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Was ist Nachhaltigkeitsrecht?

Von Markus Beham und Berthold Hofbauer

Recht
© adobe stock / Ruslana Velichko

Die juristische Bewältigung der österreichischen Klimaneutralität 2040.


Der Begriff "Nachhaltigkeit" ist Teil unseres täglichen Sprachgebrauchs geworden. Dabei reicht seine Bedeutung von der schlichten Längerfristigkeit bis hin zu konkreten umweltpolitischen Zielsetzungen - wie dem sorgsamen Umgang mit Ressourcen oder der CO2-neutralen Produktion. Erstmals wissenschaftlich verwendet wurde er 1713 von Carl von Carlowitz, der - als Antithese zum Raubbau der Wälder - für eine verantwortungsbewusste Forstwirtschaft plädierte. Zu diesem Zweck formulierte er das Prinzip der "nachhaltenden Nutzung".

Der Begriff "Nachhaltigkeit" ist heute aber wesentlich weiter und umfasst in seiner internationalen Dimension die komplexen Zusammenhänge zwischen Umweltschutz und der globalen wirtschaftlichen Entwicklung in der Balance des Drei-Säulen-Modells von Ökologie, Ökonomie und Sozialem. In der Arbeit der Vereinten Nationen prägt "sustainability" respektive "sustainable development" bereits seit über 30 Jahren den multilateralen Diskussionsrahmen, was 2015 in der Annahme der "2030 Agenda for Sustainable Development" mündete. Die darin enthaltenen 17 Sustainable Development Goals (SDGs) legen konkrete Ziele für eine nachhaltige globale Entwicklung fest.

"Kühne Schritte"

Diese Ziele sind aber als Zwischenziele zu verstehen und Teil einer inklusiven Veränderung der Weltwirtschaft, wie in der Präambel der "2030 Agenda" sichtbar wird: "Wir sind entschlossen, die kühnen und transformativen Schritte zu unternehmen, die dringend notwendig sind, um die Welt auf den Pfad der Nachhaltigkeit und der Widerstandsfähigkeit zu bringen. Wir versprechen, auf dieser gemeinsamen Reise, die wir heute antreten, niemanden zurückzulassen."

Auf EU-Ebene findet sich mittlerweile ein ambitionierter Nachhaltigkeitsbegriff eigener Prägung: Die EU gibt im Rahmen ihrer jüngsten Rechtssetzung strenge Zielsetzungen vor, etwa im Bereich der nachhaltigen Vergabe. Die Union setzt mit dem "Green Deal" ein Bekenntnis zur nachhaltigen Kreislaufwirtschaft mit dem Ziel eines klimaneutralen Europas bis 2050. Letztlich ist nicht weniger als eine Neuausrichtung der Wirtschaft geplant: weg von einer sich verbrauchenden und hin zu einer sich regenerierenden Kreislaufwirtschaft. Ursula von der Leyen verglich die erforderlichen Anstrengungen mit dem US-Programm für die erste Mondlandung und sprach von Europas "Mann auf dem Mond"-Moment.

Handfeste Hinweise auf Veränderungen

Die jüngste Rechtssetzung der EU verdeutlicht die Ernsthaftigkeit des Unterfangens. So erstreckt sich etwa das derzeit in Abstimmung befindliche Europäische Klimagesetz auf alle relevanten Wirtschaftsbereiche und erhöht sogar das noch im "Green Deal" lancierte CO2-Reduktionsziel für 2030. Die Governance-Verordnung der Union sucht diesen Prozess gesamtheitlich zu begleiten und zu leiten.

Die Entwicklungen auf europäischer Ebene geben erste handfeste Hinweise auf die zu erwartenden Veränderungen. Im österreichischen Regierungsprogramm wird der "Nachhaltigkeit" ein besonderer Stellenwert eingeräumt. Konkret bildet es das Fundament sämtlicher Politik-Säulen und findet mehr als 100 Mal Erwähnung. Österreich setzt sich dabei ein noch ambitionierteres Ziel als die Union: Klimaneutralität 2040. Mit diesen Impulsen wird auch das Echo seitens der Wirtschaft folgen: die "Green Economy", die den wirtschaftlichen Erfolg eines Unternehmens an die gewinnbringende Verschränkung von Ökologie und Ökonomie knüpft.

Phänomen der Klimaklagen

Die angestrebte Nachhaltigkeitswende kann allerdings nicht mit Einzelmaßnahmen umgesetzt werden, sondern benötigt einen ganzheitlichen, normativen Ansatz. Das Umwelt-, Energie- und Vergaberecht werden zwar zentrale Rechtsgebiete bleiben, eine Beschränkung darauf wäre aber zu kurz gegriffen.

Das wachsende Phänomen der Klimaklagen demonstriert, wie das allgemeine Zivilrecht über Fragen der Kausalität die Möglichkeiten des Verfahrensausgangs begrenzt. Im Gesellschafts- und Unternehmensrecht bestimmt (neben materiellen Fragen wie der "corporate social responsibility") bereits deren formelle Ordnungsfunktion über Kontroll- und Transparenzmechanismen den Charakter einer Wirtschaftsordnung. Das (europäische) Bank- und Finanzmarktrecht befasst sich mit dem steigenden Bedürfnis nach nachhaltigen Finanzprodukten ("sustainable finance") wie "green bonds". Während das Steuerrecht als Lenkungsinstrument hervorsticht, steckt das Strafrecht - als ultimativer Ausdruck gesellschaftlicher Sanktionierung - wohl den äußeren Rahmen für die Nachhaltigkeitsziele ab.

Die Nachhaltigkeit lässt sich als gesellschaftspolitische Leitidee nur dann verwirklichen, wenn ihr auch der Sprung zum rechtlichen Leitprinzip gelingt. Das Recht kann und wird zur Umsetzung der Nachhaltigkeitsziele nur ganzheitlich seine volle Wirkung entfalten. Es ist somit auch nicht mehr genüge getan, zwischen öffentlichem Recht und Privatrecht eine Grenze zu ziehen. Die normative Umsetzung der Ziele erfolgt bereits heute im rechtlichen Querschnitt zwischen Völker-, Europa- und innerstaatlichem Recht. Dazu sind die Rechtswissenschaft und die rechtliche Praxis aufgerufen, ihre Ansätze neu zu denken: als Nachhaltigkeitsrecht.