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Gekündigter ficht Staatsvertrag vor Verfassungsgerichtshof an

Von Petra Tempfer

Recht

Ein Ex-Mitarbeiter der Opec klagte vor dem Arbeitsgericht - die internationale Organisation kann wegen ihrer Immunität aber nicht geklagt werden. Das verstoße gegen die Menschenrechtskonvention, so der Ex-Mitarbeiter.


Jeder hat das Recht auf ein faires Verfahren, steht im Artikel 6 der Europäischen Menschenrechtskonvention geschrieben - wie kommt man aber zu seinem Recht, wenn kein Gericht für einen zuständig ist? Wenn jeder Versuch, sich rechtliches Gehör vor einer unabhängigen Instanz zu verschaffen, im Keim erstickt wird? Der Verfassungsgerichtshof (VfGH) prüft in seiner aktuellen, dreiwöchigen Session, die am 25. November gestartet ist, einen solchen Fall: Ein gekündigter Opec-Mitarbeiter aus Österreich, dessen Klage vor dem Arbeitsgericht wegen Unzuständigkeit zurückgewiesen wurde, ficht einen bilateralen Staatsvertrag an. Durch diesen habe er keine Chance auf ein faires Verfahren, sagt er und beruft sich auf Artikel 6 der Menschenrechtskonvention.

Die Problematik dabei ist, dass die Opec, also die Organisation erdölexportierender Länder, als internationale Organisation Immunität in jenem Staat genießt, in dem sie ihren Sitz hat - in Österreich. Das bedeute, dass sie vor einem Gericht des Sitzstaates nicht geklagt werden könne, heißt es dazu vom VfGH im Gespräch mit der "Wiener Zeitung". "Auch nicht in arbeitsrechtlichen Angelegenheiten."

"Die Opec hat keinen Staat"

Konkret gehe es dabei um das Amtssitzabkommen: einen völkerrechtlichen Vertrag, den die Republik Österreich 1965, als sich die Opec hier angesiedelt hat, mit dieser schloss. Das Amtssitzabkommen erkennt die Immunität der Opec an und legt fest, dass diese von jeglicher Rechtsprechung befreit ist. Es sei denn, die Opec selbst verzichtet ausdrücklich auf die Immunität.

Nachdem besagter Mitarbeiter nun gekündigt worden war, wandte er sich an das Arbeits- und Sozialgericht Wien, um gegen die seiner Ansicht nach rechtswidrige Kündigung vorzugehen. Das Gericht wies die Klage zurück - es sei nicht zuständig, so die Begründung. "Die Frage ist: Wo kann der Mitarbeiter überhaupt gegen die Kündigung vorgehen", heißt es vom VfGH. Bei den österreichischen Arbeitsgerichten aufgrund des Amtssitzabkommens jedenfalls nicht. Diese Rechtslage verstoße gegen Artikel 6 der Europäischen Menschenrechtskonvention, so der Einwand des Ex-Mitarbeiters, der Rekurs erhob und sich an den VfGH wandte. "Das in Artikel 6 genannte faire Verfahren impliziert, dass es einen Zugang zu einem Gericht gibt", so der VfGH dazu.

Diese ganz spezielle Sachlage sei noch brisanter als etwa bei einem Botschaftsmitarbeiter. Dieser könne den Staat zwar nicht im Ausland, sehr wohl aber im Staat selbst klagen. "Eine internationale Organisation wie die Opec hat jedoch keinen ,Herkunftsstaat‘. Sie ist selbst eine juristische Person."

Ähnlicher Fall zum Fiskalpakt

Andere internationale Organisationen haben im Unterschied zur Opec allerdings mitunter ein "Verwaltungsgericht", das bei Streitigkeiten mit der Organisation angerufen werden kann. Die EU zum Beispiel verfügt über ein Gericht in Luxemburg, an das sich vor allem EU-Beamte wenden können. Auch innerhalb der UNO oder der Nato gibt es Gerichte oder gerichtsähnliche Einrichtungen, die der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) grundsätzlich akzeptiert. Beschränkungen des Zugangs zu einem (staatlichen) Gericht als Folge der Immunität einer internationalen Organisation lassen sich, so der EGMR, nur dann rechtfertigen, wenn innerhalb dieser Organisation ein gleichwertiger Rechtsschutz gewährleistet ist. Eine solche Beschwerdemöglichkeit sei aber im vorliegenden Fall, so der Antragsteller, nicht gegeben.

"Dass ein Staatsvertrag beim Verfassungsgerichtshof angefochten wird, kommt äußerst selten vor", heißt es vom VfGH dazu. Die meisten Normenkontrollverfahren beträfen Bundes- oder Landesgesetze und Verordnungen. Die letzten Verfahren, in denen der VfGH die Verfassungsmäßigkeit eines Staatsvertrages zu prüfen hatte, liegen laut diesem mehrere Jahre zurück. 2013 war es der Fiskalpakt zwischen den Mitgliedstaaten der EU, den die damaligen Oppositionsparteien FPÖ, Grüne und BZÖ über einen Drittelantrag vor die Verfassungsrichter gebracht hatten. Denn nur die damaligen Regierungsparteien SPÖ und ÖVP hatten 2012 dem "Vertrag über Stabilität, Koordinierung und Steuerung in der Wirtschafts- und Währungsunion" zugestimmt. Die Opposition meinte, dieser sei nicht richtig beschlossen worden. Eine Zwei-Drittel-Mehrheit wäre nötig gewesen, weil der Fiskalpakt die Verfassung ändere und der innerstaatlichen Budgethoheit zuwiderlaufe - etwa mit der Schuldenbremse.

Der VfGH wies den Oppositionsantrag damals ab. 2014 wies er schließlich einen Antrag des Verwaltungsgerichtshofs ab, der gegen das Doppelbesteuerungsabkommen zwischen Österreich und Liechtenstein gerichtet war.

Dass sich wie beim aktuellen Fall der gekündigte Mitarbeiter direkt an den VfGH wenden konnte, ist übrigens erst seit vier Jahren möglich: 2015 wurde der sogenannte Parteiantrag auf Gesetzesprüfung (auch Gesetzesbeschwerde genannt) eingeführt. Mithilfe dieses Antrags kann seitdem jede Verfahrenspartei im Zuge eines Rechtsstreits vor einem ordentlichen Gericht den VfGH direkt anrufen - falls erstinstanzlich entschieden und dagegen berufen worden ist. Bis zur Entscheidung des VfGH ist das Verfahren vor dem Rechtsmittelgericht ausgesetzt.

Bis 2014 konnten die Parteien eines Verfahrens vor einem ordentlichen Gericht lediglich anregen, dass dieses ein Gesetz vor dem VfGH anficht. Von diesem Anfechtungsrecht hätten die ordentlichen Gerichte jedoch nur sehr zurückhaltend Gebrauch gemacht, heißt es vom VfGH. Dieser sei daher nur selten in die Lage gekommen, vor allem zivil- und strafrechtliche Bestimmungen zu prüfen. Der Parteiantrag auf Gesetzesprüfung sei in den vier Jahren sehr gut angenommen worden: Seit 2015 seien rund 1000 Anträge dieser Art eingegangen - in acht Fällen sei es zur Aufhebung eines Gesetzes gekommen.

Über die aktuelle Gesetzesbeschwerde des Ex-Opec-Mitarbeiters zum Staatsvertrag könnte laut VfGH noch in der laufenden Session entschieden werden. Auch im Verfahren zum Sicherheitspaket sei eine Entscheidung möglich. Dieses 2018 unter der türkis-blauen Koalitionsregierung verabschiedete Paket beschäftigt den VfGH seit Juni. Basis ist ein von 61 SPÖ- und Neos-Nationalratsabgeordneten eingebrachter Drittelantrag. Diese versuchen, einige der neuen Überwachungsmöglichkeiten für die Polizei wie den "Bundestrojaner" zu Fall zu bringen. Sie sehen vor allem das Recht auf Datenschutz verletzt. In dieselbe Richtung zielt auch ein etwas später von 21 SPÖ-Bundesräten eingebrachter Drittelantrag.

Kassenreform und Shishas

Über das Sozialversicherungs-Organisationsgesetz vom Dezember 2018, das zu einer Reduktion der Sozialversicherungsträger von 21 auf 5 mit Beginn 2020 führt, berät der VfGH ebenfalls weiter. 14 Anträge auf Gesetzesprüfung, unter anderen von der SPÖ-Bundesratsfraktion, liegen dem VfGH vor. Der Hauptreibungspunkt ist laut VfGH, dass dem verfassungsrechtlichen Grundsatz der Selbstverwaltung das Effizienzprinzip gegenüberstehe. Aufgrund der "Fülle an Bedenken" sei eine baldige Entscheidung ungewiss.

Auch das seit 1. November gültige Rauchverbot in der Gastronomie beschäftigt die Verfassungsrichter erneut. Mitte Oktober hatten diese einen Antrag der Nacht-Gastronomie, sie wegen einer möglichen Anrainer-Belästigung durch Raucher vor ihren Lokalen auszunehmen, abgewiesen. Diesmal sind es zwei Anträge von je zehn Shisha-Bar-Betreibern. Das Rauchverbot treffe sie unverhältnismäßig, heißt es, weil ihre Kunden ausschließlich deshalb kämen, um allein oder in Gesellschaft Wasserpfeife zu rauchen. Hunderte Shisha-Bars haben bereits angekündigt, zusperren zu müssen - womöglich noch vor der Entscheidung des Höchstgerichts.