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Was ein Hard Brexit für den Handel mit der EU bedeuten würde

Von Anton Fischer

Recht
Wenn zwischen dem Vereinigten Königreich und der Europäischen Union bis Ende dieses Jahres keine Einigung über die künftigen Beziehungen gelingt, steht ein harter Brexit ins Haus.
© adobe.stock/MasterSergeant

Ob das bestehende Reglement für ein automatisches Zurückgreifen auf Regeln der Welthandelsorganisation ausreichend ist, muss bezweifelt werden.


Die Brexit-Übergangsperiode bis Ende 2020 nähert sich mit großen Schritten ihrem Ende. Die Verhandlungen zwischen der Europäischen Union und dem Vereinigten Königreich haben bisher jedoch nicht zu zählbaren Ergebnissen geführt: Rund drei Monate vor Ende der Übergangsfrist bestehen mehr Fragen als Antworten. Trotzdem haben sich die Briten im Juni gegen eine Verlängerung der Übergangsfrist ausgesprochen.

Wenn keine Einigung über die künftigen Beziehungen bis Ende dieses Jahres gelingt, steht ein "harter" Brexit ins Haus. Vor allem von britischer Seite scheint dieser nicht als Bedrohung wahrgenommen. Schließlich würde man im Handel mit der EU automatisch auf bestehende Regeln der Welthandelsorganisation (WTO) zurückgreifen können. Ob das Reglement hierfür ausreichend ist, kann jedoch bezweifelt werden.

Die Plattform für Handelsvereinbarungen

1995 aus dem "General Agreement on Tariffs and Trade" (GATT) hervorgegangen, ist die WTO vor allem ein Forum zur Vereinbarung internationaler Handelsabkommen auf Staatenebene. In Ermangelung von Freihandelsabkommen bieten die WTO-Regeln ein Mindest-Set an Handelsbestimmungen. Die regelmäßig stattfindenden WTO-Verhandlungsrunden dienen den gegenwärtig 164 Mitgliedsstaaten zur Vereinbarung gegenseitiger Handelszugeständnisse, insbesondere in Form von Zollsenkungen. Diese werden in von den Mitgliedern individuell geführten Zolllisten festgehalten.

Sämtliche EU-Staaten sind zwar auch WTO-Mitglieder, werden jedoch aufgrund der alleinigen Zuständigkeit der EU für die gemeinsame Handelspolitik gemeinsam repräsentiert, wobei die EU auch einheitliche Zolllisten für die EU-Mitglieder führt. Handelsabkommen werden durch die Kommission im Namen aller EU-Mitgliedstaaten abgeschlossen.

Mit dem Austritt aus der Europäischen Union hat das Vereinigte Königreich auch innerhalb der WTO vollständige Handlungssouveränität rückerlangt. Als selbständiges Mitglied kann das Vereinigte Königreich eigenständig an den WTO-Verhandlungsrunden teilnehmen und auf völkerrechtlicher Basis Handelsabkommen abschließen. Parallel zum Abkommen über die künftigen Beziehungen mit der EU verhandeln die Briten zurzeit etwa Freihandelsabkommen mit den USA sowie Australien.

Zölle und das WTO-Meistbegünstigungsgebot

In Vorbereitung zum Brexit hat das Vereinigte Königreich Anfang des Jahres eigene Zolllisten veröffentlicht, die ab Jänner 2021 für Mitglieder gelten sollen, mit denen kein Freihandelsabkommen besteht. In einem No-Deal-Szenario würden diese auch für die EU gelten. Während der durchschnittliche EU-Zoll mit weniger als drei Prozent für nichtlandwirtschaftliche Erzeugnisse relativ niedrig ist, sehen die Zolllisten für bestimmte Güter relativ hohe Zölle vor: So würden zum Beispiel Autos beim Überschreiten der Grenze zwischen Großbritannien und der EU nach dem Ende der Übergangszeit mit zehn Prozent besteuert. Agrarzölle wären sogar noch höher. Diese würden insbesondere bei Milchprodukten auf durchschnittlich mehr als 30 Prozent steigen.

Die Briten könnten der EU in dessen Eigenschaft als selbständiges WTO-Mitglied zwar niedrigere Importzölle anbieten. Zu beachten wäre hier jedoch das "Prinzip der Meistbegünstigung" als eines der WTO-Grundprinzipien: Gegenüber einem WTO-Mitglied gewährte Handelsvorteile müssen grundsätzlich auch sämtlichen Vertragspartnern zugutekommen. Das Vereinigte Königreich könnte dessen Zölle daher nicht zugunsten der EU senken, ohne Zollsenkungen in gleichem Ausmaß auch für sämtliche andere WTO-Mitglieder vorzunehmen. Derartige Zollsenkungen sind aus diesem Grund unrealistisch und Erschwerungen für den Handel daher vorprogrammiert.

Während jedoch das Einführen von Zöllen und hiermit verbundene Zollkontrollen "lediglich" kommerzielle beziehungsweise administrative Hindernisse im grenzüberschreitenden Handel zwischen der EU und Großbritannien darstellen würden, ergibt sich ein grundlegendes Problem in rechtlicher Hinsicht: Nach der gefestigten Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) verneint dieser die unmittelbare Anwendbarkeit internationaler Handelsabkommen auf individuelle EU-Bürger.

Handelsabkommen überkünftige Beziehungen bitter nötig

Vor allem basierend auf dessen Grundsatzentscheidung in der Rechtssache "International Fruit Company" können sich EU-Bürger bei Streitigkeiten mit anderen WTO-Mitgliedern nicht direkt auf geltendes WTO-Recht berufen. Nach der Rechtsprechung des EuGH soll die direkte Geltung von Völkerrecht bei EU-Bürgern nur in Ausnahmefällen gegeben sein. Während Handelsbeziehungen nach WTO-Regeln somit zwar unter Umständen für Bürger des Vereinigten Königreichs - nach dessen Austritt aus der EU eingeständigen Völkerrechtssubjekt - direkt gelten, entfalten diese keine unmittelbare Wirkung auf EU-Bürger.

Bereits aus diesem Grund sind die Regeln der WTO als alleinige Basis zur Regelung der künftigen Handelsbeziehungen zwischen der EU und dem Vereinigten Königreich nicht geeignet. Umfassendere Bestimmungen in Form eines Handelsabkommens sind bitter nötig. Die Verhandlungsparteien werden sich daher in den verbleibenden Wochen und Monaten deutlich steigern müssen.

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