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Genossenschaftlich recht(s) gekränkt?

Von Holger Blisse

Recht

Das österreichische Umwandlungsrecht darf anders sein als das deutsche.


Umgründungsvorschriften traten erst vergleichsweise spät im Recht auf. Sehr lange stellten die Liquidation und anschließende Neugründung in der gewünschten Rechtsform eine Lösung dar. Nicht jede Gründung trägt einen börsennotierten aktienrechtlichen Konzern in sich. Dennoch ist es nachvollziehbar, wenn das Recht die Entwicklung eines Unternehmens begleitet und Anpassungen an wirtschaftliche Veränderungen erleichtert. So bleibt ein Rechtskleid maßgeschneidert. Dafür stehen grundsätzlich die Verschmelzung (Fusion), die Spaltung, Vermögensübertragung und der Formwechsel (Umwandlung) bereit.

In einem eigenen Umwandlungsgesetz wurden in Deutschland diese Möglichkeiten 1995 geregelt und zusammengeführt. Etwas Vergleichbares fehlte in Österreich. Allerdings traten im Juli 1996 das Bundesgesetz über die Umwandlung von Handelsgesellschaften (Umwandlungsgesetz UmwG) und das Bundesgesetz über die Spaltung von Kapitalgesellschaften (Spaltungsgesetz SpaltG) in Kraft.

Bis heute können sich nur Kapitalgesellschaften in eine Genossenschaft umwandeln, aber nicht vice versa. Das Genossenschaftsspaltungsgesetz (GenSpaltG), das zum 1. Jänner 2019 in Kraft getreten ist, hatte auch das Thema Umwandlungsrecht aktuell in den Blick genommen. Allerdings wurde die für gemeinnützige Bauvereinigungen getroffene Ausnahme vom SpaltG um das GenSpaltG erweitert (§ 11 Abs. 4 Wohnungsgemeinnützigkeitsgesetz WGG).

Spielräume bestehen in Deutschland schon länger

Dieser Umstand regt an, sich mit der Frage auseinanderzusetzen, warum möglicherweise Spielräume in Bezug auf die Umwandlung beziehungsweise Spaltung speziell von Genossenschaften in Österreich die Ausnahme geblieben respektive so lange unterblieben sind, während sie in Deutschland schon länger bestehen. Denn die Umwandlungsmöglichkeit der eingetragenen Genossenschaft (eG) in eine Aktiengesellschaft (AG) wurde bereits 1969 in Deutschland in das Aktiengesetz aufgenommen, um der eingetragenen Genossenschaft die "vielfältigen und einfacheren Möglichkeiten . . . [zu erschließen], sich Kapital zu verschaffen". Insgesamt kann die eingetragene Genossenschaft nur in eine Kapitalgesellschaft (AG, KGaA, GmbH) wechseln (§ 258 Abs. 1 UmwG), für weitere Formen sah man auch in der Praxis kein Bedürfnis.

Demzufolge stellt die AG eine vom Gesetzgeber für gewachsene Unternehmen besonders positiv belegte Rechtsform dar. Dieses Verständnis deckt sich mit dem des österreichischen Gesetzgebers, der für die Kreditwirtschaft eine (freiwillige) Umgründungsvorschrift zugunsten der AG in das Kreditwesengesetz (§ 8a KWG) 1986 aufnahm und in das Bankwesengesetz (§ 92 BWG) 1993 insbesondere für Sparkassen, Landes-Hypothekenbanken und Genossenschaften übernahm.

Wahlmöglichkeitensollten erhalten bleiben

In Bezug auf eine Gleichbehandlung oder auch Rechtsformneutralität ist der Wunsch nach einem einheitlichen Umwandlungsrecht nachvollziehbar. Doch die sprichwörtliche deutsche Gründlichkeit sollte nicht allein als Argument dienen, um eine österreichische Eigentümlichkeit, ja sogar soziale Besonderheit aufzuheben. Darum sei diese Besonderheit, gerade aufgrund aktueller Entwicklungen, aber auch mit Bezug zu Entwicklungen aus der Vergangenheit, zu beschreiben versucht:

Es ist keinesfalls ein "legistischer Defekt", dass sich Genossenschaften im österreichischen Recht lange Zeit grundsätzlich nicht in Aktiengesellschaften umwandeln durften. Zwar entspricht der Formwechsel von Kreditinstituten dem, was heute auf europäischer Ebene für Kreditinstitute allgemein gefordert wird. Das Verständnis von Kreditgenossenschaften und Sparkassen als eben nicht rein erwerbswirtschaftlichen Kreditinstituten geht dabei verloren und lenkt alle in eine Richtung. Bekanntlich "kippt die Welt um, wenn alle in eine Richtung laufen". Daher sollte der österreichische Gesetzgeber die Wahlmöglichkeiten, die schon durch den Numerus clausus der Rechtsformen beschränkt sind, nicht weiter verarmen lassen, sondern formwahrend auch den Rechtsformschutz handhaben, wenn dies die wirtschaftliche und soziale Ausrichtung eines Unternehmens gebietet.

Sollte sich, so dürfte es der Gesetzgeber vor Augen gehabt haben, eine genossenschaftliche Gründung dennoch in Richtung eines rein erwerbswirtschaftlichen Unternehmens entwickeln, dann sollte der Gruppe der Eigentümerinnen und Eigentümer bewusst bleiben, dass diese Veränderung eine Abkehr vom originären Unternehmenszweck darstellt. Denn der genossenschaftliche Ursprung hat ganz andere Ziele als eine Aktiengesellschaft. Daher käme im Grunde nur eine Aufhebung und Neugründung infrage und das Eingeständnis, gemeinnützige Züge aufgrund der Generationen übergreifend aufgebauten Reserven angenommen zu haben.

Natürlich ist auch das eingangs beschriebene Rechtsformenkontinuum - vom Ein-Personen-Unternehmen bis zur AG - als Grundverständnis denkbar. Aber warum sollten wir zu eigenen Lebzeiten eine von Generationen zuvor auf Dauer gedachte und fortgeführte Rechtsform und Art anders zu wirtschaften infrage stellen beziehungsweise uns ihrer Möglichkeiten für die Zukunft als Ausgleich im Markt entledigen?

Eine sehr weiseEntscheidung des Gesetzgebers

So besehen, könnte das Fehlen einer Umwandlungsmöglichkeit für Genossenschaften in die Rechtsform der AG keineswegs einen Mangel oder eine Lücke im österreichischen Recht darstellen, sondern vielmehr eine - bewusst oder unbewusst - sehr weise und weitsichtige Entscheidung des zeitgenössischen Gesetzgebers. Damit wird die Härte des Wettbewerbs und des Drucks aus der reinen Kapitalverwertung gemindert. Der originäre Unternehmenszweck tritt wieder in den Vordergrund. In ähnlicher Weise wären auch die verbesserten Möglichkeiten des Delistings einer börsennotierten AG anzusehen, wenn der Börsengang nicht zuvor der Monopolisierung des Eigentümerkreises gedient hätte.

Jede Publikums(aktien)gesellschaft stellt personalistische Züge rein kapitalistischen gegenüber und hat dann natürlich fast automatisch eine ausgleichende Wirkung, insbesondere, wenn es eine Interessenkongruenz zwischen Eigentümer- und Kundenkreis gibt, wie sie in idealer Weise in der Genossenschaft gelingt. Anderenfalls müssen die Kunden den Verlust eines alternativen Angebotes beklagen und/oder permanent mit potenziellen Preissteigerungen planen.