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Ibiza als Neuland für das Höchstgericht

Von Petra Tempfer

Recht

Was ist überhaupt Gegenstand des U-Ausschusses? Der VfGH muss sich erstmals mit einer Frage wie dieser beschäftigen.


Die aktuelle Session des Verfassungsgerichtshofes von 24. Februar bis 13. März ist nicht nur eine Premiere für Christoph Grabenwarter als Präsident. Der Verfassungsgerichtshof (VfGH) hat sich auch erstmals mit der Frage zu beschäftigen, was überhaupt Gegenstand eines Untersuchungsausschusses ist - konkret des Ibiza-U-Ausschusses "betreffend mutmaßliche Käuflichkeit der türkis-blauen Bundesregierung", der auch Casinos-U-Ausschuss genannt wird.

Mit Untersuchungsausschüssen habe sich der VfGH in den vergangenen fünf Jahren zwar immer wieder beschäftigt - dass die Frage, was von diesen untersucht werden darf, strittig ist, sei aber eine Premiere, heißt es vom VfGH im Gespräch mit der "Wiener Zeitung". 2015 zum Beispiel, als sich dieser mit dem Hypo-U-Ausschuss zur Untersuchung der politischen Verantwortung für die Vorgänge rund um die Hypo Group Alpe-Adria beschäftigte, ging es um Fragen der Vorlagepflicht. Also darum, welche Unterlagen vorgelegt werden müssen und welche geschwärzt werden dürfen. Der Succus damals war, dass Unterlagen dann, wenn sie mit dem Untersuchungsgegenstand in Zusammenhang stehen, ungeschwärzt vorgelegt werden müssen. In anderen Fällen sei es darum gegangen, so der VfGH, dass vor den U-Ausschuss geladene Auskunftspersonen die ihnen gestellten Fragen als untergriffig empfanden und daher ihre Persönlichkeitsrechte verletzt sahen.

Einflussnahme auf Casinos

"Dazu gibt es schon Rechtsprechung", so der VfGH. Nicht aber zur grundlegenden Frage des Untersuchungsgegenstandes, zu der die Verfassung im Art 138b Abs 1 Z 1 B-VG ebenfalls eine Zuständigkeit des VfGH vorsieht.

Zur Vorgeschichte: Im Mai des Vorjahres wurde ein Video bekannt, in dem unter anderem Ex-FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache in einer Ferienvilla auf Ibiza der vermeintlichen Nichte eines russischen Oligarchen erklärte, wie verdeckte Parteispenden an die FPÖ geschleust werden könnten. Am 11. Dezember 2019 brachte ein Viertel der Mitglieder des Nationalrates ein Verlangen auf Einsetzung eines U-Ausschusses "betreffend mutmaßliche Käuflichkeit der türkis-blauen Bundesregierung" im Nationalrat ein. Erstmals in der Geschichte hat allerdings der Geschäftsordnungsausschuss mit Beschluss vom 22. Jänner dieses Jahres das Verlangen für teilweise unzulässig erklärt und dadurch den Untersuchungsgegenstand gegenüber dem Verlangen der Minderheit eingegrenzt.

Konkret wollten SPÖ und Neos sieben Punkte - in einem U-Ausschuss - untersuchen, darunter die Vollziehung des Glücksspielgesetzes, die Einflussnahme auf die Casinos Austria AG, die Vorbereitung von Gesetzesvorhaben unter Türkis-Blau und die straf- und disziplinarrechtlichen Ermittlungen in Folge des Ibiza-Videos. Der Geschäftsordnungsausschuss erklärte alle Punkte für unzulässig - ausgenommen die Einflussnahme auf die Casinos Austria AG.

Warum? "Die Mehrheit des Ausschusses hat sich auf die verfassungsrechtlichen Voraussetzungen für die Einsetzung eines Untersuchungsausschusses berufen. So besagt Art 53 Abs 2 B-VG, dass Gegenstand einer Untersuchung nur ein bestimmter abgeschlossener Vorgang im Bereich der Bundesvollziehung sein kann", so der VfGH. Auf genau diese drei Wörter "bestimmter abgeschlossener Vorgang" komme es an.

Alle Gesetzesvorhaben in der Zeit der türkis-blauen Regierung anzuschauen, sei kein bestimmter abgeschlossener Vorgang, so die Mehrheit des Ausschusses. SPÖ und Neos, die das Verlangen auf Einsetzung des U-Ausschusses eingebracht hatten, wollten das allerdings nicht so hinnehmen und haben den Beschluss des Ausschusses vor dem VfGH angefochten. Deren Bedenken: Der Untersuchungsgegenstand sei zu Unrecht verkleinert worden - das sei rechtswidrig im Hinblick auf Art 53 Abs 2 B-VG. Ihrer Ansicht nach handelt es sehr wohl um einen "bestimmten abgeschlossenen Vorgang".

Zwei Fälle zur Religionsfreiheit

Der VfGH ist nun aufgerufen, über die Rechtmäßigkeit des Beschlusses des Geschäftsordnungsausschusses zu entscheiden. "Das ist wirklich etwas komplett Neues für den VfGH", heißt es von diesem. Die Rechtsgrundlagen seien relativ allgemein, und der einzige rechtliche Maßstab für den Gerichtshof sei die Formulierung "bestimmter abgeschlossener Vorgang". Das mache es schwierig und die Beratungen vermutlich etwas langwieriger.

Neuland hatte der VfGH auch in seiner Dezember-Session betreten, als es um den Parteiantrag auf Gesetzesprüfung eines Ex-Opec-Mitarbeiters ging: Dieser hatte vor dem Arbeitsgericht gegen seine Kündigung geklagt - die internationale Organisation kann wegen ihrer Immunität aber nicht geklagt werden. Das verstoße gegen die Menschenrechtskonvention, so der Ex-Mitarbeiter (die "Wiener Zeitung" hat berichtet), der in seinem Antrag einen Verstoß gegen das Grundrecht auf Zugang zu einem Gericht geltend macht. Die Beratungen sollen fortgesetzt werden.

Und auch gleich zwei Fälle, die die Religionsfreiheit betreffen, stehen in der laufenden Session auf dem Programm: die Karfreitagsregelung sowie die Bezeichnung "islam. (IGGÖ)" in den Zeugnissen und Schulnachrichten.

Die Karfreitagsregelung betrifft das Arbeitsruhegesetz: Bis zum Ablauf des 21. März 2019 war der Karfreitag für Angehörige der evangelischen Kirchen AB und HB, der Altkatholischen Kirche und der Methodistenkirche ein gesetzlicher Feiertag. Diese Feiertagsregelung stammte aus 1955 und war die einzige, die - im Unterschied etwa zu Christtag und Stefanitag, die für alle Arbeitnehmer Feiertage sind - an das individuelle Religionsbekenntnis angeknüpft hatte. Sie galt solange, bis ein Mitarbeiter einer privaten Detektei, der keiner dieser Kirchen angehört, von seinem Arbeitgeber eine entsprechende Zahlung verlangte, nachdem er am Karfreitag 2015 gearbeitet hatte und sich wegen des vorenthaltenen Feiertagsentgelts diskriminiert gefühlt hatte. Er brachte die Angelegenheit vor Gericht.

Nachdem der Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH 22.1.2019, C-193/17, Achatzi) diese Regelung als unzulässige Diskriminierung aus Gründen der Religion qualifiziert hatte, wurde der Karfreitag mit BGBl. I 22/2019 als gesetzlicher Feiertag abgeschafft. An seine Stelle trat der persönliche Feiertag: Jeder Arbeitnehmer kann nun einen Urlaubstag pro Jahr zu seinem persönlichen Feiertag erklären. Er kann diesen einseitig bestimmen, allerdings mindestens drei Monate im Voraus.

Diese Änderung der Rechtslage wurde angefochten. Angehörige der evangelischen Kirchen AB und HB, der Altkatholischen Kirche und der Methodistenkirche haben beim VfGH einen Individualantrag auf Gesetzesprüfung eingebracht. Darin machen sie zweierlei Bedenken geltend: Einerseits einen Verstoß gegen die Religionsfreiheit, weil der Karfreitag für ihre spezifische religiöse Lehre einen besonderen Stellenwert habe und dessen Abschaffung unverhältnismäßig sei, wie sie sagen. Denn die Religionsfreiheit steht laut Europäischer Menschenrechtskonvention unter einem Gesetzesvorbehalt: Beschränkungen sind zulässig, müssen aber einem legitimen Ziel dienen und dürfen nicht über das absolut Notwendige hinausgehen. Andererseits machen sie gleichheitsrechtliche Bedenken geltend, weil der Karfreitag abgeschafft wurde, die anderen Feiertage weiterhin bestehen. Damit werde die evangelische Glaubensgemeinschaft schlechter behandelt.

Verstoß gegen Islamgesetz?

Einen Verstoß gegen die Religionsfreiheit sowie gegen das Islamgesetz 2015 sehen auch die islamische Glaubensgemeinschaft und eine Schülerin, die sich "ohne Einschränkung" zum Islam bekennt. Es geht um die Zeugnisformularverordnung und Rundschreiben des Bildungsministers, die in Zeugnissen sowie Schulnachrichten die Angabe der Zugehörigkeit zu einer gesetzlich anerkannten Kirche oder Religionsgesellschaft oder zu einer eingetragenen religiösen Bekenntnisgemeinschaft anordnen. In der Schulnachricht Anfang Februar des Vorjahres waren muslimische Schüler überrascht: Anstelle der Bezeichnung "islam." stand bei Teilnehmern des Wahlfachs Religion "IGGÖ" im Zeugnis - die Kurzbezeichnung der Islamischen Glaubensgemeinschaft in Österreich.

Diese sowie die Alevitische Glaubensgemeinschaft in Österreich (ALEVI) sind seit dem Islamgesetz 2015 staatlich anerkannte islamische Religionsgemeinschaften in Österreich. Zwischen 2010 und 2013 waren die Aleviten eine Bekenntnisgesellschaft, ab 2013 die Islamische Alevitische Glaubensgemeinschaft in Österreich (IAGÖ) und ab 2015 eben die Alevitische Glaubensgemeinschaft in Österreich (ALEVI).

Für die Änderung in den Schulzeugnissen verantwortlich war eine Empfehlung des beim Bundeskanzleramt angesiedelten Kultusamts. Grund dafür war, dass die davor verwendete Bezeichnung "islamisch" als zu ungenau empfunden worden sei - vermutet wurde auch Druck vonseiten der ALEVI.

"Kompromiss" präsentiert

Das Ministerium präsentierte daraufhin einen "Kompromiss", dem die IGGÖ laut Präsident Ümit Vural aber nie zugestimmt hatte: Ab sofort steht wieder "islam." in den Zeugnissen, allerdings mit Zusätzen wie "islam. (IGGÖ)" oder "islam. (SCHIA)" (Schiiten) oder nur "ALEVI" (Aleviten) für die Ausrichtung. IGGÖ sei der Name der Glaubensgemeinschaft, die Religion allerdings heiße Islam - "bei jüdischen Schülern beispielsweise steht ja auch nicht ,IKG‘ als Religionsbekenntnis", heißt es dazu auf Nachfrage von der IGGÖ. "Wir halten ,islam.‘ ohne Zusatz weiterhin für möglich und werden deshalb vor den VfGH ziehen", kündigte Vural an - was schließlich auch geschah.

Mit diesem Fall stehen insgesamt mehr als 400 Fälle auf der Tagesordnung der aktuellen Session des VfGH. Rund 360 werden voraussichtlich in Kleiner Besetzung von fünf Richtern entschieden - die übrigen, teilweise sehr komplizierten Fälle in "normaler" Besetzung von derzeit 13 Richtern einschließlich des Präsidenten.