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Meinungsfreiheit versus Unwahrheiten

Von Petra Tempfer

Recht

Ein Arzt sprach sich öffentlich gegen das Impfen aus - ob das mit seinem Beruf vereinbar ist, berät der Verfassungsgerichtshof in seiner aktuellen Session. Ein Erkenntnis wird im Juni erwartet.


Wien. Viren und Bakterien seien gar nicht so gefährlich, zumindest nicht, was die Zeckenschutzimpfung betrifft, sie seien etwas ganz Natürliches - ein zwingender Grund, sich impfen zu lassen, bestehe daher nicht. Diese Botschaft, mit satirischem Einschlag, verbreitete ein Arzt im Jahr 2016 auf seiner Webseite. Heute ist der Fall Teil der aktuellen Juni-Session des Verfassungsgerichtshofes (VfGH), die am 11. Juni begonnen hat. Für die Beratungen sind laut VfGH wie üblich rund drei Wochen veranschlagt. Sie werden von Vizepräsident Christoph Grabenwarter geleitet, der mit dem Zurücklegen des Amtes durch die bisherige Präsidentin und jetzige Bundeskanzlerin Brigitte Bierlein mit Ablauf des 2. Juni die interimistische Leitung übernommen hat.

Im Fall des besagten Arztes habe sich der VfGH konkret mit der verfassungsgesetzlich geschützten Meinungsfreiheit zu beschäftigen, präzisiert dieser im Gespräch mit der "Wiener Zeitung". Doch vorerst zurück ins Jahr 2016. Damals habe das Herunterspielen der Gefahren von Bakterien und Viren erst einmal dazu geführt, dass der Disziplinarrat der österreichischen Ärztekammer ein Disziplinarverfahren gegen den Arzt eingeleitet habe, so der VfGH. Die Konsequenz: Über den Arzt wurde 2017 eine Disziplinarstrafe von rund 1000 Euro verhängt.

Das Ansehen der Ärzteschaft

Dieser wollte das aber offenbar so nicht akzeptieren und hat dagegen laut VfGH Beschwerde an das Landesverwaltungsgericht Steiermark erhoben - das diese jedoch im November 2018 als unbegründet abgewiesen hat. So kam der Fall schließlich vor den VfGH.

Konkret gehe es dabei um die zwei Aspekte, dass zwar die Meinungsfreiheit gemäß Art. 10 der Europäischen Menschenrechtskonvention grundrechtlich geschützt ist - es gleichzeitig aber auch Bestimmungen gebe, die Ärzten gewisse Berufspflichten auferlegen, heißt es vonseiten des VfGH. In der Verordnung der Österreichischen Ärztekammer (ÖÄK) über die Art und Form zulässiger ärztlicher Informationen in der Öffentlichkeit ist - auch auf der ÖÄK-Webseite abrufbar - unter anderem zu lesen: §1. Der Ärztin (dem Arzt) ist jede unsachliche, unwahre oder das Ansehen der Ärzteschaft beeinträchtigende Information untersagt. §2. (1) Unsachlich ist eine medizinische Information, wenn sie wissenschaftlichen Erkenntnissen oder medizinischen Erfahrungen widerspricht.

"Der Verfassungsgerichtshof muss nun entscheiden, wie sich dieser Fall zu dem Rahmen verhält, der durch die Meinungsfreiheit gebildet wird, und in welchem Verhältnis die Verordnung dazu steht", so der VfGH. Trotz der Brisanz des Themas und vehementer Befürworter und Gegner der Impfpflicht, die sich zuletzt beim gehäuften Auftreten von Masern Anfang dieses Jahres in Graz wieder lautstark zu Wort gemeldet haben, gibt es laut VfGH noch keine einschlägige Judikatur dazu. Dieser werde voraussichtlich noch im Juni entscheiden.

Mit dem Thema Meinungsfreiheit hat sich der VfGH in einem weiteren Fall zu beschäftigen, in dem er ebenfalls noch im Juni entscheiden könnte, wie es heißt. In diesem geht es um öffentlichen "Anstand": nämlich um die Frage, ob das Schwenken einer großen Fahne mit der Aufschrift "ACAB" ("All Cops are Bastards") bei einem Fußballspiel eine "Anstandsverletzung" im Sinne des Wiener Landes-Sicherheitsgesetzes ist.

Wann der Staat eingreifen darf

Das Fußballspiel fand bereits vor zwei Jahren in Wien statt. Hintergrund ist laut VfGH ein Verwaltungsstrafverfahren. In erster Instanz habe die Landespolizeidirektion Wien eine Geldstrafe von 350 Euro nach dem Wiener Landes-Sicherheitsgesetz verhängt. Ende 2018 haben die Schwenker der Fahne Beschwerde eingebracht. Sie machten - genauso wie der Arzt - den Verstoß gegen die Meinungsfreiheit geltend.

Art. 10 der Europäischen Menschenrechtskonvention schützt grundsätzlich jede Form der Meinungsäußerung. Diese ist weit gefasst, auch die Kommunikationsfreiheit zählt dazu. Es gibt aber einen Gesetzesvorbehalt, der die Möglichkeit vorsieht, die Meinungsfreiheit zu beschränken - "sofern diese Beschränkung in einer demokratischen Gesellschaft zwingend notwendig ist", so der VfGH. Sie müsse bestimmten öffentlichen Interessen dienen wie zum Beispiel der nationalen oder territorialen Sicherheit, dem Schutz des guten Rufes oder dem Schutz der Rechte anderer. Die Frage sei also, unter welchen Voraussetzzungen der Staat eingreifen darf, indem er Meinungsäußerungen bestraft.

Über all dem steht laut VfGH jedoch die Maxime, dass die Beschränkungen nicht über das hinausgehen dürften, was in einer demokratischen Gesellschaft notwendig sei. Dazu gebe es bereits eine Judikatur des VfGH und auch mehrere Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte. In diesen "wurde mehrmals festgehalten, dass eine Demokratie auch Meinungsäußerungen dulden muss, die andere Menschen schockieren", heißt es vom VfGH.

Auf dessen Tagesordnung steht weiters ein Fall, in dem es um die Verleihung der Staatsbürgerschaft geht. Konkret um eine etwa 70-jährige Ausländerin, die seit mehr als 50 Jahren in Österreich lebt. Die Wiener Landesregierung habe über ihren Antrag auf Einbürgerung gar nicht entschieden, heißt es vom VfGH, woraufhin eine Säumnisbeschwerde an das Verwaltungsgericht Wien gerichtet wurde - das den Antrag abgewiesen habe.

Einbürgerung trotz Sozialhilfe?

"Eine allgemeine Voraussetzung für die Verleihung der Staatsbürgerschaft ist, dass der Lebensunterhalt ausreichend gesichert ist", so der VfGH dazu. Und zwar nicht durch die öffentliche Hand. Diese Verschärfung des Staatsbürgerschaftsrechts war 2006, in den letzten Monaten der ersten schwarz-blauen Koalition in Österreich, eingeführt worden. 2013 hat der VfGH diese Bestimmung aufgehoben, weil sie in vielen Fällen behinderte Menschen traf, woraufhin sie der Gesetzgeber repariert hat. Behinderte Menschen und Menschen mit einer schwerwiegenden Krankheit sind nun von dem Passus, dass der Lebensunterhalt ausreichend gesichert sein muss, ausgenommen (§ 10 Abs. 1b StbG).

Ältere Menschen laut Verwaltungsgericht Wien allerdings nicht: Diesem zufolge kommt § 10 Abs. 1b StbG hier nicht zum Tragen, weil die Erwerbsunfähigkeit der Beschwerdeführerin nicht auf eine Erkrankung oder Behinderung oder eine sonstige unverschuldete Notlage, sondern auf "das normale Alter" zurückzuführen ist. Ob die Ausnahmeregelung tatsächlich nicht für Menschen im Pensionsalter gilt, das wird der VfGH klären.

In einem medial äußerst präsenten Fall hat dieser diese Woche entschieden: Mit Erkenntnis von Dienstag hat der VfGH den Antrag der Wiener Landesregierung zum Tabak- und Nichtraucherschutzgesetz in der seit 1. Mai 2018 geltenden Fassung abgewiesen. Das heißt, die Bestimmungen, die für "Räume der Gastronomie" eine Ausnahme vom allgemeinen Rauchverbot an öffentlichen Orten vorsehen, gelten weiterhin. Ein Rauchverbot in der Gastronomie dürfte dennoch kommen - und zwar über einen Nationalratsbeschluss.