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Das Recht und seine Europäisierung

Von Janko Ferk

Recht

Den ersten Ansatz zur juristischen Globalisierung brachten die Menschenrechte vor mehr als einem halben Jahrhundert. Die Vereinheitlichung eines gesamteuropäischen Rechts hängt von der Politik oder allenfalls Rechtspolitik ab.


Die Vereinheitlichung des kontinentalen Rechts wird ein langer Prozess. Durch das Zusammenwachsen Europas ist das - teilweise - Überwinden nationaler Rechte erforderlich geworden. Den ersten Ansatz zur tatsächlichen juristischen Globalisierung haben die Menschenrechte schon vor mehr als einem halben Jahrhundert gebracht. Heute ist noch nicht absehbar, ob die Vereinheitlichung eines gesamteuropäischen Rechts innerhalb des nächsten halben Jahrhunderts abgeschlossen werden wird können, wobei diese Frage nicht von der Rechtswissenschaft, sondern von der Politik oder allenfalls Rechtspolitik intentional beantwortet werden könnte.

Das Recht ist weder ewig noch unabänderlich. Es ist ein relevanter kulturgeschichtlicher und zivilisatorischer Prozess. Als modernes Recht unterliegt es Grundpositionen wie dem Rechtsstaat, den Grund- und Menschenrechten sowie einer normierten Verfassung. Als positives Recht hat es in einer bestimmten Zeit und in einem gegebenen Rahmen Geltung oder Wirksamkeit.

Unifizierung auf wirtschaftsrechtlichem Gebiet

Die großen Prototypen des Rechts sind das kontinentale, angloamerikanische und andere traditionelle Rechtssysteme, beispielsweise das islamische. Die Globalisierungsprozesse verlangen heute eine gewisse Annäherung, wenn nicht auf längere Sicht sogar Vereinheitlichung.

Einerseits sind solche Bestrebungen spätestens auf dem Gebiet des Strafrechts massiv seit dem 11. September bemerkbar, und andererseits wird auf dem wirtschaftsrechtlichen Gebiet sogar eine Unifizierung sichtbar. Seit dem Vertrag von Maastricht 1991 intensivieren sich diese Anstrengungen im Rahmen der Europäischen Union. Verwiesen sei nur auf die Europäische Gesellschaft (Societas Europaea, SE), die seit dem 8. Oktober 2004 auch in Österreich zur Verfügung steht, und zwar auf Gesetzgebungsinitiative der EU.

Man könnte nun behaupten, dass von dieser Globalisierung alle Staaten profitieren; bei genauerer Betrachtung muss man jedoch konstatieren, dass der Einfluss kleinerer, so natürlich auch Österreichs, insgesamt relativ gering ist. Daher werden rechtliche Lösungen, sprich Normen, kleinerer Staaten selten aus dem nationalen in das Gemeinschaftsrecht transportiert. Auf dieser Ebene entstehen trotzdem eher selten Konflikte, zumal die verschiedenen europäischen Rechte doch ziemlich homogen sind.

Nach dem Ausscheiden des Vereinigten Königreichs von Großbritannien und Nordirland könnte man sogar feststellen, dass sich die Vereinheitlichung vereinfacht hat. Die angloamerikanische Tradition des Case Law muss nicht mehr berücksichtigt werden. Wahrscheinlich wird dies den Prozess der Vereinheitlichung des kontinentalen Rechts um einen Deut beschleunigen. Nebenbei bemerkt, die Prozesse der Rechtserzeugung und Rechtsanwendung verlaufen zwar parallel, sind jedoch an sich autonom, weshalb die Anwendung auf die Erzeugung wohl keinen besonders anspornenden Effekt ausüben wird. Verwiesen sei auf den entscheidenden Unterschied zwischen dem Gesetzgeber, den die Verfassung mit mehr Autonomie ausstattet als den Richter, der der Rechtsanwender von Gesetzen beziehungsweise des Rechtsbestands ist.

Die einheitlichen Normen sind nur der erste Schritt. In der nächsten, der Anwendungsphase, stellt sich die Frage, wie das Recht ausgelegt beziehungsweise judiziert wird. Und hier kann es allenfalls zu größeren Auffassungsunterschieden kommen.

Eine erste große Globalisierung des Rechts wurde im vorigen Jahrhundert zweifellos mit der Verabschiedung der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte 1948 und der Ratifikation der Europäischen Menschenrechtskonvention 1950 erreicht. Das derzeitige Rechtsdesiderat, die Europäische Verfassung, könnte man als work in progress bezeichnen, worüber in letzter Zeit immer wieder journalistische und politische Kommentare veröffentlicht wurden.

Das Recht soll den Menschen dienen

Die Durchsetzung (eines) internationalen Rechts ist schwierig und wird immer an den Interessen von einzelnen Rechtssubjekten, womit hier die souveränen Staaten gemeint sind, scheitern. Man denke nur an das US-amerikanische Bestreben, zu verhindern, dass US-Soldaten vor andere als innerstaatliche Gerichte oder Gerichtshöfe gestellt werden. Darüber darf nicht vergessen werden, dass schon die Römer wussten, dass das Recht nicht einem Staat, sondern (dem und) den Menschen dienen soll: Omne ius hominum causa.

Wohlwollend könnte man formulieren, dass aus dem US-amerikanischen Beispiel ersichtlich wird, wie vorsichtig souveräne Staaten bei der Übertragung von Rechten aus ihrem Jurisdiktions- oder Zuständigkeitsbereich sind.

Natürlich wird zur Vereinheitlichung des Rechts beitragen, wenn verschiedene Völker mit Hilfe der Kultur und des Sports reale und geistige Grenzen abbauen. Es wäre naiv, wenn der Gesetzgeber glaubte, er könne seinen Bürgerinnen und Bürgern ein neues, wenn auch nur unifiziertes Rechtssystem gleichsam oktroyieren.

Zitiere ich die Kultur, meine ich damit naturgemäß auch die Literatur, insbesondere die Rechtsliteratur. Zur Globalisierung werden ebenso jene einzelnen Juristen oder Rechtsphilosophen beitragen, die sich international Gehör verschaffen (können), und hier haben wiederum Autorinnen und Autoren großer Staaten Vorteile. Welcher österreichische Autor fiele einem ad hoc beispielsweise neben Ralf Dreier oder John Rawls ein, womit ich nicht behaupte, es gäbe sie in Österreich nicht. Es gibt sie, der exemplarischste ist wohl der Wiener Kant-Experte und Rechtsphilosoph Gerhard Luf. Die Publikationen haben in der rechtspolitischen Diskussion und im rechtsphilosophischen Polylog zweifellos Einfluss.

Für die Rechtsglobalisierung würde ich mir eines besonders wünschen: Es sollte unzweideutig festgeschrieben werden, dass forensische Entscheidungen auf der Grundlage eines allgemeinen Verständnisses von Angemessenheit, auch Moral und ganz besonders von Gerechtigkeit zu treffen sind. Die Gerechtigkeit ist ein Begriff, der sowohl für den Rechtssuchenden als auch Rechtsanwender mit bestimmten, vor allem ethischen Vorstellungen verbunden ist, weshalb die Vergesetzlichung der Gerechtigkeit in einer sinnvollen Weise (!) eine Wirkung auf beiden Seiten des Richtertisches hätte und mit Gewissheit nicht nur eine symbolische wäre. Der deutsche Bundesgerichtshof hat die Gerechtigkeit in einigen Erkenntnissen bereits postuliert.

Vereinheitlichung des Jus-Studiums

Ein Ansatz zur Globalisierung des Rechts wäre weiters die Vereinheitlichung des Studiums der Rechtswissenschaften. Kein akademischer Zweig war bis vor kurzem nationaler als das Jus-Studium, was schon daraus ersichtlich ist, dass man als Mediziner gleichsam weltweit, als Jurist jedoch nur in seinem Rechtskreis arbeiten kann, heute zumindest im Rahmen der EU-Organe.

Im Übrigen bin ich der Überzeugung, dass die Globalisierung vor allem guter Juristinnen und Juristen bedarf. Und ein guter Jurist ist noch immer der, der auf eine umfassende Ausbildung samt humanistischer Grundlage, Latein inklusive, verweisen kann. Empfehlenswert wären daneben - in einem supranationalen Apparat wie der Europäischen Union einleuchtender Weise - breit gefächerte Sprachkenntnisse.

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