In der Öffentlichkeit wird das Vergaberecht wenig wahrgenommen, praktisch hat es aber eine enorme Bedeutung. Es regelt die Vergabe öffentlicher Aufträge und damit einen Bereich, in dem es um erkleckliche Summen geht: Eine Studie der Technischen Universität Wien bezifferte das Beschaffungsvolumen aller öffentlichen Akteure in Österreich für das Jahr 2015 mit 60,7 Milliarden Euro.
Mit Detailfragen dieses wichtigen Rechtsgebietes befasste sich am Mittwoch das "Expertenforum Vergabewesen" in Wien. Es wurde von lieferanzeiger.at, einem Produkt der "Wiener Zeitung", veranstaltet. Im Mittelpunkt standen die Auswirkungen des neuen Bundesvergabegesetzes. Es ist seit August 2018 in Kraft. Vergaberechtsexperte Josef Aicher, Keynotespeaker des Forums, bewertet das Gesetz als "durchaus positiv".
"Wiener Zeitung": Herr Aicher, mit den Reformen wollte der Gesetzgeber das Bestbieterprinzip stärken. Nicht mehr der billigste, sondern der qualitativ beste Bieter soll nun zum Zug kommen. Folgen die Auftraggeber in der Praxis diesem Wunsch?
Josef Aicher: Die Verstärkung des Bestbieterprinzips erfolgte bereits durch die Novelle des Bundesvergabegesetzes 2015. Für - grob gesprochen - "standardisierte Leistungen" gilt nach wie vor das Billigstbieterprinzip. Aber auch beim Bestbieterprinzip werden Qualitätskriterien in der Praxis mitunter mit so geringem Gewicht versehen, dass letztlich der Preis allein maßgeblich ist.
Ist in der Praxis also nach wie vor immer nur der Preis ausschlaggebend?
So generell kann man das nicht formulieren, es hängt auch von der Unternehmenskultur des Ausschreibenden ab. Ich glaube aber, dass sich die Bieter und ihre Interessenvertretungen in diesem Punkt mehr erwartet haben.
Was könnte man hier nachbessern?
Ich denke, dass sich die Diskussion um den Vorzug von Qualität vor dem Preis zu sehr auf die beiden Zuschlagsprinzipien konzentriert hat. Dabei ist die qualitätssteigernde Möglichkeit von entsprechenden Eignungskriterien und in den zweistufigen Verfahren von Auswahlkriterien zu sehr in den Hintergrund getreten.
Im Fokus stehen immer wieder öffentliche Großbauprojekte, bei denen die Kosten explodieren - Stichwort KH Nord. Welche Rolle nimmt bei solchen Projekten das Vergaberecht ein?
Das Hauptproblem bei solchen Projekten ist oft, dass der Auftraggeber zur Vergabe des Bauprojekts schreitet, obwohl die Planungen noch nicht unter Dach und Fach sind.
Nach dem Motto: "Wird schon nix passieren"?
Ja. Das Problem dabei ist: Dem Generalplaner, der den Zuschlag erhält, werden nicht alle nötigen Informationen für den Bau gegeben, weil diese beim Bauherrn selbst noch nicht vorliegen. Und ein häufiger Kostentreiber ist die Bauvergabe bei unzureichendem Planungsstand. Hierbei gerät der Generalplaner unter Zeitdruck, weshalb er ihm obliegende Detailplanungen an die ausführenden Firmen in Form von Werksplanungen auslagert. Kommt es dann zu Streitigkeiten, überlagern sich die Zuständigkeiten.
Als Universitätsprofessor lehren Sie unter anderem auch Vergaberecht. Trotz der praktischen Bedeutung fällt jedoch auf, dass dieses Rechtsgebiet im Jus-Studium nur eine geringe Rolle einnimmt.
Es gibt kaum eine große Anwaltskanzlei, die nicht ein oder zwei Vergaberechtsexperten hat, teils sind sie darauf spezialisiert. Die Kanzleien haben auch Nachwuchsprobleme, weil Jus-Absolventen herzlich wenig Ahnung vom Vergaberecht haben. Gemessen an der faktischen Bedeutung ist es universitär also sicherlich unterrepräsentiert.
Warum ist das so? Ist das Vergaberecht eine zu sperrige Materie?
Ich glaube, dass es ein Mengenproblem ist. Der Lehrstoff in den traditionellen juristischen Fächern ist schon sehr umfangreich. Im normalen Vorlesungsbetrieb noch weitere Fächer unterzubringen, ist schwer. (red)