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Das Muster der doppelten Steuererstattung

Von Annika Wolf, Mathias Preuschl und Matthias Fucik

Recht
© Getty Images/erhui1979

Über die Grundstruktur der Cum-Ex-Geschäfte, ihre Folgen und ihre allfällige strafrechtliche Relevanz in Österreich.


Über viele Jahre sollen durch doppelte Steuererstattungen bei Aktiendeals im Zuge sogenannter Cum-Ex-Geschäfte europaweit Milliarden an Steuergeldern abgeschöpft worden sein. Aufgrund der beträchtlichen finanziellen Auswirkungen auf die Staatshaushalte sind diese Cum-Ex-Geschäfte in Deutschland, nun aber auch vermehrt in Österreich in den Fokus der medialen Berichterstattung gerückt. Im Folgenden soll die Grundstruktur dieser Geschäfte, ihre Folgen und ihre allfällige strafrechtliche Relevanz in Österreich dargestellt werden.

Ausgangspunkt dieser Cum-Ex-Geschäfte ist die gesetzlich vorgesehene Möglichkeit zur Erstattung der Kapitalertragsteuer (KESt). Unter einem Cum-Ex-Geschäft versteht man an den Kapitalmärkten den Verkauf von Aktien mit Dividendenberechtigung (Cum-Dividende) kurz vor dem Dividendenstichtag und die nach dem Termin des Dividendenstichtags erfolgte Lieferung der Aktien ohne Dividendenberechtigung (Ex-Dividende). Diese Geschäfte wurden so strukturiert, dass an die Beteiligten mehr Kapitalertragsteuer rückerstattet wurde, als sie entrichtet haben.

In der Praxis folgten Cum-Ex-Geschäfte - vereinfacht dargestellt - folgendem Muster:

Der im Ausland ansässige A besitzt Aktien an der X AG im Wert von 1,5 Millionen Euro. Der ebenfalls im Ausland ansässige B kauft kurz vor dem Dividendenstichtag Aktien der X AG im Wert von 1,5 Millionen Euro von C, der die Aktien zu diesem Zeitpunkt noch gar nicht besitzt (Leerverkauf). X AG schüttet an A eine Dividende von 50.000 Euro aus, wobei 12.500 Euro als Kapitalertragsteuer an das Finanzamt abgeführt werden; hierfür erhält A eine Bescheinigung seiner Bank über die Abfuhr der Kapitalertragsteuer.

Anwendung von Doppelbesteuerungsabkommen

Da die Dividende bereits ausgeschüttet wurde, verkauft A seine Aktien an der X AG nach dem Dividendenstichtag statt um 1,5 Millionen um 1,45 Millionen Euro an C. C erfüllt daraufhin seine Verpflichtung aus dem Leerverkauf und liefert Aktien an der X AG im Wert von 1,45 Millionen Euro an B und überweist diesem zusätzlich eine Nettodividende in Höhe von 37.500 Euro. Unter Hinweis auf den fehlenden Betrag von 12.500 Euro lässt sich B von seiner Depotbank ebenfalls eine Bescheinigung über die Abfuhr der Kapitalertragsteuer ausstellen. Abschließend überträgt B die Aktien der X AG für 1,45 Millionen Euro an den ursprünglichen Eigentümer A zurück. Im Ergebnis haben somit sowohl A als auch B eine Bescheinigung über die Abfuhr von Kapitalertragsteuer erhalten, obwohl für die gehandelten Aktien nur einmal Kapitalertragsteuer entrichtet wurde. A und B beantragen nun unter Anwendung von Doppelbesteuerungsabkommen (DBA) die gänzliche oder, je nach DBA, teilweise Rückerstattung der laut Steuerbescheinigung abgeführten Kapitalertragsteuer.

Analyse der Cum-Ex-Geschäfte aus rechtlicher Sicht

Auf Dividenden österreichischer Unternehmen muss Kapitalertragsteuer bezahlt werden, die direkt von der inländischen depotführenden Stelle (Bank) einbehalten und an das Finanzamt abgeführt wird. Bei Sachverhalten mit Auslandsbezug haben sowohl der Quellenstaat (in unserem Fall Österreich) als auch der Ansässigkeitsstaat des Dividendenempfängers ein Besteuerungsrecht an Dividenden.

Um Doppelbesteuerungen zu vermeiden, können im Ausland ansässige Aktionäre unter Anwendung des für sie geltenden DBA oder des Körperschaftsteuergesetzes unter bestimmten Voraussetzungen einen Antrag auf (teilweise oder gänzliche) Erstattung der in Österreich entrichteten Kapitalertragsteuer stellen. Bis Mitte 2013 stellte das für die Rückerstattung auszufüllende Formular nur auf die Bescheinigung der Depotbanken ab. Da zwei Steuerbescheinigungen vorgelegt wurden, wurde somit auch die Rückerstattung doppelt vorgenommen.

Mit Bekanntwerden der Cum-Ex-Thematik wurde eine Konkretisierung der Antragsvoraussetzungen im Erstattungsformular vorgenommen, wodurch seither auf den Einlieferungszeitpunkt der Aktien im Depot abgestellt wird. Seitdem ist nur mehr derjenige zur Rückerstattung der KESt berechtigt, in dessen Depot die Aktien am Dividendenstichtag (Cum-Tag) eingebucht waren. Im oben beschriebenen Beispiel wäre das Investor A.

(Wem) drohen strafrechtliche Konsequenzen?

Im Brennpunkt der Aufarbeitung der Cum-Ex-Geschäfte stehen in Deutschland vor allem die in Cum-Ex-Geschäfte involvierten Banken und Investmentfonds sowie die dazu beratenden Steuerberatungs- und Anwaltskanzleien. So sind vor den Straf- und Verwaltungsgerichten in Deutschland bereits mehrere Verfahren anhängig.

Was wären nun die in Österreich denkbaren rechtlichen Folgen für die involvierten Personen beziehungsweise Bankinstitute?

Wohl als unproblematisch erweist sich die zeitlich erste Bescheinigung über die Abfuhr der Kapitalertragsteuer sowie die auf diese gestützte Geltendmachung eines Erstattungsanspruchs. Hier wurde real eine Steuer an den Staat abgeführt, dies wurde bestätigt und wird nun auf Basis eines DBA zurückbezahlt. Nicht so unproblematisch verhält es sich jedenfalls mit der zeitlich späteren Bestätigung der Depotbank, hier wird materiell eine Steuerzahlung dargestellt, die sich nie ereignete, da unstrittig der Empfänger der Bestätigung keine Kapitalertragsteuer abgeführt hat. Dessen ungeachtet macht er gegen die Republik Österreich einen Anspruch auf gänzliche oder teilweise Erstattung seiner angeblich geleisteten Steuer geltend. Es liegt also eine Täuschungshandlung vor und wohl auch ein Vorsatz auf Bewirkung einer Zahlung durch die Republik Österreich.

Der strafrechtlich relevante Kernpunkt wird wohl darin gelegen sein, was die beteiligten Personen wussten, insbesondere ob dem Antragsteller bewusst war und sein muss, dass er die Rückzahlung einer nie geleisteten Zahlung fordert. Wäre dies der Fall, so liegt eine Betrugshandlung vor und wären alle in dieses System eingeweihten Personen, also vor allem auch Berater und Mitarbeiter der Bank, neben dem unmittelbaren Täter strafrechtlich belangbar.

Annika Wolf und Mathias Preuschl sind Partner und Matthias Fucik ist Rechtsanwaltsanwärter bei PHH Rechtsanwälte. Wolf ist spezialisiert auf Banking & Finance, Preuschl auf Wirtschaftsstrafrecht. Fucik ist auf Unternehmens-, Gesellschafts- und Steuerrecht spezialisiert.
© privat

Dasselbe gilt auch für jene Personen, die bei der "ersten" Bestätigungsausstellung involviert waren, wenn diese das Gesamtsystem kannten und in Kenntnis der "zweiten" Bestätigungsausstellung und Erstattungsbeantragung daran mitwirkten. Es wird somit vor allem auf die Argumente der involvierten Personen und deren Verteidigungsstrategie ankommen: Wer hat glaubwürdig wie viel gewusst, respektive nicht gewusst.

Es bleibt abzuwarten, ob die österreichische Justiz dem Vorbild der deutschen folgt und entsprechende Ermittlungsverfahren einleitet.