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Covid-19 und Wahlen in Europa

Von Michael Lidauer

Recht
In Bayern wurde der zweite Durchgang der Kommunalwahlen am 29. März unter veränderten Bedingungen durchgeführt, und zwar mit der Briefwahl als einziger Möglichkeit der Stimmabgabe.
© adobe.stock/H_Ko

Die Einschränkung der Versammlungs- und Bewegungsfreiheit wirkt sich auf die Abhaltung von Wahlen aus - Notstandsgesetze sind unter außergewöhnlichen Umständen möglich.


Können demokratische Wahlen während der Coronavirus-Pandemie stattfinden? Wo in Europa gibt es Wahlen, wo werden sie verschoben? Unter welchen Bedingungen wird darüber entschieden? Diesen Fragen ging die Initiative Election-Watch.EU von wahlbeobachtung.org, einer unparteiischen Arbeitsgemeinschaft zur Verbesserung von Wahlprozessen in Österreich und der EU, mit einer Kurzstudie Mitte April nach.

Während das öffentliche Leben in Europa vielfältig eingeschränkt wird, um die Verbreitung von Covid-19 zu bannen, treten auch Fragen bezüglich der Ausübung und Wahrung von Grundrechten und demokratischer Praktiken auf. Einschränkungen von Versammlungs- und Bewegungsfreiheit sowie anderer Rechte wirken sich unmittelbar auf die Abhaltung von Wahlen aus. Unter außergewöhnlichen Umständen dürfen Staaten Notstandsgesetze einführen - diese müssen jedoch gesetzlich verankert, notwendig, verhältnismäßig, zielgerichtet und zeitlich begrenzt sein und regelmäßig überprüft werden.

Innerhalb der EU gab es seit Ausbruch der Krise kaum Wahltermine, doch Frankreichs landesweite Gemeinderatswahlen waren vom Ausbruch der Pandemie unmittelbar betroffen. Die erste Runde am 15. März wurde noch mit Sicherheitsabständen und Desinfektionsmitteln in Wahllokalen sowie erweiterten Möglichkeiten zur Wahlteilnahme für Personen in Quarantäne durchgeführt, die Teilnahme aber war gering. Unmittelbar danach traten Sicherheitsmaßnahmen zur Eindämmung des Virus in Kraft, die zweite Runde wurde auf unbekannten Termin vertagt. Anders in Bayern, wo der zweite Durchgang der Kommunalwahlen am 29. März unter veränderten Bedingungen durchgeführt wurde - mit der Briefwahl als einziger Möglichkeit der Stimmabgabe. Diese Praxis war hier bereits bekannt, die Wahlbeteiligung stieg sogar gegenüber früheren Wahlen an.

Doch Wahlreformen und neue Verfahren können nicht in Eile eingeführt werden. Wie kontext-spezifisch solche Maßnahmen sind, zeigt das Beispiel Polen. Gesetzesentwürfe, die Präsidentschaftswahl am 10. Mai wie geplant stattfinden zu lassen, sahen eine reine Briefwahl vor, obwohl diese Praxis auf landesweiter Ebene bisher nicht bestand. Intensive Debatten zur rechtlichen und politischen Legitimation als auch zur praktischen Durchführbarkeit folgten. Das OSZE-Büro für Demokratische Institutionen und Menschenrechte in Warschau als auch lokale Wahlbeobachter merkten an, ein fairer Wahlkampf sei im Lockdown nicht möglich. Obwohl nicht offiziell verschoben, wurde die Wahl kurzfristig abgesagt.

Gemeinderatswahlen in Österreich verschoben

Insgesamt wurden Wahlen in 13 Ländern, die in der Kurzstudie berücksichtigt wurden, auf einen späteren Zeitpunkt verlegt. Dies schließt so unterschiedliche Prozesse wie ein Referendum über Verfassungsänderungen in Italien, Parlamentswahlen in Nordmazedonien, galizische und baskische Regionalwahlen in Spanien sowie mehrere Lokal- und Nachwahlen mit ein. In Österreich waren davon die Gemeinderatswahlen in der Steiermark und in Vorarlberg sowie einige Nachwahlen in Niederösterreich betroffen.

Die Krise kann sich allerdings nicht nur auf die konkrete Abhaltung von Wahlen am Wahltag, sondern auch auf Wahlvorbereitung, Wähler- und Kandidatenregistrierung und Wahlkampf auswirken. In Litauen hat der Wahlkampf für die Parlamentswahl im Oktober bereits am 10. April begonnen, obwohl die Bedingungen dafür im öffentlichen Raum derzeit nicht gegeben sind. In Rumänien, wo die Lokalwahlen nun später stattfinden sollen, wurde durch gesetzliche Verfügung die Zahl der erforderlichen Unterstützungsunterschriften für Kandidaten halbiert und die Einbringung dieser Unterschriften auf elektronischem Weg ermöglicht.

Wahlverschiebung oder Sondermaßnahmen zur Abhaltung - diese Prozesse müssen rechtlich geregelt werden. Parlamente in Europa scheinen eine Bandbreite an Resilienz zu zeigen, um unter den derzeitigen Bedingungen beschluss- und handlungsfähig zu sein. Verfassungsrechtliche und andere gesetzliche Anforderungen für die Abhaltung von Wahlen müssen möglicherweise neu interpretiert werden. Zwölf der in der Studie erfassten Länder greifen dabei auf teilweise oder vollständig erklärte Ausnahmezustände zurück oder sehen solche Maßnahmen überhaupt vor. 14 Länder nutzten andere gesetzliche Maßnahmen, um den Umgang mit der Pandemie zu reglementieren (siehe Karte).

Dies zeigt ein sich rasch änderndes Bild von Verordnungen und Kontrolle, die auf unterschiedliche Weise parlamentarisch geregelt sind. Eines der dynamischsten Felder neuer Entwicklungen stellt die Einführung von Handy-Apps dar, die Kontakte zwischen Personen nachvollziehbar machen sollen und somit einen Eingriff in die Privatsphäre der Nutzer darstellen können - eine Debatte, die auch in Österreich intensiv geführt wird.

Vorschläge für Wahlreformen in Österreich und in Europa

Viele der Verschiebungen sehen neue Wahltermine 2020 oder 2021 vor, doch wie sich die Pandemie auf die Ausübung demokratischer Praktiken weiterhin auswirken wird, bleibt offen. Die vergleichende Beobachtung dieser Prozesse ist wichtig, um die Bewahrung bürgerschaftlicher Rechte auch aus zivilgesellschaftlicher Perspektive zu bewerten.

Wahlbeobachtung.org/Election-Watch.EU hat bereits in der Vergangenheit Vorschläge für Wahlreformen in Österreich und in Europa erarbeitet und im Nationalrat als auch auf europäischer Ebene vorgestellt. Aus der Kurzstudie zu Covid-19 und Wahlen in Europa entstanden sechs Empfehlungen, die sich auf demokratische Kontrolle in Krisenzeiten, Entscheidungen über die Abhaltung/Verschiebung von Wahlen, die Einführung neuer Wahlformen, die kontextspezifische Analyse der Maßnahmen, die Möglichkeit der Wahlbeobachtung sowie auf die weitere Durchführung von Studien in diesem Feld beziehen. Bericht und Empfehlungen können unter kontakt@wahlbeobachtung.org angefragt werden.

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