Das aus dem Jahr 1971 stammende Wiener Veranstaltungsgesetz, 34 Mal novelliert, war im Laufe der Jahre zu einem legistischen "Flickerlteppich" geworden und befand sich zuletzt nicht mehr auf der Höhe der Zeit, verglichen mit moderneren Landesgesetzen (Steiermark 2012, Oberösterreich, Niederösterreich). Ein gänzlich neues Gesetz war seit Längerem überfällig, und dieser "große Wurf" gelang nunmehr mit dem Gesetzesbeschluss im Landtag am 25. Juni. Das Gesetz wird am 1. Dezember 2020 in Kraft treten und platzt damit in die gerade den Veranstaltungssektor seit März stark treffenden Covid-19-Turbulenzen.

Welche generelle Aufgabe hat ein Veranstaltungsgesetz?

Es regelt öffentliche, allgemein zugängliche,  Veranstaltungen. Aufgrund der verfassungsmäßigen Landeskompetenz gibt es neun davon.

Neues Gesetz in Wien – Vereinfachung, Liberalisierung, Modernisierung?

Klaus Vögl ist Jurist und nach langjähriger Tätigkeit in der Wirtschaftskammer nun Unternehmer im Bereich der Veranstaltungsorganisation mit Spezialgebiet (unter anderem) Veranstaltungsrecht. - © privat
Klaus Vögl ist Jurist und nach langjähriger Tätigkeit in der Wirtschaftskammer nun Unternehmer im Bereich der Veranstaltungsorganisation mit Spezialgebiet (unter anderem) Veranstaltungsrecht. - © privat

Vorab sei festgehalten, dass das neue Gesetz als Vereinfachung und Deregulierung "verkauft" wird, was – wie die folgenden Beispiele zeigen - schwer nachzuvollziehen ist. Auch wird die historische Linie fortgesetzt, wonach Veranstaltungen wesentlich strenger behandelt werden als der Bereich des Gewerbes.

Ein Beispiel soll das belegen: In einem großen Einkaufszentrum halten sich zeitgleich 3000 Kunden auf. Der Betreiber hat einen gewerberechtlichen Geschäftsführer namhaft gemacht, der sich gemäß Gewerbeordnung um den laufenden Betrieb "entsprechend kümmern" muss. Das bedeutet keine ununterbrochene persönliche Anwesenheitspflicht. Für den Betrieb muss nach der Gewerbeordnung (GewO) weder ein Sicherheits- noch ein rettungstechnisches Konzept vorgelegt werden, noch müssen Notarzt oder Sanitäter permanent anwesend sein. Auch eine polizeiliche Überwachung, behördliche oder Präsenz der Feuerwehr sind unüblich.

Bei einer öffentlichen Veranstaltung mit ebenso vielen Besuchern ist all das ein Thema. Auch das neue Gesetz lässt einen im Vergleich zum Gewerberecht deutlichen behördlichen "Kontrollzwang" erkennen. Dass der Grundsatz "Beraten statt Strafen" nicht implementiert wurde, spricht Bände.

Ad Liberalisierung/Deregulierung:

-    Der Öffentlichkeits-Begriff (§ 1) wird an die Regelungen der anderen Bundesländer angepasst, das heißt, als öffentlich gelten nur mehr allgemein zugängliche beziehungsweise allgemein beworbene Veranstaltungen. Das eröffnet im Vergleich zur bisherigen Regelung  einen großen Spielraum für private, dem Gesetz nicht unterliegende Veranstaltungen mit ausschließlich persönlich – namentlich eingeladenen Besuchern, insbesondere im Business-to-Business-Bereich. Aber auch hinsichtlich privater Feiern mit Freunden oder Firmenfeiern, egal, ob im Unternehmen oder in einer gemieteten Lokalität.

-    Der in größeren Bühnenhäusern bisher vorgeschriebene Beleuchterdienst wird ersatzlos gestrichen. Es liegt nunmehr in der alleinigen Verantwortung des Veranstalters, diesen Bereich zu regeln.

Ad Vereinfachung?

-    Das komplette, 107 §§ umfassende VeranstaltungsstättenG, das bisher die baulich – technischen Gegebenheiten der Veranstaltungsorte bis ins Detail und dennoch lückenhaft regelte, wird ersatzlos aufgehoben und stattdessen der "Stand der Technik" als einzuhaltender Standard implementiert. Damit entfallen unzählige, bisher im Gesetz geregelte Details wie Höhe und Breite von Stufen, die Breite von Verkehrswegen, der Abstand zwischen Sitzen, Sanitärräume, Brandschutz, aber auch besondere Regelungen für Voll- und Saaltheater, Zirkuszelte, Volksvergnügungsstätten, Kinos, Tanzschulen; für Letztere gelten in Hinkunft keine Betriebsstättenbestimmungen mehr. Ebenso wird das KinoG ersatzlos aufgehoben, daher entfallen zahlreiche bisher dort vorgesehene Maßnahmen wie bestimmte regelmäßige Überprüfungen oder der verpflichtende Aushang der Saalpläne bei der Kasse.

-    Die Assistenzpflicht gegenüber dem Veranstalter soll nur mehr durch die Landespolizeidirektion ausgeübt werden, nicht mehr auch durch die Veranstaltungsbehörde (MA 36). Dazu kommt es, wenn der Veranstalter Hilfe bei der Umsetzung getätigter Veranstaltungsanordnungen benötigt, vor allem gegenüber dem Publikum. Auch eine besondere kostenpflichtige Überwachung soll es nur mehr durch die Landespolizeidirektion geben, soweit dies bescheidmäßig angeordnet wird oder der Veranstalter eine solche beantragt. Ob das ein Vorteil für die Veranstalter ist, bleibt fraglich.

-    Nach dem geltenden Gesetz muss jede Hausordnung behördlich genehmigt werden. Nunmehr müssen freiwillig erlassene Haus- und Platzordnungen nicht mehr behördlich genehmigt werden, dafür besteht diesfalls die behördliche Assistenz-pflicht formal nicht.

Ad Modernisierung:

-    In das Gesetz werden zeitgemäße Kriterien eingeführt wie ein Sicherheits- und Sanitätskonzept, schalltechnischer Nachweis, Abfallkonzept.

-    Das neue Gesetz führt eine generelle wiederkehrende Überprüfung größerer Veranstaltungsstätten (ab 500 Besuchern) ein, wobei die Möglichkeit der Selbstüberprüfung mE aufgrund der Befangenheitsgefahr durchaus kritisch zu sehen ist. Auch fragt man sich: Warum erst ab 500 Besuchern – auch kleinere locations können mangelhaft werden, was mit Gefahren für die Teilnehmer verbunden ist.

Ad Verkomplizierung/Bürokratismus:

Dieses Ziel wird natürlich offiziell nicht benannt, doch sind im neuen Gesetz deutlich solche Maßnahmen feststellbar:

-    Das bisherige VeranstaltungsG kannte drei Berechtigungsarten: anmelde- und bewilligungsfreie (= berechtigungsfreie), anmelde- und bewilligungspflichtige Veranstaltungen. Das neue setzt mit der Wien bislang fremden Anzeigepflicht noch eins drauf, und unterteilt noch dazu die berechtigungsfreien Veranstaltungen in zwei Arten: solche, die auf gewerblichen Betriebsanlagen stattfinden und keine Eignungsfeststellung des Veranstaltungsortes nach Veranstaltungsrecht benötigen, und solche in sonstigen Lokalitäten, die dieses Kriterium sehr wohl erfüllen müssen. Damit wurde die bisher bestehende, erst 2010 eingeführte generelle "Eignungsvermutung" für die meisten Veranstaltungsarten bis zu 200 Besuchern wieder sistiert. In Summe müssen wir daher fortan in Wien mit insgesamt fünf Berechtigungsarten leben, was im Ländervergleich der Veranstaltungsgesetze einen Rekord darstellt und wohl kaum unter "Vereinfachung und Deregulierung" verbucht werden kann.

-    Nach dem neuen Gesetz gibt künftig die in die Überwachung der Veranstaltungen stark eingebundene Landespolizeidirektion Wien eine Stellungnahme auch im Anmeldeverfahren ab; bisher war das wie in den anderen Bundesländern nur im Bewilligungsverfahren vorgesehen. Das wird nun wesentlich strenger gehandhabt als etwa im Vergleich zu Gewerbeanmeldungen, in welche die Polizei in keinster Weise eingebunden ist.

-    Durch eine Systemumstellung ergeben sich deutlich verlängerte Erledigungszeiten bei Anmeldungen: Während man bisher eine Veranstaltung in einer bereits genehmigten Veranstaltungsstätte noch eine Woche im Vorhinein anmelden konnte, verlängert sich diese Frist im neuen Gesetz auf mindestens zwei Wochen nach Anmeldung, bei Großveranstaltungen mit mehr als 5.000 Besuchern auf einen Monat. Aber kein Nachteil ohne Vorteil: Aufgrund der Systemumstellung (der behördliche Fristenlauf bemisst sich ab getätigter vollständiger Anmeldung) ist früher eine Säumnisbeschwerde bei Untätigkeit der Behörde möglich.

-    Ein übertriebener neuer Bürokratismus ist die vorgeschriebene schriftliche Aufgabenverteilung bei Einsatz mehrerer Aufsichtspersonen und deren Bekanntgabe an MA 36 und Landespolizeidirektion auf Verlangen. Eine solche Bestimmung ist der GewO fremd. Sie ist auch in der Sache nicht zielführend, da sich in einem Notfall Aufgabenzuweisungen auch ad hoc ändern können.

Praktische Schwierigkeiten:

Zumindest in der Anlaufphase werden sich diverse praktische (Umstellungs-)Schwierigkeiten ergeben.

-    Eine wird sich für die Veranstalter daraus ergeben, dass das neue Gesetz im Gegensatz zum geltenden die typischen Veranstaltungsarten  nicht mehr durchgehend benennt und zuordnet, sondern die Veranstaltungen nach allgemeinen Kriterien wie Ort, Besuchergrenzen und Lautstärke den fünf Berechtigungsarten zuordnet.

Ein Beispiel möge das erläutern: Veranstaltung einer Lesung indoor in einer Veranstaltungslokalität mit maximal 190 Besuchern. Nach dem geltenden Gesetz eindeutig anmeldefrei gemäß § 5 (Lesung namentlich genannt), aufgrund der limitierten Besucherzahl besteht eine Eignungsvermutung für die Lokalität, es ist daher grundsätzlich keine behördliche Eignungsfeststellung notwendig. Nach dem neuen Gesetz (Lesung nicht mehr namentlich genannt) muss wie folgt geprüft werden: Keine Anmeldepflicht nach § 4 Abs 1, und es liegt auch kein in Abs 2 genannter Spezialfall vor. Da auch keine Anzeigepflicht nach § 5 besteht, ist die Veranstaltung berechtigungsfrei nach § 3 Abs 3, benötigt nun aber eine Eignungsfeststellung des Ortes. Sollte sie in einem mit einer gewerblichen Betriebsanlagengenehmigung ausgestatteten Gastronomiebetrieb, zum Beispiel einem Kaffeehaus stattfinden, wäre sie berechtigungsfrei nach § 2 Abs 3, dh, ohne eigene Eignungsfeststellung.

-    Generell ergeben sich durch die gänzlich neue Systematik stark veränderte Zuordnungen bei den Veranstaltungsberechtigungen: So waren zum Beispiel Laufveranstaltungen auf öffentlichen Straßen (sportliche, nicht in einer Sportstätte stattfindende Veranstaltungen) bisher nach § 5 VG anmeldefrei, bedurften also nur einer straßenpolizeilichen Bewilligung, und sind nunmehr anmeldepflichtig, dh: ein administrativer Schritt mehr für den Veranstalter.

-    Nach dem geltenden Gesetz ist für Veranstaltungen, die im Zusammenhang mit Gastronomie stattfinden (der Regelfall), die für die jeweilige Betriebsart des Gastgewerbes geltende gastronomische Sperrzeit auch für das Ende der Veranstaltung maßgebend. Das ist eine dynamische, genial einfache Lösung, die jegliche Bürokratie vermeidet. Dies ist im neuen Gesetz nicht mehr vorgesehen. Daher gilt bei Catering entweder die allgemeine Veranstaltungssperrstunde von 2 Uhr (indoor) bzw 22 Uhr (outdoor). Soll diese überschritten werden, so muss dies entweder in einer Eignungsfeststellung geregelt oder eigens beantragt werden. Das ist auf jeden Fall aufwendiger als bisher.

Was neu ist:

-    Neu sind Bestimmungen für bisher in Wien nicht geregelte Veranstaltungen im Umherziehen (§ 13), also zum Beispiel für Wandertheater-, kino, oder -ausstellungen.

-    Inhaber (Betreiber) von Sportstätten sind nicht mehr ex lege Veranstalter. Nach dem neuen Gesetz müssen die jeweils in den Sportstätten tätigen Veranstalter die entsprechenden Berechtigungen (Einzel- oder gegebenenfalls Dauerberechtigungen) erwerben, was für alle Beteiligten nicht gerade eine Vereinfa-chung darstellt.

-    Der Höchst-Strafrahmen erhöht sich von 7.000 auf 12.000 Euro.

Welche sind die größten Mankos im Gesetz?

-    Immer noch kann aufgrund der weiten Definition des Begriffs "Veranstalter" ein Sponsor als Veranstalter gelten, was potenzielle Geldgeber, die sich nicht in die operative Abwicklung einer Veranstaltung involvieren möchten, abschrecken könnte.

- Das neue Gesetz verwendet einen scheinbar allumfassenden, in seiner Erstreckung unklaren Begriff der "Veranstaltungsstätte". Er umfasst auch an die unmittelbare Lokalität "angrenzende Flächen, die für den Zu- und Abgang der Besucher unmittelbar erforderlich sind". Man fragt sich, ob es überhaupt Veranstaltungen gibt, die nicht in einer Veranstaltungsstätte stattfinden. Die Frage ist essenziell, müssen doch größere Veranstaltungsstätten nach dem neuen Gesetz periodisch überprüft werden.

- Der nunmehr grundgelegte "Stand der Technik" wird im Gesetz abgesehen von einer allgemeinen Definition nicht präzisiert, was für die Veranstalter und Betreiber zu einer erhöhten Rechtsunsicherheit führen wird. Einem einfachen (Gelegenheits-)Veranstalter wird es schwer zumutbar sein, sich im Gestrüpp zahlreicher ÖNORMen, OIB-Richtlinien und anderer Richtlinien etwa des Umweltbundesamtes zurecht zu finden. Abhilfe kann hier einwandfreie Fachliteratur schaffen. Konkret besteht die Gefahr, dass die Behörde bereitwillig die Lücken durch bescheidmäßige Anordnungen füllen wird, wofür nunmehr die genauen gesetzlichen Grundlagen fehlen.

Was ist besonders zu begrüßen?

-    Dort, wo Personenzahlen genannt werden, handelt es sich immer um Besucher.

-    Die Festlegung von verbundenen Verfahren hinsichtlich StVO und Gebrauchsabgabengesetz (GAG), wenn Veranstaltungen auf öffentlichem Gemeindegrund stattfinden.