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"Es geht in eine streikfreundliche Richtung"

Von Petra Tempfer

Politik

Laut Anwalt Erwin Fuchs wird es für Arbeitgeber zunehmend schwierig, sich am Arbeitnehmer in Folge von Streiks schadlos zu halten.


Wien. Warnstreiks der Brauerei-Beschäftigten für eine entsprechende Lohn- beziehungsweise Gehaltserhöhung nach Kollektivvertrag (KV) konnten Mitte dieser Woche gerade noch abgewendet werden: Die sechste Verhandlungsrunde im Brauerei-KV brachte eine Einigung auf 3,2 Prozent. Die Eisenbahner wollen ihren KV am Samstag weiterverhandeln - sie haben bereits gestreikt, am Montag standen Züge zwei Stunden lang still. Und bei den Metallern, die vor etwas mehr als zwei Wochen in unterschiedlichen Betrieben streikten, einigte man sich danach auf durchschnittlich 3,46 Prozent.

Während deren Warnstreiks relativ unbemerkt an der Bevölkerung vorübergingen, waren vom Streik der Eisenbahner geschätzte 100.000 Fahrgäste betroffen. Sie kamen zu spät, versäumten mitunter einen Anschlussflug. Einige von ihnen merkten den Streik massiv, alle Betroffenen erhielten jedenfalls nicht die entsprechende Leistung für ihr Geld. Das hat Konsequenzen für die ÖBB: Laut diesen haben Käufer eines Tickets ab 60 Minuten ein Anrecht auf 25 Prozent des Fahrpreises, ab 120 Minuten auf 50 Prozent. Unter vier Euro gibt es keine Entschädigung.

Streiks sind in Österreich nicht gesetzlich geregelt

Spinnt man den Gedanken weiter, könnten die Streiks weiterer Berufsgruppen allerdings noch dramatischere Konsequenzen haben. Denn wer bewacht zum Beispiel Gefängnisinsassen, wenn die Justizwachebeamten streiken? Oder wer leistet Erste Hilfe in der Notaufnahme bei einem Ärztestreik? Könnte sich im Falle eines dadurch entstandenen Schadens ein Arbeitgeber am Arbeitnehmer schadlos halten?

Ganz so eindeutig sei die rechtliche Situation in Österreich dazu nicht, sagt Erwin Fuchs, unter anderem auf Arbeitsrecht spezialisierter Anwalt in Kooperation mit Northcote.Recht, zur "Wiener Zeitung". Denn in Österreich werden Streiks nicht gesetzlich geregelt. Zudem seien Österreicher im internationalen Vergleich relativ streikfaul, weil es meist zu einer Einigung auf Sozialpartnerebene komme - weshalb es wenig Rechtsprechung gebe.

Aktuell sei jedoch auf jeden Fall ein Paradigmenwechsel zu beobachten, so Fuchs. "Es geht in eine europarechtliche, streikfreundliche Richtung." In der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) Art 11 sei ein Recht auf Streik verankert. Die EMRK genießt in Österreich Verfassungsrang. Seit dem Inkrafttreten des Vertrags von Lissabon 2009 existiert auch auf EU-Ebene mit Art 28 Charta der Grundrechte der Europäischen Union ein Streikgrundrecht.

Streiken nun Mitarbeiter und man orientiert sich am Europarecht, handeln diese nicht rechtswidrig - es gibt keine Voraussetzung für Schadenersatzansprüche. Außerdem sind die Mitarbeiter während des Streiks laut Fuchs vom Dienstverhältnis suspendiert, und sie erhalten keinen Lohn (unter Umständen eine Entgeltfortzahlung auf Basis einer Betriebsvereinbarung). Ein durch den Streik entstandener Schaden wurde dem Arbeitgeber somit nicht bei der Erbringung einer Dienstleistung zugefügt und kann daher nicht über das Dienstnehmerhaftpflichtgesetz geltend gemacht werden.

Betrieb durch Umschichtung aufrecht erhalten

"Spannend wird es", sagt Fuchs, "wenn Arbeitgeber nach dem Streik genau jenen Personen, die wirklich gestreikt haben, Probleme bereiten möchten und diese zum Beispiel kündigen." Auch hier geht Fuchs jedoch davon aus, dass die Arbeitnehmer geschützt wären, weil man die Sittenwidrigkeit der Kündigung argumentieren könnte.

Im Lichte der neuen Entwicklung in Richtung Europarecht mit dem Streik als Grundrecht, "tut sich ein Arbeitgeber bei einem rechtzeitig angekündigten, gerechtfertigten Streik für bessere Arbeitsbedingungen enorm schwer, Schadenersatzansprüche gegenüber Arbeitnehmern begründen zu können", so Fuchs. Mit der alten österreichischen Rechtslage hätte er zwar bessere Chancen gehabt, es kam jedoch wie gesagt nicht oft dazu.

Streiken für die Gesellschaft sensible Berufsgruppen, die der Staatsgewalt zuzuordnen sind wie Justizwachebeamte, gibt es bei Art 11/2 EMRK den Hinweis, dass Mitgliedstaaten das Streikrecht einschränken können. Ansonsten werde man wie bisher den Betrieb durch Umschichtung aufrechterhalten müssen, sagt Fuchs. "Das muss man ja auch, wenn drei Notärzte plötzlich krank werden - da ist ein angesagter Streik sogar besser planbar."