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Wer anderen eine Grube gräbt, muss doch nicht zahlen?

Von Mario Spanyi und Manuela Scheidl

Recht

Nach anfänglichem Zuwarten ist der Gesetzgeber nun offenbar doch bemüht, den Bauunternehmern unter die Arme zu greifen, die von den Maßnahmen zur Eindämmung der Covid-19-Pandemie betroffen sind.


Abseits des Wirbels um den umstrittenen Ostererlass wurde vor kurzem ein weiteres Gesetzespaket im Zusammenhang mit der Covid-19-Pandemie verabschiedet, das auch für die Baubranche eine Neuerung bringt. Mit Art 37 des vierten Covid-Gesetzes (BGBl. I Nr. 24/2020) wurde das zweite Covid-19-JuBG eingeführt, das insbesondere die Möglichkeit des Bauherrn, gegenüber dem Bauunternehmer Vertragsstrafen geltend zu machen, erheblich einschränkt.

Was sind Vertragsstrafen?

Bauverträge enthalten für den Fall, dass der Bauunternehmer mit seiner Leistungserbringung in Verzug gerät, häufig Vertragsstrafen (auch "Pönalen" oder "Konventionalstrafen" genannt). Dabei handelt es sich rechtlich im Kern um einen der Höhe nach pauschalierten Schadenersatz.

Die Vertragsstrafe dient vor allem dazu, die im Bauvertrag vereinbarten Leistungsfristen und -termine abzusichern und zusätzlichen Erfüllungsdruck auf den Bauunternehmer auszuüben. Ferner erleichtert eine Vertragsstrafe die Abwicklung vertraglicher Ansprüche, weil die Höhe des Schadenersatzanspruchs des Bauherrn im Vorhinein bereits festgelegt ist und daher nicht erst im Einzelfall ermittelt werden muss.

Viele Bauverträge sehen für den Fall, dass der Bauunternehmer mit seinen Leistungen in Verzug gerät, verschuldensunabhängige Vertragsstrafen vor. Dies erspart dem Bauherrn den oft schwierigen Beweis darüber, ob den Bauunternehmer ein Verschulden am Verzug trifft.

Pandemiebedingte Einschränkung von Vertragsstrafen

Nach anfänglichem Zuwarten ist der Gesetzgeber nun offenbar doch bemüht, den von den wirtschaftsbeschränkenden Maßnahmen zur Eindämmung der Covid-19-Pandemie betroffenen Bauunternehmern unter die Arme zu greifen.

Der Gesetzgeber wagte den (zaghaften) Schritt, in bestehende vertragliche Vereinbarungen und damit in die vertragsrechtliche Privatautonomie einzugreifen, indem er die Durchsetzbarkeit vereinbarter Vertragsstrafen nunmehr stark einschränkt.

So muss ein (Bau-)Unternehmer, der mit Leistungen aus einem Vertrag in Verzug gerät, den er vor dem 1. April 2020 eingegangen ist, weil er als Folge der Covid-19-Pandemie entweder (i) in seiner wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit erheblich beeinträchtigt ist, oder (ii) seine Leistung wegen der pandemiebedingten Beschränkungen des Erwerbslebens nicht erbringen kann, eine vereinbarte Vertragsstrafe derzeit nicht zahlen. Fraglich ist unseres Erachtens allerdings, ob es sich dabei tatsächlich um eine Neuerung handelt. Schon bisher unterlagen Vertragsstrafen von Gesetzes wegen einem richterlichen Mäßigungsrecht, das das Gericht im Streitfall dazu ermächtigte, die Höhe von Vertragsstrafen nach freiem Ermessen herabzusetzen.

Viele Bauunternehmer sind aufgrund der pandemiebedingten, wirtschaftsbeschränkenden Maßnahmen beziehungsweise des vorübergehenden Baustopps oft hinsichtlich mehrerer Baustellen in Verzug geraten und sehen sich daher momentan mit einer Vielzahl von Vertragsstrafen konfrontiert. Es ist daher davon auszugehen, dass die Gerichte von ihrem Mäßigungsrecht verstärkt Gebrauch gemacht hätten, um die mitunter existenzbedrohenden Auswirkungen der Covid-19-Pandemie abzufedern.

Dauer der Einschränkung

Die Einschränkung der Vertragsstrafen tritt mit Ablauf des 30. Juni 2022 (!) außer Kraft. Aus derzeitiger Sicht müssen Bauunternehmer, die aufgrund der Covid-19-Pandemie beziehungsweise der in dieser Zeit erlassenen Maßnahmen in Verzug geraten sind, daher bis zum 30. Juni 2022 keine Vertragsstrafen zahlen.

Dem Gesetzgeber erscheint die mehr als zweijährige Beseitigung von Vertragsstrafen für den pandemiebedingten Verzugsfall laut der Regierungsvorlage sachgerecht, "weil die Folgen einer pandemiebedingten Behinderung der Leistungserbringung ja auch mit einer gewissen Verzögerung eintreten können". Spätestens im Sommer 2022 "sollten sich [. . .] die leistungsretardierenden Folgen der aktuellen Krise jedenfalls zur Gänze verflüchtigt haben".

Und was passiert nach dem 30. Juni 2022?

Die auf den ersten Blick einfache Regelung lässt auch einige Fragen offen. Unklar ist insbesondere, ob Vertragsstrafen, die in den nächsten beiden Jahren durch einen pandemiebedingten Leistungsverzug ausgelöst wurden, nach dem 30. Juni 2022 rückwirkend verlangt werden können. Nach dem Wortlaut und Zweck der Regelung dürfte dies wohl zu verneinen sein.

Nicht durch die Pandemie ausgelöste Vertragsstrafen sind zu bezahlen

In der Regierungsvorlage wurde klar festgehalten, dass nur diejenigen Vertragsstrafen beseitigt sind, die durch einen pandemiebedingten Leistungsverzug ausgelöst werden.

Ist die Versäumung eines Fertigstellungstermins lediglich zum Teil auf die gegenwärtige Corona-Krise zurückzuführen, ist der Bauunternehmer dementsprechend nur anteilig von der Vertragsstrafe befreit. Sofern der Leistungsverzug aber beispielsweise auch auf organisatorische Versäumnisse des Bauunternehmers zurückzuführen ist, wird er nicht von der Pflicht zur Zahlung der Vertragsstrafe befreit. Wie in solchen Fällen berechnet werden soll, wie "viel" Verzug der Covid-19-Pandemie zuzuschreiben ist, beantwortet der Gesetzgeber nicht; dies wird also erst die Praxis zeigen.

Hingegen bleibt das allgemeine Schadenersatzrecht des Allgemeinen bürgerlichen Gesetzbuches von der Aussetzung von Vertragsstrafen im pandemiebedingten Verzugsfall unberührt. Der Bauunternehmer, der mit seinen Leistungen in Verzug gerät, muss dem Bauherrn daher wohl nach wie vor den tatsächlich entstandenen Schaden ersetzen, sofern den Bauunternehmer ein Verschulden am Verzug trifft.

Blick in die Zukunft

Die vorübergehende Beseitigung der Vertragsstrafen betrifft grundsätzlich alle Vertragstypen, so beispielsweise auch Kauf- oder Dienstleistungsverträge. Allerdings ergibt sich aus der Regierungsvorlage klar, dass hier vor allem die Baubranche unterstützt werden soll. Vor diesem Hintergrund ist es nicht auszuschließen, dass die Regierung in Zukunft gegebenenfalls weitere und unter Umständen einschneidendere Maßnahmen ergreifen wird, um eine Insolvenzwelle in der Baubranche zu verhindern, an der niemand ein Interesse haben kann.