Zum Hauptinhalt springen

"Herabwürdigungen nehmen in der Krise zu"

Von Siobhán Geets

Recht

Während der Ausgangssperre steigt auch die psychische Gewalt durch den Partner, sagt die Scheidungsanwältin Susanna Perl. Viele Frauen seien eingeschüchtert und täten sich schwer, aus ihrer Rolle auszubrechen.


"Wiener Zeitung": Die Corona-Krise ist eine Belastung für viele Beziehungen. Was, wenn man sich scheiden lassen will? Braucht man dazu in Österreich einen Grund, wenn es nicht einvernehmlich ist?Susanna Perl: Ja. Ohne eine schwere Eheverfehlung des Partners kann ich mich streng genommen nicht scheiden lassen, außer, ich warte nach der Trennung drei Jahre ab, in denen ich in einem getrennten Haushalt lebe. Nur in Härtefällen kann das verlängert werden, etwa, wenn die Frau gar kein Einkommen hat. Das ist mir aber noch nie untergekommen.

Reicht es als Scheidungsgrund, wenn der Partner in der Ausgangssperre Psychoterror betreibt?

Ja, denn das ist eine Eheverfehlung - auch, wenn psychische Gewalt schwerer nachzuweisen ist. Das verletzt die Beistandspflicht. Hier empfiehlt es sich, genau Protokoll zu führen. Viele sind in der Opferrolle gefangen. Ich hatte kürzlich eine Anfrage von einer Dame, die von ihrem Mann überwacht wurde. Spy-Software auf Handys spielt eine immer größere Rolle: Der Partner liest mit und weiß über Dinge Bescheid, die er gar nicht kennen kann. Frauen sagen in der Beratung: Mein Mann hat Infos, die ich nur mit meiner Freundin besprochen habe. Wir screenen diese Handys und meistens ist etwas drauf. Sehr gefährlich ist auch die iCloud: Der Mann hat alle Informationen.

In der Corona-Krise steigt weltweit die Gewalt gegen Frauen. Merken Sie schon etwas davon?

Ja. Ich habe wenig häusliche, aber sehr viele Fälle von psychischer Gewalt. Ich bin überrascht, wie Frauen dieses Martyrium aushalten und keine Schritte setzen, um da raus zu kommen. Jetzt ist es akuter. Ich habe Männer beraten, die weggewiesen wurden, und Frauen, die nicht wissen, wie sie sich schützen können. Es ist absurd, dass sich die Opfer Sorgen machen, wo der Gewalttäter hin soll. Wenn er gewalttätig ist, dann muss bei der ersten Gelegenheit die Polizei gerufen und eine einstweilige Verfügung für ein Betretungsverbot erlassen werden.

Arbeiten die Gerichte auch in der Krise schnell genug?

Bisher hat das im Notbetrieb gut funktioniert. Seit einer Woche gehen auch wieder Ladungen heraus. Die Verhandlungen, die für Mai anberaumt waren, sind bisher nicht abgesagt worden - das ist ein gutes Zeichen. Es gibt natürlich einen enormen Rückstau, vieles wurde gar nicht zugestellt. Der Gewaltschutz und die Fälle zu Kontaktrechten wurden aber schnell abgearbeitet.

Vor Gewalt werden Frauen also nach wie vor geschützt?

Ja. Auch der Unterhaltsanspruch kann schnell beantragt werden: Wenn ein Ex-Partner seinen Unterhalt nicht zahlt, springt der Staat ein. Ich hatte aber auch eine Anfrage von einer Dame, die sich nicht dazu durchringen konnte. Viele Frauen genieren sich auch, die Polizei zu rufen, oder sie tun es der Kinder wegen nicht. Das sind alles Hürden, wieso sie keine Hilfe der Behörden in Anspruch nehmen. Einen Termin beim Anwalt zu vereinbaren ist ein extremer Kraftakt.

Welche Arten psychischer Gewalt nehmen in der Krise zu?

Beleidigungen und herabwürdigendes Verhalten nehmen zu: Du bist dumm, du bist hässlich, ohne mich bist du nichts. Oder Drohungen: Ich werde dich vernichten, ich nehme dir die Kinder weg. Die Frauen sitzen dann bei mir und haben nicht das Gefühl, dass ich ihre Rechte vertreten kann. Sie meinen, sie brauchen einen Mann an ihrer Seite, weil sie als Frau nie ernstgenommen wurden, und warnen mich: Sie dürfen sich nicht einschüchtern lassen von meinem Mann, der ist rhetorisch so gut. Diese Frauen müssen gestärkt werden.

Vertreten Sie hauptsächlich Frauen?

Es hält sich die Waage. Gewalttätige Männer vertrete ich allerdings nicht. Zu mir kommen Männer, die ihre Frauen schlagen, nicht, die fühlen sich wohl bei Männern besser aufgehoben.

Wird es nach der Krise mehr Trennungen geben oder bleiben die Menschen aus Angst vor finanziellen Engpässen trotz allem erst einmal zusammen?

Solange die Unsicherheit besteht, wird kein Anstieg zu sehen sein. Viele sind von Arbeitslosigkeit oder Kurzarbeit betroffen und froh, wenn zumindest der Partner ein Einkommen hat. Ich glaube aber, dass viele Beziehungen, die vorher schon kaputt waren, durch das enge Zusammenleben auseinandergehen. Auch nach der Weltwirtschaftskrise gab es hohe Scheidungsraten.

Die Trennung ist für Frauen mit gewalttätigen Partnern eine gefährliche Zeit. Womit ist nach der Krise zu rechnen?

Ob mit oder ohne Krise: Wenn ich einen gewalttätigen Partner habe, aber kein gutes soziales Netzwerk, ist eine Trennung gefährlich. Viele Frauen wissen zudem gar nicht über die Finanzen in der Familie Bescheid. Ich berate auch zu Haushaltsplänen: Geht sich das alles überhaupt aus? Viele haben kein eigenes Konto. Frauen müssen auch sicherstellen, dass der Mann nicht merkt, dass eine Vorbereitung für eine Trennung stattfindet.

Haben Sie jetzt mehr zu tun?

Ich hatte die ersten drei Wochen nach Beginn der Ausgangssperre keinen einzigen neuen Termin. Seit Ostern haben wir neue Anfragen. Es ist, als erwachten die Menschen aus der Schockstarre. Nach Weihnachten und den Sommerferien haben wir Hochsaison. Hohe Erwartungen und viel Zeit miteinander führen zu Konflikten. Jetzt kommt dazu, dass die Menschen gezwungen sind, den ganzen Tag unter einem Dach zu sein.