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Resümee einer "Sorgenbrecherin"

Von Gertrude Brinek

Recht

In vielen Verwaltungsbereichen hat in den elf Jahren meiner Zeit als Volksanwältin verstärkt Qualität Einzug gehalten - gerade bei brisanten Themen sehen Verantwortliche auf Gemeinde- und Landesebene aber noch oft zu lange weg.


Finanz- und Justizverwaltung, Verfahrensdauer bei Gerichten, Denkmalschutz, Raumordnung, Baurecht, Wohnungswesen, Landes- und Gemeindestraßen, Friedhöfe . . . Mit Beschwerden über die Verwaltung aus diesem Themenkreis habe ich mich in den vergangenen elf Jahren beschäftigt - unabhängig von Missstandsfeststellungen und Empfehlungen aus den weiteren Prüfbereichen der Volksanwaltschaft, die jeweils kollegial getroffen und verabschiedet wurden. Die Menschenrechtsprüfung auf Basis des OPCAT-Gesetzes (gemäß UN-Antifolter-Zusatzprotokoll) folgt dabei einem integrativen humanistischen Auftrag und umfasst im Wesentlichen Justiz-Anstalten, Polizei, Alten- und Pflegeheime, Jugendkrisenzentren, Psychiatrische Krankenhäuser und Ähnliches.

Am Ende der zweiten Amtsperiode fällt mein Resümee als "Sorgenbrecherin", als die ich angetreten bin, differenziert, aber insgesamt positiv aus.

Ort der "letzten Hoffnung"

Die Volksanwaltschaft ist eine wohlangesehene und gefragte Institution und wird oftmals - nicht nur bezüglich eines Problems mit Behörden - als Ort der "letzten Hoffnung" kontaktiert. In tausenden Fällen wurde geholfen und Problem lösend oder verbessernd eingegriffen. Manchmal führten Überprüfungen auf Grund von Zuständigkeitsgrenzen oder bereits abgeschlossener (Gerichts-) Verfahren respektive geltender Gesetze zu persönlichen Enttäuschungen. Aufklärung und Informationen weisen in solchen Fällen einen Weg aus der erlebten Aussichtslosigkeit. Das überzeugende unparteiische Auftreten der Volksanwälte verstärkt dabei die Akzeptanz der Ausführungen.

Einerseits hat in vielen Verwaltungsbereichen verstärkt Qualität Einzug gehalten. Mehr Bürgerorientierung, die sich baulich in einladenden Gebäuden widerspiegelt ebenso wie in den digitalen Auftritten und Kommunikationsmaterialien, verstärkt den Eindruck von Zeitgemäßheit und Modernität der Verwaltung. Schluss mit Ärmelschonermentalität!

Andererseits muss gerade bei den absolut brisanten Themen wie Bauen und Wohnen sowie Zusammenleben in Stadt und Land festgestellt werden, dass Verantwortliche auf Gemeinde- und Landesebene oft zu lange zu- beziehungsweise wegsehen, wie etwa unbewilligbare und konsenslose Baulichkeiten errichtet, widmungswidrig genutzt oder Lärm- und Umweltbelastungen nicht bekämpft und behoben werden. Wird ein Problem offenkundig, wird oftmals versucht, Zustände zu legalisieren, die nicht legalisierbar sind.

Besonders problematisch werden die Verhältnisse, wenn versucht wird, eine Entscheidung durch Volksbefragungen - "wie die Bürger wünschen" - statt durch Anwendung der jeweiligen Gesetze zu lösen.

Trotz politischer Festlegungen kommt es viel zu oft zu bodenverzehrenden Raumordnungsregelungen, zur Missachtung von nachhaltigen Verkehrskonzepten und Stadtbildschutz-Auflagen. Land- und Bodenverlust sind ein österreichweites Problem.

Die Grenzen einer partizipativen Raumordnung zeigen sich insbesondere in Ballungsräumen. Beim Projekt Heumarkt etwa wurden die Grundsätze der Raumordnung missachtet, die Trennung von Verwaltung, Bauwirtschaft und Politik ignoriert und der Verlust des Welterbes in Kauf genommen. In der Steiermark haben Gesetzes-Umgehungsversuche mit nachträglicher anlassbezogener legistischer Reparatur zu jahrelanger Verunsicherung von Betreibern eines Einkaufszentrums und der Bevölkerung geführt, von der Kostenfrage ganz zu schweigen. Nach Jahren sind die Verfahren noch immer nicht abgeschlossen.

Zu wenig Personal

Ein schon aufgrund seines Umfangs besorgniserregendes Thema ist die Qualität der Wohnversorgung in den Städten und größeren Kommunen. Dabei fällt auf, dass es bezüglich der Standards eine große Spannweite gibt (so sind zum Beispiel mehr als 220.000 Wohnungen, die in Wien im Laufe der vergangenen hundert Jahre errichtet wurden, unterschiedlich reparatur- und sanierungsbedürftig). Rat und Hilfe, Anleitung zu gesetzeskonformen Verbesserungen, leistbare Angebote für Menschen mit Behinderungen - in sehr vielen Bereichen gibt es absoluten Verbesserungsbedarf, der mit dem weiteren Zuzug in die Städte nicht kleiner wird. In den großen Bereich des Zusammenlebens fallen auch die Prüfergebnisse und Herausforderungen bezüglich des Zustandes und der (personellen) Ausstattung der Pflegeheime und Spitäler: Zu wenig Personal, vor allem in den Nachtstunden, zu selbstverständlich der Griff zu (sedierenden) Medikamenten und Ähnliches.

Moderne, zeitgemäße Gesellschaften sind auch daran zu messen, wie sie mit Polizei und Justiz umgehen. Über einen längeren Zeitraum hindurch kritisiert die Volksanwaltschaft den Zustand und die Ausstattung der Straf- und Maßnahmenvollzugs-Einrichtungen sowie die mangelnde Orientierung am Resozialisierungsprinzip.

Sachwalterrecht reformiert

Verbesserungsbedarf gibt es bezüglich der Auswirkung von Gesetzesreformen. Der rasche Wandel in der elektronischen Verwaltung fordert besonders ältere Menschen heraus. Immer mehr Verwaltungsabläufe sind der Digitalisierung unterworfen und werden entpersonalisiert, was zur Schaffung einer "Zweiklassen-Gesellschaft" beiträgt. Wenn in der Folge traditionelle Antwortwege sanktioniert werden, entsteht eine Benachteiligung großer Gruppen.

Ein Beispiel für den erfolgreichen Einsatz der Volksanwaltschaft ist die Reform des Sachwalterrechts. Seit 1. Juli 2018 ist das neue Erwachsenenschutzgesetz in Kraft. Die ersten Erfahrungen bestätigen die Richtigkeit dieser Entwicklung von der "Entmündigung" hin zu "Empowerment". Das Gesetz findet bereits internationales Interesse.

Offen und für die Zukunft herausfordernd bleibt das Thema, wie das Zusammenleben der verschiedenen Generationen gelingen kann, insbesondere in Zeiten, in denen ältere Menschen Hilfe brauchen, um ihren Lebensabend menschenwürdig zu verbringen. In einer globalisierten Gesellschaft dürfen auch die Interessen der Kinder nicht missachtet werden, nicht nur aus menschenrechtlicher Sicht. Sich dieser komplexen Themen anzunehmen, wird vornehme aber nicht minder dringliche Aufgabe der nächsten Ära der Volksanwälte in ihrem "Menschenrechtshaus" sein.