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Im Krieg, in der Liebe und in der Corona-Krise ist alles erlaubt?

Von Martin Schiefer

Recht

Der erste Lockdown feiert bald seinen ersten Jahrestag. Von einer funktionierenden Beschaffung sind wir noch immer weit entfernt.


Zuerst, im März 2020, waren es die fehlenden Schutzausrüstungen für das medizinische Personal. Dann waren es die zweifelhafte Herkunft und Zuverlässigkeit der chinesischen Masken, gefolgt von Antigen-Tests für die ersten Massentests und den fehlenden FFP2-Masken für die publikumswirksam angekündigte Versorgung aller Österreicherinnen und Österreicher über 65 Jahre. Und nun sind es die Impfdosen, die wahrlich nicht in jener Menge zur Verfügung stehen, wie wir uns das wünschen.

Seit zehn Monaten diskutieren wir - viel zu wenig -, warum etwas nicht da ist, wo es herkommt, was es kostet. Die Ausrede, die wir vielfach zu hören bekommen: die Corona-Krise. Das erinnert an das Napoleon zugeschriebene Sprichwort: Im Krieg und in der Liebe ist alles erlaubt. Müssen wir das Zitat 2021 tatsächlich ergänzen mit: Im Krieg, in der Liebe und in der Beschaffung während der Corona-Krise ist alles erlaubt?

Die Corona-Krise-Ausrede mag in den ersten Wochen legitim gewesen sein, aber wir hatten nun schon wahrlich genug Zeit, uns auf die zweite Welle (Oder welche ist das gerade?) vorzubereiten. Der erste Lockdown feiert demnächst seinen ersten Jahrestag, aber von einer funktionierenden Beschaffung sind wir nach wie vor noch weit entfernt. Als Vergaberechtler, der sich seit mehr als 20 Jahren mit Beschaffung und Einkauf beschäftigt, kann ich versichern, dass es auch in Pandemiezeiten durchaus möglich ist, transparente und rechtskonforme Vergaben durchzuführen.

Die Corona-Krise hat viel Wahrheit zutage gebracht: den Nachholbedarf der österreichischen Unternehmen in der digitalen Transformation, die "Antiquiertheit" und Starrheit unseres Bildungssystems und die Schwachstellen in der öffentlichen Beschaffung. Die Corona-Krise ist eine Gesundheitskrise, eine Wirtschaftskrise, eine Bildungskrise und auch eine Beschaffungskrise.

Ein perfekter Einkauf funktioniert immer gleich

Denn egal, ob Krise, "Normalität" oder "Abnormalität", eine professionelle Vergabe, ein perfekter Einkauf funktioniert immer gleich - auch, wenn sich die Zeiten und Gegebenheiten ändern, die Prinzipien bleiben. Ein guter Einkäufer muss innovativ sein, das Geschäft seines Anbieters kennen, vorausschauend planen, nahe an den Entscheidungsträgern sein und natürlich über Verhandlungsgeschick verfügen. Der Einkauf ist eine hoch spezialisierte Einheit, die ganz oben angesiedelt sein muss.

Vergabe ist strategisch. Es werden strategische Entscheidungen getroffen, die den Unterschied machen. Der Unterschied ist, ob unsere Ärzte ausreichend geschützt sind, ob wir für Massentests genügend Kits haben, ob wir den vulnerablen Gruppen die richtigen FFP2-Masken zur Verfügung stellen können, deren Zertifizierung man trauen kann. Und mit einem perfekten Vergabeprozess kann man dafür sorgen, dass die Bevölkerung so rasch wie möglich eine entsprechende Durchimpfungsrate erreicht. Zudem könnte man mit professioneller Beschaffung Werte wie Regionalität und Nachhaltigkeit aktiv voranbringen.

Eine perfekte Vergabe hätte die Kraft und die Möglichkeit, Sicherheit und Freiheit während der Pandemie zu geben und sie schlussendlich früher zu besiegen. Nur schade, dass ich das alles im Konjunktiv schreiben muss, denn die Pandemie hat uns vor Augen geführt, was passiert, wenn Beschaffung nicht professionell aufgesetzt ist und nicht perfekt funktioniert.

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