Im Rahmen der Ausarbeitung rein technischer Normen, wie etwa im internationalen Wirtschaftsrecht, ist es durchaus verständlich, dass diese Bestimmungen auf rein technischer Fachebene ausgearbeitet werden, wenngleich auch hier der Partizipationsanspruch der Zivilbevölkerung immer deutlicher zum Ausdruck gebracht wird. Bei Fragestellungen, wie jener der Migration, ist dieser elitäre, paternalistische Anspruch der besseren Einsicht des internationalen Beamtenapparats aber verfehlt. Es gibt wohl wenige Frage des Völkerrechts, hinsichtlich welcher eine so breit gefächerte Betroffenheit gegeben ist und in Bezug auf welche auch klar der Wille der Völker weltweit prononciert wird, mitzureden und mitzugestalten.

Aber auch in rein technischer, völkerrechtswissenschaftlicher Hinsicht wirft der Entstehungsprozess dieses Dokuments zahlreiche Fragen auf. Dies gilt allein schon für den Aspekt der Verbindlichkeit dieses Dokuments. Die nationale Völkerrechtswissenschaft hüllt sich dazu vielfach in Schweigen, und die anderen Stimmen sind kontrovers. Dabei mag es durchaus eine Mehrheit von Völkerrechtlern geben, die sich für die Unverbindlichkeit dieses Dokuments aussprechen und eine Verbindlichkeit seiner Normierungen auch für die Zukunft nicht erkennen können. Auf die naive Frage der Nicht-Völkerrechtler, weshalb dann überhaupt so intensiv um dieses Dokument gerungen wird, wissen sie aber keine überzeugende Antwort.

Wo waren die Völkerrechtler?

Ganz generell muss man sich die Frage stellen, wo die Völkerrechtswissenschaft war, als dieses Dokument ausgearbeitet worden ist. Von allen Rechtswissenschaftlern sind doch die Völkerrechtler jene, die die größte Politiknähe aufzuweisen haben. Weshalb ist hier auch national durch die Regierungen im Vorfeld kein Diskussionsprozess initiiert worden?

Auf viele, untechnisch klingende Fragestellungen der Zivilgesellschaft, die die elitäre Fach-Community in den ersten Monaten zuerst ignorierte und dann belächelte, wissen diese Experten nun keine Antwort, die auch auf fachlicher Ebene überzeugen würde. Unabhängig von der inhaltlichen, fachlichen Wertung des Migrationspaktes kann dieses Dokument als Beleg dafür in die Geschichte eingehen, dass der internationale Normsetzungsprozess - zumindest bei Fragen von breiter internationaler Relevanz - wohl grundlegend neu durchdacht werden muss.

Österreich kommt in diesem Kontext eine ganz besondere Rolle zu: Dieses Land hat Wesentliches dazu beigetragen, die Diskussion um den Migrationspakt anzustoßen, Fragen zu stellen, die nicht einfach respektive nicht mehr als populistisch abgetan werden können. Für Österreich ist nun auch eine besondere Verantwortung gegeben, diese Diskussion konsequent und sachlich fortzuführen, auf nationaler und internationaler Ebene. Letztlich könnte dadurch für Österreich auch ein großer Reputationsgewinn resultieren.

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