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Höchstgericht lässt Terrorprozess wiederholen

Von Adrian Eugen Hollaender

Recht
© adobe stock/merklicht.de

Die Entscheidung des Obersten Gerichtshofes befasst sich mit dem Verhältnis von Wahrspruch und Publizität. Ob die Aufhebung des Schuldspruchs tatsächlich zwingend erforderlich war, ist fraglich.


Wegen eines Formfehlers hat der Oberste Gerichtshof (OGH) am 20. Oktober 2020 ein Urteil in einem aufsehenerregenden Terrorprozess aufgehoben (OGH 11 Os 95/20k): Ein zu zehn Jahren Haft verurteilter Tschetschene, der für eine radikalislamische Gruppe gekämpft haben soll, muss nun erneut vor Gericht.

Diese kurze, aber interessante Entscheidung befasst sich mit dem Verhältnis von Wahrspruch und Publizität. Konkret geht es um die Bedeutung des § 340 Abs 2 StPO und die Geltendmachung eines aus der Verletzung der genannten Bestimmung resultierenden relativen Nichtigkeitsgrundes.

Doch eins nach dem anderen:

Dass der Obmann der Geschworenen nach Wiedereröffnung der Sitzung nicht die an die Geschworenen gerichteten Fragen, sondern lediglich deren Überschriften und den beigefügten Wahrspruch verlesen hat, verstößt gegen § 340 Abs 2 StPO.

Dies verwirklicht den Nichtigkeitsgrund nach § 345 Abs 1 Z 4 StPO.

Aber konnte diese Formverletzung einen nachteiligen Einfluss auf die Entscheidung üben? Nur dann wäre nämlich kraft § 345 Abs 3 StPO die Geltendmachung des Nichtigkeitsgrundes statthaft, da es sich bei § 345 Abs 1 Z 4 StPO um einen relativen Nichtigkeitsgrund handelt.

Formverletzung lässt Fragen offen

Der OGH meinte nun in seiner Entscheidung, ein nachteiliger Einfluss der unterlaufenen Formverletzung auf die Entscheidung könne nicht unzweifelhaft verneint werden, weil nicht ausgeschlossen werden kann, dass durch die aufgezeigte Formverletzung die Kontrollfunktion der Öffentlichkeit nicht unerheblich beeinträchtigt worden sein kann.

Doch in anderen Entscheidungen (11 Os 23/07b; 13 Os 34/16y; 11 Os 23/07b; 13 Os 34/16y) meinte der OGH, dass der Umstand, dass der Obmann der Geschworenen entgegen § 340 Abs 2 StPO nicht die an diese gerichteten Fragen, sondern bloß deren Bezeichnung verliest, keinen dem Angeklagten nachteiligen Einfluss auf die Entscheidung zu üben vermag, soweit eine Verwechslung der Fragen und Antworten auszuschließen ist.

Nun war aber eine Verwechslung der Fragen und Antworten auch im vorliegenden Fall nicht anzunehmen. Daher ist es nicht einsichtig, wieso die unterlaufene Formverletzung diesmal das Kriterium des § 345 Abs 3 StPO erfüllte, was aber unabdingliche Voraussetzung für eine erfolgreiche Geltendmachung jedes relativen Nichtkeitsgrundes wäre.

Die Unterscheidung zwischen absoluten und relativen Nichtigkeitsgründen ist vom Gesetzgeber bewusst vorgegeben. Während Erstere stets bereits bei ihrem objektiven Vorliegen (unabhängig von jeglichen Überlegungen über mögliche Folgen oder Folgenlosigkeit) greifen, können Zweitere selbst dann, wenn sie vorliegen, nur dann geltend gemacht werden, wenn - wie es der Gesetzgeber negativ zu formulieren beliebte - nicht auszuschließen ist, dass die unterlaufene Formverletzung keinen nachteiligen Einfluss auf die Entscheidung üben konnte. Ob das im vorliegenden Fall tatsächlich nicht ausgeschlossen werden konnte? Wie sollte denn die unterlaufene Formverletzung konkret die Kontrollfunktion der Öffentlichkeit beeinträchtigen können? Und was noch wichtiger ist: Wie sollte die unterlaufene Formverletzung konkret die Entscheidung der Geschworenen beeinträchtigt haben können?

Freilich sind Verfahrensvorschriften einzuhalten und gesetzlich statuierte Nichtigkeitsgründe zu respektieren. Aber auch die vom Gesetzgeber für die Geltendmachung relativer Nichtigkeitsgründe geschaffene Filterfunktion des § 345 Abs 3 StPO ist zu respektieren.

Verstärkter Senat wurde nicht gebildet

Einen in seiner materiellen Richtigkeit nicht in Frage gestellten Schuldspruch aufzuheben und einen aufwendigen Geschworenenprozess zu wiederholen, sollte man nur tun, wenn es wirklich zwingend erforderlich ist. Dies ist gegenständlich im Hinblick auf die bisherige Judikatur (11 Os 23/07b; 13 Os 34/16y; 11 Os 23/07b; 13 Os 34/16y) fraglich. Und dass diese Judikatur dermaßen anders gelagert wäre, dass sie auf den gegenständlichen Fall nicht angewendet werden könnte, lässt sich angesichts des Umstandes, dass sie genau dieselben Normen betrifft, die auch in der vorliegenden Entscheidung verfahrensrechtlich entscheidungsrelevant waren, auch nicht sagen.

Daher ist die gegenständliche Entscheidung zwar interessant, aber praxisbezogen erstaunlich. Denn so wichtig auch der Öffentlichkeitsgrundsatz im Geschworenenverfahren ist, verlässt doch diese Entscheidung den Pfad der bisherigen Judikatur, was an sich nur dann statthaft wäre, wenn ein verstärkter Senat gebildet worden wäre, was jedoch nicht der Fall war.

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