Am 20. März wurde das zweite Covid 19-Gesetz vom Nationalrat beschlossen. Dieses ermächtigt die Justizministerin unter anderem dazu, den Besuchsverkehr für die Dauer der vorläufigen Maßnahmen nach dem Covid-19-Maßnahmengesetz auf telefonische Kontakte zu beschränken (Art. 21, § 10, Z 5). Es ist seit dem 22.März in Kraft. Am 23.März erließ die Justizministerin eine Verordnung, die diese Regelung in § 5 umsetzt.

Diese Reaktion auf die Covid 19-Pandemie fand kaum öffentliche Beachtung – was wenig überraschend ist. Der Strafvollzug ist insgesamt kein Thema, das auf großes Interesse stößt, außer wenn von Zeit zu Zeit der Schrei nach härteren Strafen für das eine oder andere gerade aufsehenerregende Verbrechen ertönt. Und gerade, wenn sich alle ihrer Freiheiten beraubt fühlen, scheint eine weitere Beschränkung der Möglichkeiten von Strafgefangenen wenig relevant. Schließlich sind das ja Menschen, die ihre Strafe verdient haben – im Unterschied zu den unbescholtenen Bürger_innen, die jetzt zu Hause bleiben müssen.

Monika Mokre ist Politikwissenschaftlerin in Wien mit den Forschungsschwerpunkten Demokratie, politische Öffentlichkeit, Asyl, Migration und Gender Studies.

Monika Mokre und Stephan Vesco sind Mitglieder der "Solidaritätsgruppe für die Gründung einer Gefangenengewerkschaft Österreich". - © privat
Monika Mokre ist Politikwissenschaftlerin in Wien mit den Forschungsschwerpunkten Demokratie, politische Öffentlichkeit, Asyl, Migration und Gender Studies.
Monika Mokre und Stephan Vesco sind Mitglieder der "Solidaritätsgruppe für die Gründung einer Gefangenengewerkschaft Österreich". - © privat

Ob verdient oder nicht – Strafgefangene werden bestraft. Durch den Freiheitsentzug. Dies ist gesetzlich festgelegt – und wie sinnvoll diese Festlegung ist, ist nicht Thema dieses Artikels. Doch jedenfalls bedeutet dies nach den Buchstaben des Gesetzes nicht, dass Gefangene alle ihre Rechte eingebüßt haben, sondern ausschließlich, dass ihnen das (sehr erhebliche) Recht auf Freiheit entzogen wurde. Und das Recht auf Besuch ist ein sehr hohes Recht, fällt es doch in den Schutzbereich des Rechts auf Familienleben nach Artikel 8 der Europäischen Menschenrechtskonvention. Dazu gibt es auch klare Urteile des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (siehe jüngst Koroshenko/Russland).

Stephan Vesco ist Rechtswissenschafter in Wien. Zuletzt war er als Mitarbeiter und Lektor am Institut für Rechtsphilosophie der Universität Wien tätig. Sein Fokus liegt auf menschenrechtlichen, völkerrechtlichen sowie rechtstheoretischen und interdisziplinären Fragestellungen.


Monika Mokre und Stephan Vesco sind Mitglieder der "Solidaritätsgruppe für die Gründung einer Gefangenengewerkschaft Österreich". - © Michael Nagl, Wien II
Stephan Vesco ist Rechtswissenschafter in Wien. Zuletzt war er als Mitarbeiter und Lektor am Institut für Rechtsphilosophie der Universität Wien tätig. Sein Fokus liegt auf menschenrechtlichen, völkerrechtlichen sowie rechtstheoretischen und interdisziplinären Fragestellungen.

Monika Mokre und Stephan Vesco sind Mitglieder der "Solidaritätsgruppe für die Gründung einer Gefangenengewerkschaft Österreich". - © Michael Nagl, Wien II

Zur Zeit werden alle Grundrechte beschnitten

Doch natürlich: Zur Zeit werden alle Grundrechte beschnitten, warum dann nicht auch – oder sogar erst recht – die Grundrechte von Gefangenen. Zumal ein Ausbruch von Covid 19 in den beengten Verhältnissen einer Justizanstalt absehbar zu einer sehr kritischen Situation führen würde. Dies ist zweifellos eine berechtigte Sorge, aus der sich argumentieren lässt, dass es schon seit längerem keine Tischbesuche mehr gibt, sondern nur Besuche, bei denen Besucher_innen und Besuchte durch eine Glasscheibe getrennt sind und per Telefon miteinander sprechen.

Doch nun wurde auch diese Form des Besuchs ausgesetzt. Zwar ist eine direkte Ansteckung der Gefangenen durch Besucher_innen hier ausgeschlossen, doch könnten sich Justizwachebeamt_innen anstecken und den Virus dann in die Anstalt bringen. Justizwachebeamt_innen, die allerdings nach ihrer Schicht nach Hause zu ihrer Familie fahren, einkaufen gehen – also das gleiche, zwar eingeschränkte, aber doch von diversen Ansteckungsgefahren bedrohte Leben führen wie wir alle.Tatsächlich zeigen erste bestätigte Fälle einer Infektion bei einem Justizwachebeamten und einem Häftling, dass der Virus auch mit den bestehenden Maßnahmen nicht vor dem Vollzug halt macht.

Es gibt also keinen absoluten Schutz der Gefangenen vor einer Ansteckung. Es gibt nur – wie häufig in der Gesetzgebung und Rechtsprechung – die Möglichkeit und auch Pflicht, verschiedene Rechtsgrundsätze zu vergleichen und gegeneinander abzuwägen. Im konkreten Fall stehen einander Schutz der Gesundheit und Ordnung einerseits sowie das Grundrecht auf Besuch, das heißt im Regelfall, Kontakt zu Angehörigen andererseits gegenüber. Und die konkrete Frage lautet, ob Gesundheit und Ordnung nur durch das Besuchsverbot geschützt werden können oder ob es auch andere Mittel gäbe, ob die vollständige Isolation von Gefangenen also notwendig und verhältnismäßig ist.

Videotelefonie und Telefonie funktionieren nicht

Es gibt gute Gründe, beides zu verneinen. Auch die Gesetzesmaßnahmen für die Allgemeinbevölkerung sehen nur Beschränkungen des Betretens öffentlicher Orte, aber kein Betretungsverbot für fremde Wohnungen vor. Das Besuchsrecht für Gefangene wäre analog dazu zu sehen, es gibt keinen sachlichen Grund, sie hier schlechter zu behandeln, im Gegenteil sind sie eine Gruppe, deren wenige verbleibende Rechte besonders geschützt werden müssen.

Die Justizministerin nennt Telefonie und Videotelefonie als Ersatz für die entfallenden Besuche. Dies ist einerseits offensichtlich kein auch nur annähernd vollwertiger Ersatz für die persönliche Begegnung, auch wenn sie durch eine Glasscheibe getrennt stattfindet. Und funktioniert andererseits auch nicht. Für Videotelefonie fehlen die technischen Einrichtungen; eine Erweiterung der Telefonkontakte wäre möglich und ist auch angedacht. Doch scheitert sie bisher – wie viele andere Rechte von Gefangenen – an der langsamen bürokratischen Umsetzung im Strafvollzug. Während Besuche sofort gestrichen wurden, lässt die Verlängerung der Telefonzeiten, wie die Umsetzung aller Rechte, die eine Erleichterung der Haftbedingungen bedeuten, auf sich warten. Diese hängt noch dazu von den finanziellen Möglichkeiten der Gefangenen ab, denn Telefonieren im Gefängnis ist sehr teuer. Und eine Übernahme der Telefonkosten durch den Staat, die im Vergleich zu allen anderen Hilfspaketen finanziell eher vernachlässigbar wäre, ist noch nicht einmal angedacht.

Aussetzung der Untersuchungshaft?

Auch könnte man der – tatsächlich sehr beunruhigenden – Gefahr des Corona-Ausbruchs im Strafvollzug mit anderen Maßnahmen begegnen. Etwa durch eine Reduzierung der Belegung der Anstalten: durch Aussetzung der Untersuchungshaft, vermehrte Entlassung auf Bewährung bei kurzen Strafen oder Strafresten, vermehrte Genehmigung von Fußfesseln. Letzteres wiederum mit finanzieller staatlicher Unterstützung, denn auch die Kosten für die Fußfessel können von vielen Gefangenen nicht aufgebracht werden. Auch von solchen Plänen haben wir bisher nichts gehört; allerdings wird wohl versucht, den Strafantritt von neuen Gefangenen aufzuschieben. Gleichzeitig wurden jedoch bereits gewährte und gesetzlich ebenso verankerte Vollzugslockerungen, wie Freigänge oder Ausgänge gestrichen, und bereits bewilligte Anträge auf elektronisch überwachten Hausarrest nicht umgesetzt, da es kein Personal gebe, um die Fußfesseln anzulegen.

Abschließend ist noch zu sagen, dass Strafgefangene zwar ihrer Mitspracherechte völlig beraubt sind, aber nicht ihrer grundsätzlichen Sprechfähigkeit. Man könnte – nicht nur in Krisenzeiten, sondern allgemein – Maßnahmen mit den Betroffenen abklären, versuchen, Lösungen gemeinsam zu entwickeln. Schließlich gibt es ein ursächliches Interesse aller Menschen und daher auch von Strafgefangenen, nicht Opfer dieser Pandemie zu werden. Die Forderung nach Kommunikation und gemeinsamer Beratung erscheint allerdings zum gegenwärtigen Zeitpunkt fast so utopisch wie die nach Abschaffung der Gefängnisse. Ist es doch bisher noch nicht einmal gelungen, eine Gefangenengewerkschaft zu gründen, die als Sprachrohr für die Interessen der Gefangenen dienen könnte.