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Wenn die Pleitewelle rollt

Von Wolfgang F. Vogel

Recht

Die Pleitewelle kommt dann, wenn sich die Steuern und Sozialabgaben oder Kreditraten endgültig als nicht bezahlbar herausstellen. Wenn also die Konkursverschleppung wieder zu einem Straftatbestand geworden ist.


Alle reden von der kommenden Pleitewelle - aber wann kommt sie? Die Antwort ist ganz einfach: Dann, wenn sich die - möglicherweise immer neu gestundeten - Steuern und Sozialabgaben oder Kreditraten endgültig als nicht bezahlbar herausstellen. Wenn also die Konkursverschleppung wieder zu einem Straftatbestand geworden ist.

Wann das sein wird, weiß niemand. Und wie sie bewältigt werden wird, von wem und wo? Das weiß man noch weniger. Da gibt es eine EU-Richtlinie, die Insolvenzen von Unternehmen, oder besser für Unternehmer, auf drei Jahre begrenzen sollte. Diese Richtlinie sollte noch in der ersten Jahreshälfte umgesetzt werden. Sie wird sogar von den Kreditschützern begrüßt und als Stärkung des Wirtschaftsstandortes gesehen, was auf den ersten Blick doch irgendwie merkwürdig klingt.

Ganz und gar nicht vorstellbar ist aber eine Verkürzung der Entschuldungsdauer auf drei Jahre für Nicht-Unternehmer. Dort nämlich, so wird argumentiert, fördere das nur den wirtschaftlichen Leichtsinn. Genau da liegt aber die Problematik: Unternehmen können auch derzeit schon im Rahmen eines Sanierungsverfahrens innerhalb von drei Jahren, ja sogar früher entschuldet werden. Dazu müssen sie zum zuständigen Landesgericht (in Wien Handelsgericht) gehen, müssen eine Kaution erlegen und bekommen eine Masseverwaltung, auch wenn es die Light-Version einer "Verwaltung" ist. Dieser Weg steht dem Unternehmer ebenfalls offen. Der einfachere Weg über das Bezirksgericht - und das ist ja nach der EU-Richtlinie gemeint - steht derzeit nur den "natürlichen Personen" offen, die kein Unternehmen betreiben.

Bei einer Änderung legt man die Entscheidung über die Unternehmereigenschaft in die Hände des Bezirksgerichtes. Das Unternehmensgesetzbuch formuliert im § 1 die ganze Unschärfe: (1) Unternehmer ist, wer ein Unternehmen betreibt. (2) Ein Unternehmen ist jede auf Dauer angelegte Organisation selbständiger wirtschaftlicher Tätigkeit, mag sie auch nicht auf Gewinn gerichtet sein. Dem klassischen Modell (AMS-Bezug und geringfügige Beschäftigung) steht durch die Corona-Krise eine ganze Palette von Kombinationen gegenüber, die meist von Menschen ergriffen werden, die man als "Leistungsträger" bezeichnen sollte: die Anhäufung mehrerer unselbständiger Tätigkeiten, prekäre Arbeitsverhältnisse, Scheinselbständigkeit oder eine bunte Mischung aus allen diesen Formen.

Die Bezirksgerichtemüssen entscheiden

Die Bezirksgerichte müssten also entscheiden, wer in drei und wer in fünf Jahren schuldenfrei sein wird. Neben der wirklich unscharfen Grenze sollte man nie aus den Augen verlieren: Der Gesetzgeber hat trotz seiner Bereitschaft für faule Kompromisse 2017 eines gewollt: das einheitliche Verfahren und vor allem die Entschuldungsmöglichkeiten, die allesamt für alle offen stehen. Das entspricht einer gesellschaftlichen Realität mehr als das künstliche Einziehen neuer Grenzen, die noch dazu die Gefahr birgt, dass genau die Falschen die Last tragen.

Die derzeitige Unterscheidung besteht zudem nur bei der Antragstellung. § 181 (1) Insolvenzordnung ist da deutlich: Betreibt der Schuldner kein Unternehmen, so ist Insolvenzgericht das zum Zeitpunkt der Antragstellung örtlich zuständige Bezirksgericht. Alles andere kommt an das Landesgericht (Handelsgericht), wo das Verfahren mit Kaution und mit Masseverwaltung abgewickelt wird. Schon derzeit wird dies bei vielen Unternehmerkonkursen umgangen, indem die unternehmerische Tätigkeit unterbrochen wird. Die Corona-Krise wird zeigen, dass viele Sanierungen gar nicht möglich sein werden, wenn nicht die Selbständigkeit als Einkommensquelle berücksichtigt wird. Und wenn es auch eine Scheinselbständigkeit ist.

Schon damals ist das Alleinstellungsmerkmal des österreichischen Insolvenzverfahrens aus den Augen verloren gegangen. Das österreichische Erfolgsmodell, der Zwangsausgleich, der dem Zahlungsplan Modell gestanden ist und dem jetzt als Sanierungsverfahren neues Leben eingehaucht worden ist. Das Wesen dieses Modells ist die Notwendigkeit, eine Gläubigerzustimmung suchen zu müssen.

Gläubiger insVerfahren eingebunden

Dadurch wird im besten Fall die abgerissene Kommunikation zwischen Schuldner und Gläubiger wieder in Gang gesetzt. Vor allem aber wird der Gläubiger ins Verfahren eingebunden, er wird zu einem Partner der Sanierung, nicht zu einem Gegner. Das allein wäre für einen Wirtschaftsstandort wichtiger als eine Verkürzung des Abschöpfungsverfahrens auf drei Jahre. Eines Verfahrens, das ja auch ohne Zustimmung der Gläubiger eingeleitet werden kann.

Und da sollte man sich schon Modelle überlegen, die ein Maximum an Möglichkeiten für alle Beteiligten bieten. Etwa die Verkürzung des Berechnungszeitraumes der Mindestquote auf drei Jahre, die Ausdehnung der Zahlbarkeit der ausgehandelten Quote auf fünf Jahre. Damit wäre auch ein Anreiz gegeben, höhere Quoten anzubieten. Denn das Abschöpfungsverfahren sollte nach wie vor fünf Jahre dauern.

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Zum Autor~ Diese Entschuldungsmöglichkeiten stehen nach einem Konkurs allen offen:

Sanierungsverfahren (mit oder ohne Eigenverwaltung): Dauer zwei bzw. fünf Jahre, Mindestquote 20 Prozent bzw. 30 Prozent. Dieses Verfahren ist vorwiegend für Unternehmen (juristische Personen) interessant.

Zahlungsplan: Dauer höchstens sieben Jahre, Mindestquote ist der Betrag, der in fünf Jahren zahl-,
also pfändbar ist.

Zustimmung Gläubiger: Dem Zahlungsplan muss mindestens die Hälfte der Gläubiger zustimmen, die auch die Hälfte der Schulden halten. Sonst bleibt nur das Abschöpfungsverfahren.

Abschöpfungsverfahren: Abgeschöpfter Betrag: alles, was in fünf Jahren zahl-, also pfändbar ist. Dauer fünf Jahre.

Antragstellung: Natürliche Personen, die kein Unternehmen betreiben: das zuständige Bezirksgericht, sonst das zuständige Landesgericht - in Wien das Handelsgericht.