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Wo Recht ist, da ist Sprache

Von Daniel Leisser

Recht
© adobe.stock / Ingo Bartussek

Durch verschachteltes Amtsdeutsch können zwischen Verständlichkeit und juristischer Präzision Konflikte entstehen.


Von 12. bis 13. Dezember 2020 organisierte die Österreichische Gesellschaft für Rechtslinguistik (ÖGRL) den 3. International Legal Linguistics Workshop (ILLWS20). Die Tagung musste aufgrund der anhaltenden Covid-19-Pandemie online stattfinden. 27 Forscherinnen und Forscher aus mehr als 14 Ländern stellten eine vielseitige Palette von Projekten vor.

Was können wir in Österreich von unseren Kollegen und Kolleginnen lernen? Viel, das scheint klar, aber wo genau liegen die Anknüpfungspunkte und Schnittstellen für die Rechtspraxis hierzulande, und warum hält die Rechtssprache der Gesellschaft immer auch einen Spiegel vor?

Friedrich Forsthuber, Präsident des Landesgerichts für Strafsachen Wien und Obmann des Vereins Justizgeschichte und Rechtsstaat, zeigte am Beispiel der Geschworenengerichtsbarkeit eindrucksvoll auf, welche Zielkonflikte zwischen Verständlichkeit und juristischer Präzision im Strafprozessrecht bestehen können.

Austausch mit Praktikern

Die Gretchenfrage innerhalb der Rechtslinguistik lautet: "Wie hältst du’s mit den PraktikerInnen?" Meine Antwort wäre: Weder Theoretische noch Angewandte Rechtslinguistik können einen gesellschaftlichen Mehrwert leisten, wenn die Akteure des Rechts, die Gerichte, die Behörden, die Kanzleien, ausgeklammert werden. Es ist gerade der Austausch mit Praktikerinnen und Praktikern, der Rechtslinguisten die Einblicke in den Rechtsalltag liefert, um Erkenntnisse nahe am Leben zu generieren.

Christian Piska, Universitätsprofessor am Wiener Juridicum, präsentierte seine Analyse des Verhältnisses zwischen der Covid-19-Pandemie und der Gesetzgebung. Rechtsanwendung und Rechtsempirie gehen Hand in Hand, denn ein Staat, der für sich beansprucht, ein Rechtsstaat zu sein, darf sich nicht vor der Erforschung der eigenen Sprachverwendung fürchten. Dies trifft vor allem auf Materien zu, die besonders tief in das Leben von Menschen eingreifen.

Straf- und Asylrecht gehören in Österreich beispielsweise zu jenen Bereichen, die noch einer tiefergehenden rechtslinguistischen Beschäftigung bedürfen, denn dort, wo Recht ist, da ist Sprache und Kommunikation, aber eben auch Macht. In ihrem berühmten Werk "Das Sprachverhalten von Angeklagten bei Gericht" schreibt Ruth Wodak, Distinguished Professor, Lancaster University: ",Sprachliches Handeln‘ steht während der Verhandlung im Mittelpunkt, d.h. daß [sic!] alles Handeln, welches nicht von vorherein ritualisiert und festgelegt ist, allein über sprachliche Kommunikation geschieht" (Wodak 1975: 172).

Die Verwendung der Rechtssprache gibt nicht selten den Anschein, dass Prozesse in der Welt in einer Art Mechanismus vollzogen würden, und blendet dabei - ob intentional oder nicht - oft die Akteure, die Handelnden, aus. Ein Beispiel aus dem deutschen Asylrecht: "Gemäß § 67 AsylVfG erlischt die Aufenthaltsgestattung der o.g. Person und ist gemäß § 63 Abs. 4 AsylVfG einzuziehen!"

Die Rechtslinguistik kann die Akteure des Rechts und ihre Sprachverwendung sichtbarer machen. Zu den Akteuren gehören nicht nur Professionelle der Rechtsberufe (zum Beispiel Richter, Staatsanwältinnen), sondern auch Nicht-Professionelle (zum Beispiel Angeklagte, Zeuginnen, Privatankläger), die sich der Sprache im rechtlichen Kontext bedienen. Die Sprachverwendung kann sich auf alle Formen sozialen Handelns beziehen und von einer gesamtändernden Verfassungsbestimmung bis zu einem Strafbescheid nahezu alles umfassen. Der Stufenbau nach der rechtssprachlichen Bedingtheit zeigt klar, wie sich Sprache als Produkt sozialen Handelns durch Gerichte und Behörden zieht.

Forschung braucht Ethik

Auch Diktaturen bedienen sich der Rechtssprache, wie am Beispiel einer Diagnose aus der Zeit des Nationalsozialismus deutlich wird: "Schwachsinn höheren bis höchsten Grades. Genauere Beobachtung auf dem Spiegelgrund notwendig." Die Erforschung der Rechtssprache führt der Gesellschaft auch immer ihre Unvollkommenheit vor Augen und konfrontiert sie mit den Abgründen der Geschichte.

Daher sind wir nicht müde zu betonen, dass Forschung Ethik braucht. Die Vienna Declaration on Research Ethics in Legal Linguistics (Wiener Erklärung zur Forschungsethik in der Rechtslinguistik), die auf dem Arbeitskreis präsentiert wurde, soll nicht als Normen- oder Forderungskatalog verstanden werden. Vielmehr geht es darum, einen forschungsethischen Konsens innerhalb der Disziplin zu schaffen, der die rechtslinguistische Forschung auf ein gemeinsames Fundament stellt.

Gegenseitiger Austausch

Der 3. International Legal Linguistics Workshop hat gezeigt, dass unsere junge Wissenschaft vom gegenseitigen Austausch und unserer Diskussionsfreudigkeit lebt. Wir haben es der epidemiologischen Situation zum Trotz geschafft, die Fachkommunikation mit Rechtslinguistinnen und Rechtslinguisten rund um den Globus am Leben zu erhalten und sogar in mehreren Bereichen auszubauen. Veranstaltungen wie diese sind der Puls einer wachen und kritischen Rechtslinguistik, die es in unserer Zeit umso mehr braucht.

Sie sind anderer Meinung?

Diskutieren Sie mit: Online unter www.wienerzeitung.at/recht oder unter recht@wienerzeitung.at

Weitere Informationen zum
3. International Legal Linguistics Workshop finden Sie hier: http://oegrl.com/index.php/de/illws20-2/