die einen Bürger zu Unrecht belasten, sollte eben auch der Ombudsmann oder Volksanwalt durch Antrag an das Höchstgericht ermächtigt sein. Dessen Entscheidungen sind bekanntermaßen nicht weiter anfechtbar und somit endgültig.

Bei zehn bestellten Volksanwälten ist es trotz vergleichbaren Zuständigkeiten nicht einfach, hochzurechnen, wie viele Fälle bei einem Volksanwalt in einem Jahr anfallen dürften. Wird weiter nach Amtsperioden differenziert, so zeigt sich, dass eine der zehn Ombudsinstitutionen, nämlich jene eines Landesvolksanwaltes, im Schnitt jährlich knapp drei Verordnungsprüfungen beim Verfassungsgerichtshof anregte. Es waren dies 36 in zwölf Jahren. In knapp 50 Prozent der Fälle, einer kaum zu wiederholenden Erfolgsdichte, nämlich in 19, schloss sich das Gericht seiner Argumentation an. Glücklich der Bürger, für den der Volksanwalt obsiegt hatte, dankbar jener Bürger, für den der Volksanwalt alles rechtlich zur Verfügung Stehende einsetzte, auch wenn er das gewollte Ziel nicht erreichte.

Einem solchen Verfahren wohnt zweifelsohne immer ein aleatorisches Moment inne. Doch auch wenn der Volksanwalt im Verfahren nicht recht bekommt: Die für und gegen die Entscheidungen sprechenden Überlegungen für den konkreten Fall wurden offengelegt und im Falle einer mündlichen Verhandlung im erforderlichen Umfang erörtert.

Eine überschlägige Hochrechnung auf alle zehn Ombudsinstitutionen (von denen acht in der Bundesvolksanwaltschaft vereint sind) in Österreich in den vergangenen 40 Jahren ihres Bestehens müsste zu einem Ergebnis von rund 400 Causen des Einsatzes für den Bürger führen.

Es sei ein Blick in die Wirklichkeit geworfen: Die Volksanwaltschaft des Bundes weist - nach der dem Sinne nach vielleicht zu Unrecht negativ beurteilten ersten Anfechtung im Jahre 1979 - seither gesamt 27 Fälle ihres Tätigwerdens aus. In ihrer Eigenschaft als Bundesvolksanwaltschaft waren es 15 Fälle in den Jahren 1995 bis 1997, je ein einziger Fall in den Jahren 2003, 2005, 2006 und 2007 und als Landesvolksanwalt von sieben Ländern lediglich acht weitere Fälle, wobei anzumerken ist, dass diese Fälle nicht gleichermaßen auf die vertretenen Bundesländer verteilt sind. Diese Zahlen sprechen für sich selbst. Aus einer geringeren Verordnungsdichte, die zu überprüfen sein könnte, resultiert diese Diskrepanz jedenfalls nicht.

Es wäre jedoch völlig verfehlt, die Arbeit der Volksanwaltschaft in ein nachhaltig schlechtes Licht zu stellen, wenngleich es kaum nachvollziehbare Gründe dafür zu geben scheint, dass die Volksanwaltschaft von ihrer Zuständigkeit der Verordnungsanfechtung nicht deutlich häufigeren Gebrauch machte.

Denkbar wäre, dass eine kaum vorhersehbare Entwicklung den Mut dazu beeinträchtigte. Die Volksanwaltschaft obsiegte im Jahr 1979 und es folgte die bittere Enttäuschung. Die unterliegende Gemeinde schaffte es, mit einer in Folge noch breiter erlassenen Verordnung, den Beschwerde führenden Bürger im Ergebnis schlechterzustellen, als er es zuvor war. Das konnte nur zu Enttäuschung und zu einem neuen Denken der zurückhaltenderen Handhabung des Instruments der Verordnungsprüfung führen.

Gefühlt Gesetzgeber?

Gleichzeitig hätte dies auch zu einem - nicht erwartbaren - Ruf führen müssen, dass eine Schlechterstellung des obsiegenden Beschwerdeführers durch eine diese Sache betreffende Nachfolgeverordnung ausgeschlossen zu bleiben habe. Die Spitze der Juristen, nicht nur der bitter enttäuschten, war gefordert. Der zu erwartende Zusammenschluss der Volksanwälte, angesichts dieser bitteren Erfahrung nicht zu resignieren, unterblieb jedoch.

Man murmelt, dass etwas Wahres an dem Wort sein könnte: "Haust Du meinen, so haue ich Deinen." Jeder Volksanwalt wird von einer Partei vorgeschlagen. Könnte es sein, dass es zur Schonung einer anderen Partei in der Erwartung kommt, dass die eigene Partei eine von Kollegen zu erwartende Schonung erhalten wird?

Dem widerspricht, dass die Antragstellung an den Verfassungsgerichtshof eine Kollegialsache ist, folglich dem Gremium der verschiedenen Parteien angehörenden Volksanwälte vorgelegt wird, jedoch keine solche, die eine Einstimmigkeit erfordert. Das überstimmte Mitglied der Volksanwaltschaft könnte von seinem Recht Gebrauch machen, ein Votum Separatum zu erstellen um seine abweichende Meinung an die Öffentlichkeit zu bringen.

Oder hat Kreisky letztlich übersehen, dass alle Volksanwälte aus dem Parlament kommen, also vor ihrer Bestellung zum Volksanwalt einst der legislativen Kraft angehörten und immer noch das Herz eines Parlamentariers haben? Möglicherweise fühlen sie sich eher als Gesetzgeber denn als Kontrollore der Verwaltung, wie hoch ihr Rang auch immer sei.

Die Volksanwaltschaft hat in ihrem Hause wohl genügend sehr hoch qualifizierte Mitarbeiter, doch könnte es eine sinnvolle Anregung sein, entsprechend interessierten Mitarbeitern der Volksanwaltschaft eine zeitlich befristete Verwendung beim Verfassungsgerichtshof zu ermöglichen, um gegenseitig vertrauter im Umgang mit den an juristischer Diffizilität kaum zu überbietenden Anforderungen solcher Verordnungsprüfungen zu werden.

Zeit und hohe Ansprüche

Doch letztlich ist ein Einziges von unumstößlicher Wichtigkeit und Notwendigkeit. Nämlich, die von den Volksanwälten beantragten Verordnungsprüfungen als primär im Interesse des Bürgers stehend zu begreifen. Die Erarbeitung dieser Anträge ist als wahrlich geistig hochstehende Arbeit zu sehen, die Zeit kostet und hohe Ansprüche stellt. Unsere Verfassung nennt den Bürger als Empfänger dieser Wohltaten. Es dürfte und sollte wohl keinen Volksanwalt geben, der sich dieser von der Verfassung vorgesehenen anspruchsvollen Arbeit entschlagen wollte.

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