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Für einen Justiz-Konvent

Von Peter Hilpold

Recht
© adobe.stock/Frank Wagner

Die Probleme der österreichischen Justiz sind nicht nur budgetärer Natur.


Als Anfang Juli 2019 Justizminister Clemens Jabloner den Notruf vom "stillen Tod der österreichischen Justiz" aussandte, war die Reaktion enorm: Auf breiter Ebene wurde Beifall gezollt, und es wurden von allen Regionen Österreichs empirische Belege über inakzeptable Personal- und Budgetengpässe in der Justiz eingemeldet. Die Richtervereinigung schloss sich dieser Kritik an ("Können Leistungen nicht mehr erbringen"), und in einzelnen Medien wurde sogar die Warnung vor einem "Zusammenbruch der Justiz" lanciert. In einem Rechtsstaat müssen solche Äußerungen von höchsten Verantwortungsträgern tatsächlich alle Alarmglocken schrillen lassen. Sofortige budgetäre Vorkehrungen zur Abwendung dieser Gefahren erscheinen auf dieser Grundlage ein absolutes Muss zu sein.

Mit der Zeit mischten sich allerdings unterschiedliche Äußerungen in dieses Diskussionsbild, und zwar in dem Sinne, dass die Probleme der Justiz nicht nur budgetärer Natur sind, sondern dass im Gegenteil systemische Mängel vorliegen, die immer geäußert, aber dann verdrängt worden sind.

Vergleichsweise hohe Verfahrenskosten in Österreich

Es kann wohl keinen günstigeren Zeitpunkt als den jetzigen geben, diese Fragen umfassend anzugehen. Der Unterfertigte ist in Wissenschaft und Lehre im Bereich der Rechtsvergleichung und des internationalen Rechts tätig und ist in diesem Zusammenhang immer wieder auf entsprechende Diskrepanzen, Kritik, Anregungen gestoßen, die er hier - aus Platzgründen nur stark verkürzt und selektiv - wiedergeben möchte.

Was Kollegen aus dem Ausland sofort auffällt, sind die vergleichsweise hohen Verfahrenskosten in Österreich. Hier stellt sich die Frage nach einem wirksamen Zugang zu einem Gericht. Auch schon allein eine arbeitsrechtliche Streitigkeit kann für den Kläger wirtschaftlich ruinös sein.

Weitreichenden Reformbedarf gibt es sicherlich im Strafrecht, gerade in Zeiten, in denen die Sensibilität gegenüber Korruption immer geringer wird und darin immer mehr und zu Recht ein Grundübel für das Funktionieren eines modernen Gemeinwesens gesehen wird. So ist auffallend, dass der Straftatbestand des Amtsmissbrauchs gemäß § 302 StGB im Zuge der Privatisierungstendenzen in der öffentlichen Verwaltung auf immer weniger Sachbereiche zur Anwendung kommt, was letztlich den Schutz von Staat und Bürger vor einem zersetzenden Fehlverhalten von Funktionsträgern stark reduziert. Die in Österreich besonders restriktiven Anwendungsvoraussetzungen für diesen Straftatbestand tun ihr Übriges, um das diesbezügliche Vertrauen der Bürger in eine wirksame Strafverfolgung zu unterminieren.

Stellung des Rechnungshofs wäre dringend reformbedürftig

Diskussionen ruft immer wieder die Berufung auf § 35c StAG hervor, auf dessen Grundlage bei Fehlen eines Anfangsverdachts Ermittlungen durch die Staatsanwaltschaft unterbleiben können. Diese Bestimmung darf aber nicht so ausgelegt werden, dass sie die Vornahme von Ermittlungen in das Belieben der Staatsanwaltschaft stellt, da eine solche Regelung wohl nicht nur gegen Verfassungsrecht, sondern auch gegen internationales Recht verstoßen würde.

Dringend reformbedürftig wäre die Stellung des Rechnungshofs, der wertvolle Arbeit bei der Korruptionsbekämpfung leistet. Dessen Kontrollrechte sind aber zum Teil in nicht nachvollziehbarer Weise eingeschränkt (siehe Parteienfinanzierung), beziehungsweise können dessen Feststellungen einfach ignoriert werden, ohne dass Folgen für die Verantwortlichen resultieren würden. Die Ansiedlung einer eigenen Staatsanwaltschaft beim Rechnungshof, so wie dies in anderen Ländern der Fall ist, kann hier Grundlegendes ändern und Korruption wirksam bekämpfen.

Immer wieder aufgeworfen wird die Frage der Bestellung der Verfassungsrichter und die Ausübung dieser Tätigkeit "im Nebenjob". Die Aufgaben des VfGH sind mittlerweile derart vielfältig geworden, dass eine Unvereinbarkeit dieser Tätigkeit - zumindest mit anderen öffentlichen Funktionen - unbedingt angedacht werden müsste, auch um Befangenheitssituationen auszuschließen. Eingeführt werden muss auch eine verfassungsgerichtliche Kontrolle von Urteilen - was aber wiederum den Arbeitsanfall beim VfGH erhöhen und die genannten institutionellen Reformen noch dringender erforderlich machen würde.

Der große Glücksfall für die österreichische Justiz war der Beitritt Österreichs zur EU, der die österreichischen Gerichte definitiv in ein europäisches Gerichtssystem einbinden sollte. Man muss aber den Eindruck gewinnen, dass dieser Schritt noch nicht richtig in seinen Konsequenzen nachvollzogen worden ist. Dies beginnt schon mit der Ausbildung und Fortbildung, in der das europäische und das internationale Recht noch immer einen zu geringen Stellenwert haben. So müssten auch in Österreich das Vorlagerecht und die Vorlagepflicht, wenn es um die Auslegung von EU-Recht geht, ernst(er) genommen werden.

Österreich könnte ein Zeichen setzen

In Fragen der Ausbildung müssen sich aber auch die Universitäten selbst vorhalten lassen, die Hausaufgaben nicht erledigt zu haben: Wenn die Möglichkeit besteht, die Diplomprüfung aus Europarecht nicht an der Universität, sondern beim selben Prüfer auf der Grundlage eines auswärtigen, 14-tägigen Kurses gegen Bezahlung - mit einer Erfolgsrate, die man sich vorstellen kann - abzulegen, haben wir ein Problem.

Die hier angeführten Punkte stellen selbstverständlich nur einen Teilausschnitt der Diskussion rund um eine Reform der österreichischen Justiz und ihrer Rahmenbedingungen dar. Ebenso selbstverständlich wird vieles - ob interessengeleitet oder nicht - von anderen Beteiligten auch anders dargestellt respektive interpretiert als hier. Woran aber kein Zweifel bestehen kann, ist der Umstand, dass diese Diskussion umfassend geführt werden muss.

Dazu möchte der Unterfertigte die Organisation eines Justiz-Konvents vorschlagen, unter Beteiligung von Wissenschaft, Praxis und Politik - mit nationaler und internationaler Beteiligung. Die budgetäre Frage wird dabei ein Thema sein, aber nicht das einzige. Österreich könnte damit auch international ein Zeichen setzen und dazu beitragen, dass eine auf derartiger Basis vereinbarte Reform von der Bevölkerung auf breiter Ebene mitgetragen wird.