Was telemedizinisch möglich ist, haben New Yorker Ärzte schon vor rund 20 Jahren gezeigt, indem sie einer Patientin die Gallenblase entfernt haben. Spektakulär dabei war (ist) der Umstand, dass sich die Patientin während der Operation rund 15.000 Kilometer entfernt, in Straßburg, befand. Hierzulande ist die Telemedizin weitgehend im "Klein-Klein" stecken geblieben. Die aktuelle Corona-Krise verlangt aber nicht nach "Klein-Klein", sondern nach "Mutig" und "Groß" – frei nach dem Motto "klotzen und nicht kleckern".
So hat die aktuelle Corona-Situation eine bemerkenswerte Annäherung zwischen Ärztekammer, Krankenversicherungsträger und anderen Stakeholdern ermöglicht. Diese Annäherung manifestiert sich vor allem in angepassten Honorarordnungen, in denen befristet für die Dauer der Corona-Pandemie Abrechnungspositionen für telemedizinische Leistungen eingefügt wurden. Bisher enthielten die den jeweiligen Gesamtverträgen angeschlossenen Honorarordnungen – abgesehen von Pilotprojekten für bestimmte Fachrichtungen – keine Tarife für derartige Leistungen, sodass Kassenärzte regelmäßig nur im direkten Patientenkontakt erbrachte Leistungen verrechnen konnten. Die Analyse der um telemedizinische Leistungen ergänzte Honorarordnungen lässt erahnen, was die Vertragsparteien unter telemedizinischer Behandlung verstehen, nämlich im Wesentlichen Beratung per Telefon oder E-Mail.

Unter juristischen Kommentatoren lange umstritten
Die direkte Verrechenbarkeit von telemedizinischen Leistungen sagt aber noch nichts über ihre grundsätzliche ärzterechtliche Zulässigkeit aus. Diese beiden Fragen stellen sich unabhängig voneinander. Unter juristischen Kommentatoren war die Zulässigkeit telemedizinischer Methoden lange umstritten. Zwar enthält das Ärztegesetz kein ausdrückliches Verbot von Fernbehandlungen, manche Autoren leiten aber vor allem aus der ärztegesetzlichen Pflicht zur "unmittelbaren und persönlichen Berufsausübung" ein Telemedizin-Verbot ab. Die überwiegenden Stimmen scheinen allerdings mittlerweile im Prinzip von der berufsrechtlichen Zulässigkeit von Telemedizin auszugehen, sofern – zusammengefasst – die telemedizinische Behandlung den Regeln der ärztlichen Kunst und Sorgfaltspflicht entspricht.

Auf den Punkt gebracht: Muss ein Arzt aus medizinischer Sicht dem Patienten nicht körperlich gegenübersitzen (etwa um ihn am Körper zu untersuchen), ist dies auch ärzte- und haftungsrechtlich nicht erforderlich. Ist eine telemedizinische Behandlung hingegen medizinisch unvertretbar, ist sie auch berufs- und haftungsrechtlich problematisch. Letztlich kommt der Arzt damit um eine Entscheidung im jeweiligen Einzelfall nicht herum.
Auch in der Praxis scheint die prinzipielle Zulässigkeit von Telemedizin heute grundsätzlich anerkannt, wie etwa die genannten Pilotprojekte der Gesamtvertragspartner und die Einführung der – im Wesentlichen Teletriage anbietenden – "Gesundheitsnummer" 1450 belegen.
Diesen ärzterechtlichen Rahmen haben die bisher erlassenen Covid-19-Maßnahmengesetze übrigens unverändert gelassen. Unabhängig von ihrer Verrechenbarkeit ist somit die telemedizinische ärztliche Behandlung auch weiterhin nur zulässig, wenn sie den Regeln der ärztlichen Kunst und Sorgfalt entspricht. Wohl in diesem Licht findet sich in der Kommunikation über die "neuen" telemedizinischen (Abrechnungs-) Regeln mitunter der Hinweis darauf, dass es keine Pflicht zur telemedizinischen Behandlung gibt und diese im alleinigen Ermessen des Arztes liegt.
Ungewollt Schwung aus der Not heraus
Aus der buchstäblichen Not heraus kommt nun ungewollt Schwung in politische Ziele der Bundesregierung. Ihr Regierungsprogramm möchte immerhin "telemedizinische Behandlung bestmöglich umsetzen" und die "Digitalisierung auch in medizinischer Forschung, Diagnose und Behandlung vorantreiben". Damit ist zwar der politische Fokus treffend ausgerichtet, doch gestaltet sich die Situation auch hinsichtlich der hier wohl mitangesprochenen Themen Datensicherheit und Datenschutz diffus. Rechtliche Grundlage bildet hierfür – neben der Datenschutz-Grundverordnung – unter anderem das Gesundheitstelematikgesetz 2012 (GTelG 2012). Für den "einfachen" niedergelassenen Arzt sind die Datensicherheitsmaßnahmen des zweiten Abschnitts des GTelG 2012 von besonderer Bedeutung. Diese sehen etwa vor, dass die Identität der an einer elektronischen Übermittlung von Gesundheitsdaten Beteiligten durch eine elektronische Signatur bestätigt und ein umfassendes IT-Sicherheitskonzept erstellt sein muss.
Bemerkenswert am GTelG 2012 ist, dass nicht eindeutig hervorgeht, auf welche Situationen die erwähnten Datensicherheitsmaßnahmen des 2. Gesetzesabschnitts anwendbar sind. Soweit ersichtlich sind keine (veröffentlichen) Gerichtsentscheidungen zu dieser Frage vorhanden (auch nicht zur Auslegung der Vorgängerbestimmungen im Gesundheitstelematikgesetz 2005). Das diesbezügliche Meinungsspektrum in der juristischen Literatur erstreckt sich über einen weiten Bogen. Auf der einen Seite wird die Anwendbarkeit der Datensicherheitsmaßnahen schon bei der Weitergabe von Gesundheitsdaten per Telefon oder E-Mail vom Arzt an den Patienten bejaht. Auf der anderen Seite kann das Gesetz auch so ausgelegt werden, dass die Sicherheitsmaßnahmen nur bei Datenübermittlungen zwischen Ärzten (und sonstigen "Gesundheitsdiensteanbietern") oder überhaupt nur bei Einsatz komplexer Gesundheits-IT-Systeme wie Krankenhausinformationssysteme und elektronischer Patientenakten zu beachten sind.
Für den niedergelassenen Arzt haben diese unterschiedlichen, für manche akademisch anmutenden Sichtweisen unmittelbare wirtschaftliche Bedeutung, weil heute kaum eine beim niedergelassenen Hausarzt vorhandene IT-Landschaft den gesetzlichen Anforderungen entspricht. Gerade das angesprochene IT-Sicherheitskonzept bereitet in der ärztlichen Praxis erhebliche Schwierigkeiten; die Ärztekammer könnte laut GTelG für diese Dokumentation standardisierte Formulare und Ausfüllhilfen zur Verfügung stellen, ist dem aber bislang nicht nachgekommen.
Klarstellung allein wegen Gesundheits-Apps wünschenswert
Eine gesetzliche Klarstellung der rechtlichen Rahmenbedingungen wäre umso mehr wünschenswert, weil sich diverse Gesundheits-Apps immer größerer Beliebtheit erfreuen. So drängen derzeit ausländische digitale E-Health-Unternehmen auf den österreichischen Markt vor. Hier stellen sich neben den Fragen der Datensicherheit und des Datenschutzes auch berufs- und standes- sowie haftungsrechtliche Fragen. Unter welchen Voraussetzungen darf etwa ein polnischer Arzt, der bei einem Schweizer E-Health-Anbieter beschäftigt ist, an Österreichern telemedizinische Leistungen erbringen? Welchem Berufs- und Standesrecht unterliegt er dabei?
Mit all diesen Fragen werden wir nach der Corona-Krise eingehend beschäftigt sein, weil eines sicher scheint: Neue digitale Gesundheitssysteme werden nach Überwinden der Krise stark präsent bleiben und zunehmen. Tatsächlich dürfte unstrittig sein, dass Telemedizin als die konventionelle ärztliche Arbeit unterstützende und teils wohl ersetzende Methode nicht aufzuhalten ist. Der Einsatzbereich in der medizinischen Praxis ist schon heute breit, von der erwähnten Teletriage über Teletherapie bis hin zum Nebenwirkungs-Management. Bereits 2014 hat die vom damaligen Bundesminister für Gesundheit eingesetzte Telegesundheitsdienste-Kommission auch die Forcierung von Telemonitoring-Anwendungen etwa für Diabetes- und Herzinsuffizienz-Indikationen sowie die kardiologische Implantatnachsorge empfohlen.
Beispiele für die erfolgreiche Einführung derartiger Lösungen gibt es, wie etwa HerzMobil Tirol, HerzMobil Steiermark und den Gesundheitsdialog Diabetes der VAEB. Bedarf an gesetzlicher Klarstellung besteht vor diesem medizinischen Hintergrund und den angesprochenen rechtlichen Fragen allemal. Losgelöst von der gegenwärtigen Ausnahmesituation ist daher aus praktischer und rechtlicher Sicht zu hoffen, dass der österreichische Gesetzgeber nach Überwindung der Krise einen klaren und innovationsfördernden rechtlichen Rahmen für den Einsatz telemedizinischer Methoden schaffen wird.