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Was tun mit Rückkehrern aus dem IS-Kampf?

Von Christina Binder und Philipp Janig

Recht

Über die völkerrechtlichen Grenzen zum Entzug der Staatsbürgerschaft.


Während der sogenannte "Islamische Staat" (IS) die Kontrolle über seine letzten Territorien verliert, gewinnt ein Thema zunehmende Aufmerksamkeit: Wie sollen die europäischen Länder mit "ihren" Kämpfern des IS umgehen? Gerade Österreich, aus dem ein vergleichsweise hoher Anteil solcher "Foreign Fighters" kommt, ist mit dieser Frage konfrontiert. Auf politischer Ebene wurde zuletzt insbesondere diskutiert, ob man derartigen Personen die Staatsbürgerschaft entziehen sollte und kann. Eine entsprechende Regelung findet sich in § 33 (2) Staatsbürgerschaftsgesetz, demgemäß einem Staatsbürger die Staatsbürgerschaft zu entziehen ist, wenn er "freiwillig für eine organisierte bewaffnete Gruppe aktiv an Kampfhandlungen im Ausland im Rahmen eines bewaffneten Konfliktes teilnimmt", solange "er dadurch nicht staatenlos wird" (er also Doppel- beziehungsweise Mehrfachstaatsbürger ist). Diese Bestimmung wurde Ende 2014 eingeführt, als der IS die Kontrolle über weite Teile Syriens und des Iraks erlangte und eine enorme Sogkraft für ausländische Kämpfer entwickelte.

Staatenlosigkeit soll vermieden werden

Während in anderen Staaten, wie Deutschland, zurzeit über den Entzug der Staatsbürgerschaft von IS-Kämpfern mit Doppel- oder Mehrfachstaatsbürgerschaft debattiert wird, ist dies in Österreich somit schon seit einigen Jahren möglich. Allerdings forderte Burgenlands Landeshauptmann Hans Peter Doskozil (SPÖ) kürzlich, die Staatsbürgerschaft auch dann zu entziehen, wenn die Personen dadurch staatenlos werden. Neben etwaigen Grenzen des Unionsrechts, auf die hier nicht eingegangen werden soll, stehen einem derartigen Vorhaben aber auch völkerrechtliche Schranken entgegen. So ist Österreich Vertragspartei zweier völkerrechtlicher Abkommen, die genau das verbieten: des UN-Übereinkommens zur Verhinderung der Staatenlosigkeit aus 1961 und des Europäischen Übereinkommens über Staatsangehörigkeit aus 1997. Beide Verträge enthalten Bestimmungen zur Verhinderung der Staatenlosigkeit, die den Entzug der Staatsbürgerschaft nur in engen Grenzen erlauben.

Österreich kann zwar, auch wegen entsprechender Vorbehalte und Erklärungen, in Übereinstimmung mit diesen Verträgen Personen die Staatsbürgerschaft entziehen, wenn diese in den (Militär-) Dienst eines fremden Staates eintreten - ebendies bestimmt auch § 33 (1) Staatsbürgerschaftsgesetz. In diesem Fall wird davon ausgegangen, dass die Person die Staatsangehörigkeit jenes Staates erwirbt. Allerdings handelt es sich beim IS eben nicht um einen Staat, sondern um eine Terrororganisation, die eine kurzfristige Kontrolle über Territorien erlangt hatte. Obwohl die Anerkennung eines Staates im Völkerrecht rein deklarative Wirkung hat, ist es dennoch bezeichnend, dass der IS von keinem einzigen Staat der Welt als solcher anerkannt wurde. Schon die klassischen Voraussetzungen für Staatlichkeit - Staatsvolk, Staatsgebiet und Staatsgewalt - liegen nicht vor. Insbesondere war die Zeitspanne, in dem der IS territoriale Kontrolle ausübte - etwa fünf Jahre -, wohl zu kurz, um von einer effektiven Staatsgewalt zu sprechen. Dieser Eindruck wird auch verstärkt vom stetigen Bestreben Syriens und des Irak, die Kontrolle über ihr Staatsgebiet zurückzuerlangen.

Dieser Ansicht war 2014 augenscheinlich auch der Gesetzgeber, ansonsten wäre eine Erweiterung des § 33 StaatsbürgerschaftsG im Hinblick auf den IS wohl nicht notwendig gewesen - der schon bestehende Grund bei (freiwilligem) Eintritt in einen ausländischen Militärdienst hätte genügt. Für das Ergebnis spricht zudem auch die Ratio der entsprechenden völkerrechtlichen Regeln: Es soll gerade das Entstehen einer Bevölkerungsgruppe verhindert werden, für die sich kein Staat zuständig fühlt. Bei staatenlosen (ehemaligen) IS-Kämpfern wäre dies sicherlich der Fall, die - im Gegensatz zu Personen, die in den Militärdienst eines fremden Staates getreten sind - keinen Staat haben, zu dem sie ein besonderes "Treueband" verbindet.

Staatsbürgerschaft als das Recht, Rechte zu haben

Die Vermeidung der Staatenlosigkeit ist zudem kein geringes Gut. Aus gutem Grund nannte Hannah Arendt die Staatsbürgerschaft das "Recht, Rechte zu haben". Aufgrund des verminderten Rechtsstatus der betroffenen Personen ist Staatenlosigkeit menschenrechtlich höchst problematisch. Im konkreten Fall führt sie zudem dazu, dass einer Gruppe radikalisierter und (möglicherweise) kampferprobter Personen Möglichkeiten abgeschnitten werden, sich effektiv in die Gesellschaft zu reintegrieren, ohne allerdings den Problemen, die eine derartige Gruppe darstellt, anderwertig zu begegnen.

Trotz der eindeutigen Rechtslage im Völkerrecht, die bei einem Verstoß zur Staatenverantwortlichkeit Österreichs führt, stellt sich allerdings die Frage nach der innerstaatlichen Durchsetzung. So wurden beide Abkommen mit einem sogenannten "Erfüllungsvorbehalt" genehmigt. Daher dürfen österreichische Gerichte und Verwaltungsbehörden sich in ihren Entscheidungen nicht (direkt) auf deren Bestimmungen stützen.

IS-Kämpfer könnten sich auf das Einreiserecht berufen

Jedoch stößt eine Aberkennung der Staatsbürgerschaft ohne Vorliegen einer Doppel- oder Mehrfachstaatsbürgerschaft auch an menschenrechtliche Grenzen mit direkter innerstaatlicher Relevanz. So ist es äußerst fraglich, ob es Österreich etwa erlaubt wäre, ehemaligen IS-Kämpfern, denen die Staatsbürgerschaft völkerrechtswidrig entzogen wurde, die Einreise in das Bundesgebiet zu verweigern. In diesem Zusammenhang greift Artikel 3 (2) des 4. Zusatzprotokolls zur Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK), der im Verfassungsrang steht und direkt anwendbar ist. Diese Bestimmung verbürgt das Einreiserecht von Staatsangehörigen in ihren Staat, diesfalls nach Österreich. Welche Personen unter den Begriff des "Staatsangehörigen" im Sinne der EMRK fallen, bestimmt sich zwar grundsätzlich nach innerstaatlichen Regeln. Dies findet seine Grenzen aber in klaren Verboten des Völkerrechts. Ein völkerrechtswidriger Entzug der Staatsbürgerschaft wäre auf völkerrechtlicher Ebene, und damit auch für die EMRK, unwirksam. Somit könnten sich etwaig zurückkehrende, nunmehr "staatenlose" IS-Kämpfer, auf ihr Einreiserecht berufen.

Radikalisierung ist häufig in Österreich erfolgt

Ungeachtet der skizzierten völkerrechtlichen Grenzen wäre der Vorschlag auch außenpolitisch problematisch, sollte sich Österreich Doskozils Vorschlag zu eigen machen. Während das offizielle Österreich etwa im Rahmen von Flüchtlingsbewegungen auf Solidarität der Herkunftsländer pocht, ist man im Gegenzug ungern bereit, Verantwortung für "seine" Foreign Fighters zu übernehmen. Dabei ist es wohl kaum argumentierbar, warum etwa der irakische Staat oder kurdische Gruppen Verantwortung für (ehemalige) österreichische Staatsbürger übernehmen sollten, obwohl deren Radikalisierung oftmals bereits in Österreich stattfand. Insofern sollte Österreich seine rechtlichen und politischen Verpflichtungen ernst nehmen.