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Notvergaben bei Pandemien

Von Franz Josef Arztmann und Stefan Niederstrasser

Recht

Unerwartete Ereignisse wie aktuell die Verbreitung des Coronavirus werfen die Frage auf, wie öffentliche Stellen rasch und rechtskonform unbedingt notwendige Leistungen beschaffen können.


Unerwartete (Natur-)Ereignisse werfen immer wieder die Frage auf, wie öffentliche Stellen rasch und rechtskonform unbedingt notwendige Leistungen beschaffen können. In Anbetracht der aktuellen Lage zur Ausbreitung des Coronavirus könnte es etwa notwendig werden, Atemschutzmasken, Schnelltests oder auch Arzneimittel beziehungsweise Impfstoffe umgehend zu besorgen. In äußerst dringlichen Fällen erweist sich das Vergaberecht jedoch als überbrückbare Hürde, soweit die richtige Verfahrensart gewählt wird und bestimmte Formalitäten eingehalten werden.

Grundsätzlich sind öffentliche Auftraggeber wie Bund, Länder, Gemeinden und sonstige öffentlich beherrschte Einrichtungen bei der Beschaffung regelmäßig an das Vergaberecht gebunden. Dieses schreibt - vereinfacht dargestellt - vor, dass ab einem Auftragswert von 100.000 Euro öffentliche Aufträge in formalisierten Verfahren mit Mindestfristen ausgeschrieben werden müssen. Dies dient einerseits der Gewährleistung eines fairen Wettbewerbs und andererseits einem effizienten Einsatz öffentlicher Mittel.

"Verhandlungsverfahren ohne Bekanntmachung"

Treten unerwartete (Natur-)Ereignisse wie etwa Hochwasserkatastrophen oder aktuell das Coronavirus (Covid-19) auf, tritt die Einhaltung der Vorschriften zur öffentlichen Auftragsvergabe großteils in den Hintergrund. Insbesondere kann aufgrund äußerst dringlicher, zwingender Gründe ausnahmsweise das "Verhandlungsverfahren ohne vorherige Bekanntmachung" mit einem Bieter zum Einsatz kommen.

Die Besonderheit dieses Verfahrens liegt darin, dass der Auftraggeber zulässigerweise auch nur einen Bieter zur umgehenden Angebotslegung auffordern kann. Nach Angebotslegung kann - ohne größere Verzögerung - mit dem Bieter zügig über den gesamten Auftragsinhalt einschließlich des Preises verhandelt werden. Im Gegensatz zu den sonstigen Vergabeverfahren, die in der Regel zumindest mehrere Wochen in Anspruch nehmen, kann somit innerhalb eines kurzen Zeitraums ein öffentlicher Auftrag vergeben werden. Im Extremfall liegen zwischen der Entscheidung, den Auftrag zu vergeben, und der schriftlichen Beauftragung nur wenige Stunden.

Im Wesentlichen bestehen drei Voraussetzungen für dieses "Verhandlungsverfahren ohne vorherige Bekanntmachung":

Zunächst muss ein für den öffentlichen Auftraggeber "unvorhersehbares Ereignis" vorliegen, mit dem auch ein umsichtiger Auftraggeber nicht rechnen musste. Dies umfasst außergewöhnliche Ereignisse, die den Rahmen des gewöhnlichen sozialen und wirtschaftlichen Lebens sprengen, wie etwa Naturkatastrophen (zum Beispiel großflächige Überschwemmungen) oder auch die plötzliche Ausbreitung von Krankheiten. Vorhersehbar wären hingegen in Österreich regelmäßig auftretende Naturereignisse wie Hagelschäden, Überschwemmungen oder Frost, soweit sie nicht ein außerordentliches Ausmaß erreichen. Ebenfalls vorhersehbar wäre die alljährliche "Grippewelle", solange sie nicht ein unvorhersehbares Ausmaß erreicht.

Zusätzlich sind "äußerst dringliche und zwingende Gründe" erforderlich. Diese liegen vor allem dann vor, wenn eine Notlage gegeben ist und ein drohender Schaden umgehend abgewendet werden muss. Die Dringlichkeit ergibt sich daraus, dass die Einhaltung der Fristen der Regelverfahren (beziehungsweise der beschleunigten Verfahren) angesichts der drohenden Schäden unzumutbar wäre.

Darüber hinaus wird gefordert, dass ein kausaler Zusammenhangzwischen den beiden Voraussetzungen besteht: Die äußerst dringlichen und zwingenden Gründe müssen aus dem unvorhersehbaren Ereignis resultieren und die Beschaffung im Wege dieses Verhandlungsverfahrens unbedingt erforderlich machen.

"Notvergabe" als Ausnahmeverfahren

Neben diesen Voraussetzungen - die nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs einschränkend auszulegen sind - bestehen noch weitere praxisrelevante Einschränkungen für "Notvergaben": Einerseits dürfen die angeführten Umstände zur Begründung der zwingenden Dringlichkeit keinesfalls dem öffentlichen Auftraggeber zuzuschreiben sein. Hat der Auftraggeber etwa zu lange mit der Auftragsvergabe gezögert, schließt dies die Anwendbarkeit dieses Verfahrens aus. Wenn etwa die Vorhersehbarkeit des Bedarfs des auszuschreibenden Gegenstandes bereits seit Wochen vorläge, wäre an der vergaberechtlichen Zulässigkeit einer "verspäteten" Notvergabe zu zweifeln.

Andererseits wäre die Anwendung dieses Ausnahmeverfahrens nur insoweit zulässig, als Leistungen beschafft werden sollen, die angesichts der Notsituation unmittelbar erforderlich sind. Leistungen respektive Mengen, die erst in absehbarer Zeit notwendig werden, wären im Zuge von sonstigen Vergabeverfahren (Regelverfahren) auszuschreiben. Gleichsam wäre die Beschaffung von Leistungen auch nicht unmittelbar erforderlich, wenn gleichwertige Leistungen bereits vorrätig sind.

Da es sich bei dieser "Notvergabe" um ein Ausnahmeverfahren handelt, das nur unter bestimmten Voraussetzungen zulässig ist, bestehen für den öffentlichen Auftraggeber konkrete Dokumentationspflichten: Insbesondere sind die Tatsachen zu dokumentieren, welche die Wahl dieses Ausnahmeverfahrens rechtfertigen.

Fazit: Für den Fall, dass aus einem unvorhersehbaren Ereignis - wie aktuell vermutlich (noch) die Ausbreitung des Coronavirus - äußerst dringliche und zwingende Gründe für eine unverzügliche öffentliche Auftragsvergabe resultieren, wäre unter gewissen Voraussetzungen das Ausnahmeverfahren "Verhandlungsverfahren ohne vorherige Bekanntmachung" zulässig. Mit diesem Verfahren können im Notfall in sehr kurzer Zeit notwendige Leistungen rasch und rechtskonform beschafft werden.