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Nachhaltigkeit wird zum Streitfall

Von Josef Baumüller

Recht
© Adobe/faithie

Österreichische Unternehmen und ihre Vertreter nehmen es (weiterhin) nicht so genau mit ihren Transparenzpflichten.


Das Thema der Nachhaltigkeit hat im Vorjahr für viele heimische Leitbetriebe an Bedeutung gewonnen. Denn sie mussten des Nachhaltigkeits- und Diversitätsverbesserungsgesetzes (NaDiVeG) wegen erstmals sogenannte "nichtfinanzielle Berichte" (vulgo "Nachhaltigkeitsberichte") erstellen. Damit geht die Verpflichtung einher, umfassend und transparent über die Nachhaltigkeitsleistung - entlang der gesamten Wertschöpfungskette - und deren Verknüpfung mit der wirtschaftlichen Lage der Unternehmen zu berichten. Einer breiten Öffentlichkeit können dadurch tiefgehende Einblicke in Geschäfts- und Managementpraktiken gewährt werden.

Die Fakten sprechen allerdings nicht dafür, dass diese Vorgaben von den berichtspflichtigen Unternehmen mit besonderer Ernsthaftigkeit verfolgt wurde: Die zur ersten "Berichts-Saison" des NaDiVeG veröffentlichten akademischen Studien zeigen für Österreich große Defizite auf, auch im internationalen Vergleich. Die Berichte sind von Unternehmen zu Unternehmen sehr unterschiedlich gestaltet und häufig von Oberflächlichkeit geprägt; Konkretes (zum Beispiel Leistungsindikatoren, Zielwerte oder Benchmarks) oder gar Kritisches wird regelmäßig ausgespart.

Aus bilanzrechtlicher Sicht besonders gravierend: Teilweise scheinen offensichtliche Rechtsbrüche in den Berichten auf. Sogar aus dem Wirtschaftsprüfer-Umfeld wurden zuletzt durchwegs kritische Studien vorgelegt, die aufzeigen, auf wie vielfältige Weisen die österreichischen Unternehmen den Gesetzesrahmen aus- und überdehnt bis schlicht ignoriert haben. Die Existenz der letztgenannten Studien ist insofern bemerkenswert, als ihre Autoren als teilweise sehr akquisitionsstarke Berater und Prüfer zu einem wesentlichen Teil mitverantwortlich sind für den verheerenden Status quo.

Erste Konfliktetreten an die Öffentlichkeit

Anders betrachtet ist dies aber ein besonders deutlicher Indikator dafür, wie unübersehbar das Problem ist. Nicht zuletzt deswegen wurde die nichtfinanzielle Berichterstattung zum Schwerpunkt für das Enforcement ("Bilanzpolizei") erkoren - was über die Landesgrenzen hinweg für Aufsehen gesorgt und kein besonders positives Bild von den hiesigen Zuständen gezeichnet hat.

War das Thema in Österreich in den ersten Jahren bloß einer überschaubaren Fachöffentlichkeit bewusst, ist es in den vergangenen Monaten aus den genannten Gründen immer präsenter geworden. Auch wenn dies nicht im Sinne aller involvierten Akteure war und ist, was nicht zuletzt dem Strafrahmen geschuldet sein mag, der diesen droht.

Ihren - ungewöhnlichen - Höhepunkt erreichte diese Entwicklung in den vergangenen Wochen: Anlass war eine Studie der Arbeiterkammer (AK) Wien; diese sandte an die börsennotierten österreichischen Unternehmen einen umfangreichen Fragebogen zur Umsetzung des NaDiVeG. Der - medial breitgetretene - Aufschrei durch die Unternehmen, im Konkreten in Form von Industriellenvereinigung (IV) und Aktienforum, ließ jedoch nicht lange auf sich warten. Man zeigt sich "befremdet", die AK würde sich hier als Aufsichtsbehörde gebärden, hieß es. So würde nur Misstrauen geschürt. Und vor allem: "Die österreichischen börsennotierten Unternehmen erfüllen sämtliche gesetzlich vorgeschriebenen Berichtspflichten, insbesondere auch die nichtfinanzielle Berichterstattung sowie deren Veröffentlichung." Niemand solle daher an der Befragung teilnehmen, so wurde es über eine österreichische Tageszeitung kommuniziert. Der soziale Friede sei vielmehr gefährdet, und dem Vernehmen nach hat sogar manch sogenannter "Leitbetrieb" angekündigt, als Revanche die AK-Wahlen zu boykottieren.

Die Reaktion überrascht nicht nur in seiner Unsachlichkeit und Schärfe, sie findet auch in den zuvor aufgezeigten Fakten zur bisherigen Praxis der berichtspflichtigen Unternehmen keine Deckung. Diese Fakten legen vielmehr entgegen der (naturgemäßen) Auffassung von IV und Aktienforum nahe, dass es sich doch lohnt, genauer zu hinterfragen, was Unternehmen in ihre nichtfinanziellen Berichte schreiben. Es drängt sich daher der Eindruck auf, dass hier in einem besonderen Maße Nervosität seitens der berichtspflichtigen Unternehmen und ihrer Vertreter Ausdruck findet. Und nicht zuletzt ihrer zuvor genannten Berater und Prüfer, für die es um mindestens ebenso viel geht und die an der geschilderten Reaktion im Hintergrund nicht unbeteiligt waren.

Kritisches Nachfragenkann sich (vielfach) lohnen

Welche waren nun die kritischen Fragen der AK? Es wurde zum Beispiel zur Prüfung der Berichterstattung durch den Aufsichtsrat gefragt (der besonders in der Pflicht steht), zur Einbindung von Prüfern und Beratern in den Prozess (und ob deren Vergütung dafür angemessen ist), zur Gestaltung der Wesentlichkeitsanalyse und zum Dialog mit den Stakeholdern. Oder, wie die Berichtsinhalte ins Controlling integriert werden.

Wenig, das man direkt aus den Berichten lesen kann, aber allesamt entscheidende Faktoren, die über die Qualität und damit Verlässlichkeit und Aussagekraft dieser Berichte bestimmen. Also darüber, ob damit nur reine Öffentlichkeitsarbeit beziehungsweise "Greenwashing" (einem Unternehmen ein umweltfreundliches Image verleihen, Anm.) betrieben wird, oder ob Unternehmen ernsthaft und ehrlich über ihren Umgang mit Nachhaltigkeitsthemen berichten und diese managen.

Man kann an die Ziele einer nichtfinanziellen Berichterstattung glauben oder nicht: Nämlich, dass so soziale und ökologische Erfolgsgrößen als Ergänzung zum ökonomischen Gewinn stärkere Beachtung finden können und Unternehmen dadurch gezwungen sind, differenzierter über die Auswirkungen ihres Tuns nachzudenken. Ganz im Sinne des bewährten Mechanismus "Name and Shame", der auch verhaltensändernd wirken soll. Für fast alle regulatorischen Initiativen unter dem Titel der "Sustainable Finance", die gegenwärtig intensiv diskutiert werden, spielen diese Berichte und vor allem deren Qualität jedoch eine große Rolle. Womit nichts weniger angestrebt wird als eine teilweise Neuausrichtung der (europäischen) Finanzwirtschaft. Insofern ist es positiv, dass nun Druck in Richtung der diesbezüglichen Unternehmenspflichten merkbar wird.

Initiativen wie jene der AK Wien werden voraussichtlich nur einen - wichtigen und, wie die Reaktionen zeigen, mutigen - Anfang darstellen. So sind ihre Fragen etwa auch für alle anderen Aktionäre der Unternehmen von großem Interesse, geht es bei ihnen doch letztlich um das Thema der langfristig verantwortungsvollen Unternehmensführung und -steuerung.

Darüber hinaus gibt es eine Vielzahl anderer Stakeholder, die Ähnliches interessieren könnte. International sind derartige Initiativen daher längst üblich: Ende 2018 haben sich etwa große internationale Nichtregierungsorganisationen wie WWF oder Transparency International mit einer gemeinsamen Stellungnahme an den EU-Gesetzgeber gewandt, die ebenso eine Verbesserung der Berichtspraktiken bezweckt. Es gibt für sie genug relevante Themen in den nichtfinanziellen Berichten zu finden, so diese mit entsprechender Ernsthaftigkeit erstellt werden.

Es ist daher nicht auszuschließen - der Sache wegen sogar wünschenswert -, dass andere Gruppen in den nächsten Wochen ähnliche Fragen an die Investor-Relations-Abteilungen, also die Finanzkommunikation der Unternehmen richten; oder sie im Rahmen der Hauptversammlungen vorbringen. Schließlich ist es ihr Recht, entsprechend klare Auskünfte über für sie entscheidende Themen einzufordern. Verantwortungsvolle Unternehmensvertreter können die Antwort hierauf wohl nicht verwehren. Tun sie das doch, so ist es nur eine besonders deutliche Antwort - auf die noch viele weitere und viel kritischere Fragen folgen müssten. Spätestens bei der Vergütung und Entlastung von Vorstand und Aufsichtsrat.

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