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Unabhängigkeit der Justiz ist essenziell

Von Peter Hilpold

Recht

Ein Bundesstaatsanwalt ist nötig, reicht aber nicht für eine wirksame Korruptionsbekämpfung.


Im Nachgang zur Ibiza-Affäre gewinnt die Anti-Korruptions-Diskussion ständig an Dynamik, mit einer unerwarteten Beschleunigung in den vergangenen Tagen und Wochen. Diese Diskussion hat einmal einen politischen Strang, insoweit sie die Bereitschaft der politischen Vertreter zum Ausdruck bringt, dieses gesellschaftlich zersetzende Phänomen endlich wirksam(er) in den Griff zu bekommen. Sie hat aber auch - und ganz zentral - eine theoretische, rechtswissenschaftliche Seite.

Diesbezüglich ist es besonders erfreulich, dass gerade die vielen, in den vergangenen Jahren in der "Wiener Zeitung" dazu veröffentlichten Expertenmeinungen nun eine besondere Aktualität an den Tag legen. Und den Autor dieser Zeilen freut insbesondere, dass das vor kurzem veröffentlichte Sammelwerk zu "100 Jahren Verfassung" (Hilpold/Matzka/Hämmerle, Facultas/Wiener Zeitung, Dezember 2020) eine Vielzahl an Lösungsvorschlägen renommierter ExpertInnen enthält, die nun unmittelbar nutzbringend Verwendung finden können.

Bestellung in breitem Konsens

Im Mittelpunkt der Diskussionen der vergangenen Tage steht die Forderung nach Einführung eines Bundesstaatsanwalts. Dazu hat sich - völlig zu Recht - spontan ein großer Konsens gezeigt. Dieses Konzept ist allerdings - in einem ersten Moment - nicht mehr als ein Begriff. Es kommt auf die Ausgestaltung an, ob damit die Unabhängigkeit der Justiz und damit die Rechtsstaatlichkeit in Österreich tatsächlich vorangebracht werden.

Die ergänzenden Vorschläge: Bestellung in breitem Konsens unter Einbeziehung nicht nur des Parlaments, sondern auch der Justiz, Funktionsperiode von acht bis zwölf Jahren, keine Möglichkeit der Wiederwahl, ausgedehnte Berichtspflichten gegenüber dem Parlament, sind sehr sinnvoll, doch weit mehr ist erforderlich. Es kann dies nur ein Element in einem breiteren Bemühen sein, die Unabhängigkeit der Justiz mit Loslösung der Staatsanwaltschaften von der Exekutive zu gewährleisten.

Der Bundesstaatsanwalt darf natürlich nicht zur autokratischen Figur werden. Deshalb sollte er/sie von einem Experten-/Weisenrat von profilierten ExpertInnen unterstützt werden, die auch nach außen hin ein "votum separatum" (gleich wie nun sinnvollerweise für den Verfassungsgerichtshof vorgeschlagen) vertreten dürfen. Ziel sollte es sein, echte Transparenz zu gewährleisten und die nachprüfende Kontrolle durch den Nationalrat mit wirklicher Substanz zu füllen.

Selbstverwaltung der Justiz

Wie in dem erwähnten Sammelwerk näher ausgeführt, müssten aber auch Maßnahmen gesetzt werden, um die Objektivierung der Richterkarrieren zu gewährleisten, unter Ausschluss auch potenziellen politischen Einflusses. Letztlich müsste es das Ziel sein, die Gerichtsbarkeit samt Staatsanwaltschaften vollständig von der Exekutive zu lösen und einen Selbstverwaltungskörper der Justiz, einen "Rat der Gerichtsbarkeit", nach ausländischem Vorbild zu schaffen.

Zahlreiche weitere Begleitmaßnahmen wären erforderlich: So bräuchte der - hervorragend arbeitende - Rechnungshof (RH) mehr wirksame Durchgriffsmöglichkeiten. Die eigene Staatsanwaltschaft am RH in Italien hat sich als äußerst schlagkräftig erwiesen. Ein Kompromiss könnte in einer engen Anbindung des Bundesstaatsanwalts an den RH bestehen.

Dringend reformbedürftig wäre auch § 35c StAG, der es gegenwärtig de facto den Staatsanwaltschaften offen lässt, ob sie Ermittlungen führen wollen oder nicht. Der pauschale Verweis auf das "Fehlen eines Anfangsverdachts" kann nicht ausreichen. Gerade hier wäre ein wichtiges Aufgabenfeld für den Experten-/Weisenrat bei der Bundesstaatsanwaltschaft eröffnet.

Antikorruptionsbemühungen müssen allerdings noch viel breiter und tiefer ansetzen. Wie schon in einem Beitrag in der "Wiener Zeitung" 2019 ausgeführt, muss nicht nur der Straftatbestand des Amtsmissbrauchs neu gefasst werden, sondern es bedarf zusätzlicher Vorkehrungen zur Ahndung von Missständen in der Verwaltung. Zum neu Fassen des Amtsmissbrauchs: Unter Verweis auf die "innere Tatseite" kann breitflächig von einer Strafverfolgung abgesehen werden; hinzu kommt die immer eingeschränktere Anwendbarkeit dieses Straftatbestands aufgrund des Rückzugs des "öffentlichen Sektors". Die Aufsichtsbeschwerde hat sich leider vielfach als wirkungs- und zahnlos erwiesen. Die unterlassene Wahrnehmung der Aufsichtsfunktion muss entsprechende rechtliche Konsequenzen zeitigen.

Die Abschaffung des Amtsgeheimnisses ist eine äußerst wertvolle Initiative. Es wird sich zeigen, inwieweit die Verwaltung diesen Anspruch auf Transparenz tatsächlich spontan nachkommt, oder ob es letztlich doch einen "Informationsfreiheitsbeauftragten" braucht.

Die Einführung einer Urteilsbeschwerde an den Verfassungsgerichtshof zur Sicherstellung der Verfassungskonformität von Gerichtsentscheidungen wäre ein weiterer, überfälliger Schritt.

Prosperierende Wirtschaft

Ein weiteres Rechtsstaatlichkeitsproblem - und Korruption ist primär eine Herausforderung für die Rechtsstaatlichkeit -liegt im Umstand, dass das Individualbeschwerdeverfahren vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) über weite Strecken nicht mehr greift. Dies ist zwar ein gesamteuropäisches Problem, aber bei dysfunktionalen Entwicklungen in den nationalen Justizordnungen besonders akzentuiert. Hier könnte Österreich international tätig werden und auf eine Reform des EGMR-Systems drängen.

Eine funktionierende, unabhängige, vertrauenswürdige Justiz, die wirksam und unparteiisch Korruption bekämpft, ist nicht nur für die Stabilität einer demokratischen politischen Ordnung essenziell. Sie gilt auch als wesentliche Voraussetzung für ein prosperierendes Wirtschaftssystem. Angesichts der aktuellen Meldungen über einen im EU-Vergleich besonders schwerwiegenden Wirtschaftseinbruch in Österreich wäre ein Grund mehr gegeben, die Justizreform und die Bemühungen zu einer wirksameren Korruptionsbekämpfung mit aller Entschlossenheit in einem parteiübergreifenden Konsens voranzutreiben.

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