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Die Verfassung, tiefschürfend aufbereitet

Von Nikolaus Lehner

Recht

"Ihr Recht geht vom Volk aus" von Welan und Diem beinhaltet nicht nur rechts-, sondern auch kulturhistorische Aspekte.


Dieses Werk ist eine interessante Bereicherung der Flut von Emanationen zum 100-Jahre-Jubiläum der Österreichischen Bundesverfassung. Interessant ist "Ihr Recht geht vom Volk aus" von Manfried Welan und Peter Diem deshalb, weil es sich um eine tiefschürfende rechtshistorische und staatswissenschaftliche Aufbereitung des Bundes-Verfassungsgesetzes sowie die Darlegung und Deutung der Symbole und Denkmäler der demokratischen Republik handelt - mitsamt kultur- und kunsthistorischem sowie literarischem Hintergrund.

Welan war Hochschulprofessor für öffentliches Recht. Diem, als "Symbolforscher" apostrophiert, ist von seiner akademischen Herkunft Jurist und Politikwissenschafter und war lange Zeit für den ORF als Medienforscher erfolgreich unterwegs. Welan setzt sich seit Jahrzehnten mit der österreichischen Bundesverfassung und dem Bundespräsidenten in einer Vielzahl von systematischen politikwissenschaftlichen Publikationen auseinander. Er selbst stellt sich im Buch unkonventionell so vor, dass durch die jahrzehntelange Befassung mit der Verfassung "man so seine Erfahrungen hat, nicht nur gerade, sondern auch schräge Gedanken"; das ist das Nonkonformistische, was mich an diesem Werk angesprochen hat.

Ergänzen möchte ich mit einer persönlichen Anekdote. Welan und ich sind eine Kaffeehaus-Bekanntschaft aus den 60er Jahren des vorigen Jahrhunderts, und wir haben einander dort nicht nur kennen-, sondern auch schätzen gelernt, weil er im Diskurs meine Neigung zum öffentlichen Recht entfacht hat. Wir politisierten auch, haben in der Folge den sozialen Kontakt verloren, doch später tauchte er für mich wieder als Politiker in den Medien auf. In den vergangenen Jahren trafen wir einander wiederum zufällig in einem anderen Kaffeehaus und setzten unseren Diskurs fort.

Kleine "rechtliche Revolution"

Das Werk gliedert sich in drei Teile, beginnend mit der historischen Herleitung der Bundesverfassung sowie der Staatsorgane bis zum Systemwechsel in Österreich. Es folgt der gewichtige und in der Sammlung der Jubelschriften einmalige Teil der Staatssymbolik (Bundes-, Länderwappen, Hymnen und Denkmäler). Den Schluss bilden das Plädoyer für eine Österreicherklärung und ein Abriss der Staatszielbestimmungen (alleweil in Diskussion).

Die Abhandlung beginnt mit einem Paukenschlag. Welan bezeichnet die Beschlussfassung "über die grundlegenden Einrichtungen der Staatsgewalt" vom 21. Oktober 1918 als kleine "rechtliche Revolution". Geht Welan, der ein Meister der Worte ist, hier nicht etwas zu weit? Jedenfalls werde ich ihn, wenn wir uns mal wieder im Kaffeehaus treffen, meine Bedenken zu dem Begriff "rechtliche Revolutionen" darlegen.

Aber insgesamt sind die rechtshistorisch-staatswissenschaftlichen Kapitel geprägt vom umfassenden und immer kritischen Wissen Welans, gepaart mit einer an den Klassikern (Goethe) geschulten Ausdruckskraft, die häufig in, fast würde ich sagen Aphorismen kulminiert. Zum Beispiel: "[. . .] so war auch der Bundespräsident parlamentarisiert." Oder: Die Verzweigung eines Kleinstaates zum Keinstaat ist weit fortgeschritten, und "die erste Republik ist gescheitert, die zweite Republik ist gescheiter".

Im dritten Teil behandelt Welan den Weg in eine "dritte Republik" im Streben nach Freiheit, Wahrheit und Gerechtigkeit. Dem Realpolitiker - auch das ist Teil der Vita Welans - ist klar, dass diese Kategorien nie absolut erreichbar sind. Den Weg dahin müsse man aber beschreiten: Über die Staatsziele, Bekämpfung nationalsozialistischer Wiederbetätigung, Neutralität mit umfassender Landesverteidigung, Umweltschutz, Parteienstaat, Sozialpartnerschaft, Gleichstellung von Mann und Frau. Mit einem Wort: Über den Einbezug gesellschaftspolitischer Notwendigkeiten in unser Verfassungsdenken, aber wohl auch in die geschriebene Verfassung.

Welan setzt sich mit dem Art. 1 der Bundesverfassung auseinander und rezipiert, dass dieser oft unrichtig zitiert wird, wie zum Beispiel: "Alles Recht geht vom Volk aus." Statt schlicht und schlank: "Ihr Recht geht vom Volk aus."

Meiner Meinung nach ist der Abriss über den Geist der Verfassung, wie Parlamentarismus, Föderalismus und Rechtsstaat zu konzis gehalten. Besonders interessant sind allerdings die Gedankenspiele Welans zum Bundespräsidenten und Bundeskanzler mit den allgemein bekannten Beispielen aus den vergangenen Jahrzehnten der politischen Geschichte der Republik. Umso mehr vermisse ich, dass Welan zum Beispiel nicht die Problematik behandelt, ob der Bundespräsident eine Ernennungspflicht oder ein Ablehnungsrecht für einen Minister hat, siehe dazu Martin Kind JRP 28, Heft 2, 2020.

Minderheitenvotum am VfGH

Elegant ist die Formulierung Welans für den Verfassungsgerichtshof (in Anlehnung an Hans Kelsen); nämlich: ein Souvenir als Krone des Rechtsstaates.

Welans Eintreten für die Einrichtung der "dissenting opinion", also des Minderheitenvotums, am Verfassungsgerichtshof (VfGH), hat viel für sich und wird seit langem diskutiert. Diesbezüglich kann ich nur sagen: "Höret die Stimme."

Wer Welan kennt, wird sich nicht wundern, dass jener am Schluss auf den Österreich-Konvent und den erfolgreichen Verfassungsentwurf von Franz Fiedler zu sprechen kommt. Bedauerlicherweise wurden die sachlich und fachlich gut ausgearbeiteten Konventvorschläge überwiegend nicht umgesetzt.

Das Werk von Welan und Diem, das auch einen Anflug von wissenschaftlicher Gelehrsamkeit wie Literaturverzeichnis oder Fußnoten aufweist, ist jedenfalls jedem zur Lektüre zu empfehlen, der Interesse am Entstehen und Wirken unserer Bundesverfassung hat.

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