Zum Hauptinhalt springen

Eine echte Finanzierungsalternative?

Von Philip Rosenauer

Recht

Ob die Wiener Börse eine taugliche Finanzierungsquelle für kleine und mittlere Unternehmen wird, hängt von mehreren Faktoren ab.


Am 21. Jänner 2019 hat die Wiener Börse AG den "direct market" und "direct market plus" als neue Marktsegmente speziell für kleine und mittlere Unternehmen (KMU) geöffnet. Mit startup300 AG, EYEMAXX Real Estate AG, VST Building Technologies AG und Wolftank-Adisa Holding AG wurden am ersten Handelstag vier neue Unternehmen am "direct market plus" gelistet. Die meisten KMU sind noch abwartend. Ob die KMU-Börse eine taugliche Finanzierungsquelle wird, hängt von mehreren Faktoren ab.

Für die Wiener Börse AG wurde 2018 der gesetzliche Grundstein gelegt, um ein KMU-Wachstumssegment zu betreiben und somit eine echte Finanzierungsalternative zum stark bankbasierten österreichischen Unternehmensfinanzierungssystem zu schaffen. Nachdem diese Marktsegmente in den nicht-EU-regulierten Markt, den sogenannten Dritten Markt, eingegliedert sind, kann die Wiener Börse weitgehend autonom Kriterien hierzu normieren. Die Zulassungsvoraussetzungen und Folgepflichten für KMU sind für beide Marktsegmente durch Allgemeine Geschäftsbedingungen der Wiener Börse geregelt. Der geringere laufende Compliance-Aufwand und die stark reduzierten Börsegebühren (einmalig 5000 Euro und jährlich 1000 Euro) sind jedenfalls - im Vergleich zur Aufnahme in den amtlichen Handel am EU-regulierten Markt - ein evidenter Vorteil für KMU bei einem Listing in diesen Marktsegmenten.

Voraussetzungen für ein Listing am Dritten Markt

Die wesentlichen Voraussetzungen für ein Listing am Dritten Markt - ungeachtet des Marktsegments - sind der Bestand des KMU in der Rechtsform einer Aktiengesellschaft mit einem Grundkapital von mindestens 70.000 Euro und einer ausreichenden Anzahl von Aktionären als Mindeststreubesitz. Eine Mindestkapitalisierung ist nicht vorgesehen, jedoch wird diese im einstelligen Millionenbereich empfohlen. Im Unterschied zum "direct market" wird im "direct market plus" insbesondere vom antragstellenden KMU gefordert, dass es bereits seit einem Jahr besteht, verpflichtend einen Capital Market Coach beizieht und regelmäßig Berichte auf dessen Webseite veröffentlicht, wie Jahresabschluss, Zwischenberichte und Unternehmenskalender.

Die Allgemeinen Geschäftsbedingungen (AGB) der Wiener Börse sehen als Folgepflichten für KMU bei Einbeziehung in das jeweilige KMU-Segment zumindest vor, dass ein gewisses Mindestmaß an Transparenz und Anlegerschutz gemäß der Marktmissbrauchsverordnung durch Ad-hoc-Publizität, Führen einer Insiderliste und Offenlegung von Eigengeschäften mit Führungskräften gesichert wird. Flankiert werden diese Folgepflichten von den Verboten zu Insiderhandel und Marktmanipulation.

Der Anlegerschutz scheint somit in dessen Grundprinzipien gesichert und die Schaffung von Vertrauen in das Funktionieren des Finanzmarktes in den AGB der Wiener Börse verankert. Fraglich bleibt jedoch, auf Basis welcher Dokumentation ein Anleger seine fundierte Investment-Entscheidung treffen kann? Eine umfassende Darstellung der rechtlichen und wirtschaftlichen Situation des KMU (zum Beispiel in einem Kapitalmarktprospekt) ist weder für ein Listing noch als Folgepflicht oder automatisch bei einer Platzierung von Aktien im Zuge eines Initial Public Offering, kurz IPO, vorgesehen. Folglich verbleibt der Jahresabschluss als Basis zur Berechnung von Unternehmenskennzahlen und die Entscheidungsfindung des Anlegers.

KMU umfassen zu 99,6 Prozent alle österreichischen Betriebe, beschäftigen rund 1,7 Millionen Menschen und erwirtschaften jährlich rund 405 Milliarden Euro. Die Schaffung von Alternativen zu Bankenfinanzierungen für diese Unternehmen ist somit jedenfalls eine volkswirtschaftlich begründete Notwendigkeit. Genau diese Notwendigkeit wird durch die Öffnung der Wiener Börse für KMU bedient, wobei ein Listing vor allem für junge Unternehmen im Technologiesektor wie FinTech, BioTech oder InsureTech mit starkem Wachstumspotenzial, aber auch für traditionelle KMU mit einer Vielzahl an Eigentümern geeignet ist.

Den Grundstein für den Zugang zu Kapital legen KMU durch ein Listing am Dritten Markt, wobei die Kapitalaufnahme von der Beteiligung von Privatanlegern, professionellen Anlegern und institutionellen Investoren abhängen wird. Eine möglichst breite (Anzahl an gelisteten KMU) und tiefe (Marktkapitalisierung) Ausgestaltung des Dritten Marktes wird die erforderliche Liquidität schaffen, um professionelle Anleger und institutionelle Investoren - auch als "Zugpferd" für Privatanleger - zu gewinnen und eine Finanzierungsalternative zum klassischen Bankkredit zu sichern.

In Ergänzung dazu würden steuerliche Vorteile für Privatanleger ebenso einen Anreiz zur Investition in KMU schaffen. Dies ist zum Beispiel in England durch das Enterprise Investment Scheme und das Seed Enterprise Investment Scheme umgesetzt worden und beinhaltet direkte Steuervorteile auf Ebene der Privatanleger bei Investitionen in bestimmte gelistete oder nicht-gelistete Unternehmen.

Welche Finanzierung ist börsegeeignet?

Neben der Steigerung des Bekanntheitsgrades und der Reputation eines KMU durch das Listing sowie der Möglichkeit zur Finanzierung des Unternehmens über den Kapitalmarkt ist in einem ersten Schritt die Börse-Fitness zu hinterfragen. Nicht jedes Unternehmen ist für den Kapitalmarkt geeignet, und nicht jede Projektfinanzierung ist durch den Kapitalmarkt zu decken.

Die Herstellung eines ersten Prototyps in der Frühphase eines Unternehmens (somit vor der Marktreife) oder der Bau eines Wellness-Areals und Renovierung eines Hotels wird voraussichtlich eher durch andere Finanzierungsmodelle, etwa durch Banken oder Crowd-Investing, gedeckt. Wenn ein KMU aber das Unternehmenswachstum steigern möchte oder die gewachsene Eigentümerstruktur einen Handel der Anteile fordert, dann kann ein Börsegang durchaus interessant sein.

Bei dem Betrieb eines Unternehmens in der Rechtsform einer Aktiengesellschaft ist der damit verbundene (finanzielle) Aufwand vor allem mit der jedenfalls erforderlichen Einrichtung eines Aufsichtsrats, Bestellung eines Abschlussprüfers und inhaltlichen Erweiterung des Jahresabschlusses nicht zu unterschätzen. Außerdem wird die Einflussnahme auf die Unternehmensführung durch die Gründungsgesellschafter nach Umwandlung der Gesellschaft von einer GmbH in eine AG erheblich reduziert.

Chancen durch die KMU-Börse

Die Öffnung des Dritten Marktes an der Wiener Börse für KMU bietet den Aktionären dieser Unternehmen eine Handelsplattform für deren Aktien. Zudem steigert sie die Visibilität des Unternehmens, ermöglicht den Zugang zum Kapitalmarkt für Projektfinanzierungen und stellt den ersten Schritt in Richtung Weiterentwicklung zu einem Listing im amtlichen Handel dar.

Als Privatanleger und Aktionär kann man künftig auch direkt am hohen Wachstumspotenzial von KMUs partizipieren. Investments in Aktien sind dabei generell mit dem Risiko eines Totalausfalls verbunden, und die regelmäßige Handelbarkeit der Aktien wird von der künftigen Markttiefe abhängen.