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Eine Wahlreform in Österreich ist nötig

Von Michael Lidauer und Armin Rabitsch

Recht

Der Urnengang bei der Nationalratswahl hat gezeigt, dass die Wahlprozesse internationalen Standards teilweise nicht entsprechen.


Die Österreicher haben am 29. September den Nationalrat gewählt - und abermals wurde die zunehmende Zahl von mehr als 950.000 Briefwahlkarten erst in den Tagen nach dem Wahltag ausgezählt. In anderen Ländern, beispielsweise in Deutschland, werden die Wahlkarten von Briefwählern bereits am Wahltag in die Auszählung miteinbezogen. Das wäre auch in Österreich wünschenswert, um genaue Ergebnisse für jede Gemeinde bereits am Wahlsonntag zu erhalten. Einmal mehr hat die Durchführung der vorgezogenen Nationalratswahl gezeigt, dass die Wahlprozesse teilweise nicht guten internationalen Praktiken entsprechen und Wahlreformen in Österreich mehr denn je gefordert sind - und zwar auf mehreren Ebenen.

Öffnung des Beisitzes: Gemeindebund und Wahlbehörden beklagen, dass Parteien zunehmend Schwierigkeiten haben, genügend Wahlbeisitzer zu nominieren. Denn die Funktion des Wahlbeisitzes hat durch Verurteilungen in Folge nachlässiger Durchführung und Missachtung vorgesehener Sicherheitsvorkehrungen bei der Bundespräsidentenstichwahl 2016 an Ansehen verloren. Es braucht daher eine Aufwertung und Verjüngung.

Wahlbeobachtung.org, eine unparteiische Initiative zur Verbesserung von Wahlprozessen in Österreich und der EU, schlägt vor, den Wahlbeisitz über von Parteien nominierte Personen hinaus zu öffnen, etwa für Jungwähler und Studierende; dies bei angemessener Entschädigung, verpflichtenden Trainingsmöglichkeiten und verbunden mit Maßnahmen für politische Bildung. Wahlbeobachtung.org führt mit der Universität Wien eine Erhebung zu diesem Thema durch, um Verbesserungen zu erreichen.

Erhöhte Transparenz und verstärkte Rechenschaftspflicht: In den vergangenen Monaten wurde verabsäumt, eine progressive Reform der Wahlkampf- und Parteienfinanzierung einzuleiten. Nicht zuletzt durch die Medienberichterstattung über Spenden an Parteien, die die Berichtspflicht umgingen, wurde das Thema auch Teil des Wahlkampfes. Die nächsten Berichte der Parteien an den Rechnungshof werden zeigen, ob abermals die erlaubte Höchstgrenze überschritten wurde.

Die Parlamentsparteien haben zu Beginn der Übergangsregierung ein neues Regelwerk verabschiedet, dieses wurde aber weder ausreichend mit Experten besprochen, noch war es weitreichend genug. In Umsetzung der Gesetzesnovelle hat der unabhängige Parteien-Transparenz-Senat erstmals ein dreiköpfiges Team rekrutiert, um die Wahlkampfausgaben der politischen Parteien zu analysieren und einen Bericht zu publizieren. Mangelnde Transparenz und Rechenschaftskontrolle von Wahlkampf- und Parteienfinanzierung wurden bisher auch in Berichten der OSZE und des Europarats (Greco) kritisiert.

Monitoring des Wahlkampfs auf sozialen Medien: Der vergangene Wahlkampf hat neue Maßstäbe gesetzt, was die Nutzung sozialer Medien seitens der Kandidaten und Parteien betrifft. Erstmals kam auf Facebook eine Werbebibliothek ("Ad Library") zum Einsatz, die zu höherer Transparenz von Online-Wahlwerbung beitragen soll. Sogenanntes "Microtargeting", auf einzelne Nutzer abgestimmte Wahlwerbung, aber auch strategische Missinformation, "Fake News" und der Gebrauch aggressiver Sprache sind bislang kaum systematischer Beobachtung und unabhängiger Kontrolle ausgesetzt ist.

Die jüngste Bestätigung des Facebook-Urteils aus Österreich seitens des Europäischen Gerichtshofs (EuGH), das die Plattform dazu verpflichtet, beleidigende Äußerungen nicht nur innerhalb nationaler Grenzen, sondern global zu entfernen, zeigt auch die internationale Dimension des Themas.

Wahlbeobachtung.org hat seit Anfang September ein Pilotprojekt zur Beobachtung des Wahlkampfes in sozialen Medien durchgeführt, das offizielle Auftritte in sozialen Medien (Facebook, Twitter, YouTube) von Parteien und Kandidaten inkludiert. Die Ergebnisse dieser Untersuchungen werden in den kommenden Wochen ausgewertet und ein Bericht mit Empfehlungen wird zeitnah präsentiert.

Anstehende Wahlreformen: Im September 2018, auf Einladung des Parlamentspräsidenten und der Parlamentsdirektion, präsentierte wahlbeobachtung.org Vorschläge für Wahlreformen im Parlament und diskutierte diese mit den Verfassungssprechern aller Parlamentsparteien und Vertretern der Wahlabteilung im BMI als auch der OSZE.

Es gab zwar so manchen Konsens zwischen den Parteien, punktuelle Wahlreformen wurden auch Teil der letzten Regierungsvereinbarung. Seither wurden allerdings kaum Reformen umgesetzt - nicht zuletzt, da der Zeitraum vor der Europawahl dafür als zu kurz betrachtet und danach die verantwortlichen Akteure von den Neuwahlen überrascht wurden. Nach der Wahl ist nun wieder vor der Wahl. Empfehlungen für Wahlreformen von zivilgesellschaftlichen Organisationen, OSZE und Europarat (Greco) sollten ernst genommen, ins neue Regierungsprogramm aufgenommen und in der kommenden Legislaturperiode unter Einbeziehung der Zivilgesellschaft und Experten umgesetzt werden.

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