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Schiedsverfahren künftig online?

Von Matthias Hofer und Eric Leikin

Recht

Pandemiebedingte Verhandlungen per Videokonferenz funktionierten besser als befürchtet - und könnten daher bleiben.


"Remote hearings", also Verhandlungen per Videokonferenz, bewahrten die Schiedsgerichtsbarkeit in 2020/2021 vor einem pandemiebedingten Stillstand. Im Vergleich zu einer Verhandlung vor Ort gehen bei einer Videoverhandlungen zwar gewisse zwischenmenschliche Aspekte verloren. Videoverhandlungen funktionieren in der Praxis aber besser als vielerorts befürchtet. Dazu kommen Vorteile wie Zeit- und Kostenersparnisse und eine deutlich geringere Umweltbelastung. Deswegen kann die Videoverhandlung auch nach der Pandemie eine Alternative zur Verhandlung vor Ort sein.

Wie es zu diesem Paradigmenwechsel kam und was es bei der Entscheidung Videoverhandlung oder Verhandlung vor Ort zu berücksichtigen gilt: Schiedsverfahren dienen der Beilegung von - häufig komplexen und internationalen - Streitigkeiten vor einem Schiedsgericht. Nicht nur die Streitparteien, sondern auch die weiteren Prozessbeteiligten (zum Beispiel Schiedsrichterinnen oder Anwälte) kommen vielfach aus unterschiedlichen Ländern, was die Nutzung von Verhandlungen per Videokonferenz eigentlich nahelegen würde. Dem standen aber sowohl praktische (wie das Risiko von IT-Problemen oder Missbrauchsgefahr) als auch rechtliche (widerspricht eine Videoverhandlung einem fairen Verfahren?) Bedenken gegenüber. In der Praxis war die Durchführung von Videoverhandlungen bis 2020 die Ausnahme, Verhandlungen vor Ort die unangefochtene Regel.

Professionelle Technik

Dann kam die Pandemie. Die Durchführung von Schiedsverhandlungen vor Ort wurde abrupt verunmöglicht. Ein nie dagewesener Boom von "remote hearings" folgte, wie eine aktuelle Umfrage der Internationalen Handelskammer (ICC) zeigt. Infolge der gesteigerten Nachfrage stieg auch das Angebot an IT-Dienstleistern, die die Verhandlung technisch professionell betreuen können (und unter anderem dafür sorgen, dass sich die Parteien in Verhandlungspausen in getrennten "Räumen" mit ihren Anwälten beraten können oder die richtigen Dokumente eingeblendet werden).

Der Boom von Videoverhandlungen wurde auch dadurch gefördert, dass die wesentlichen Schiedsinstitutionen rasch entsprechende Richtlinien/Praxisleitfäden bereitstellten (etwa das "Vienna Protocol" der Internationalen Schiedsinstitution der Wirtschaftskammer Österreich, VIAC). Weiters adaptierten Schiedsinstitutionen ihre Schiedsregeln (zum Beispiel die ICC) oder veröffentlichten entsprechende Auslegungshinweise (zum Beispiel VIAC) und sorgten für mehr Rechtssicherheit zum Thema Videokonferenz. Gleiches gilt für zwischenzeitlich ergangene gerichtliche Entscheidungen zur Frage der Zulässigkeit von Videokonferenzen. Darunter ist die international vielbeachtete Entscheidung des österreichischen Obersten Gerichtshofs (OGH) hervorzuheben. Darin hat sich der OGH als wohl erstes Höchstgericht weltweit näher mit Videoverhandlungen in Schiedsverfahren befasst und diese im Grundsatz auch gegen den Willen einer Partei für zulässig erklärt.

Interaktion erschwert

Das vormals ungewohnte Format erwies sich aus praktischer Sicht, auch nach Erfahrung der Autoren, besser als erwartet. Selbst eine mehrwöchige Schiedsverhandlung per Videokonferenz mit zahlreichen Beteiligten konnte mit entsprechender Vorbereitung problemlos (und ohne Katzenfiltervorfälle) durchgeführt werden. Freilich geht das Format mit Nachteilen einher. So ist etwa die Interaktion zwischen den Verfahrensbeteiligten, insbesondere dem Schiedsgericht, erschwert, da man eben nur "virtuell" im selben Raum sitzt. Die häufig geäußerte Sorge, wonach mit einer Videoverhandlung per se ein erhöhtes Missbrauchsrisiko bei Zeugenvernehmungen einhergeht (etwa durch "Einflüstern" hinter den Kulissen, also abseits der Kamera), hat sich dagegen nach dem Eindruck der Autoren bisher nicht bewahrheitet beziehungsweise lässt sich diese durch entsprechende Vorgaben ("Virtual Hearing Protocol") adressieren. Zwar muss der Fragestil an das Format angepasst werden (es gibt zum Beispiel häufigere Sprechpausen/Unterbrechungen als gewohnt). Die Annahme, dass Zeugen aufgrund einer virtuellen Befragung eher geneigt sein könnten, die Unwahrheit zu sagen, lässt sich bis dato aber nicht nachvollziehen: Weder bestätigt der persönliche Eindruck der Autoren respektive von Kolleginnen und Kollegen eine solche Befürchtung, noch sind, soweit ersichtlich, dahingehende wissenschaftliche Studien bekannt. Dies gilt es freilich zu beobachten.

Geringere Umweltbelastung

Den (möglichen) Nachteilen von Videokonferenzen stehen objektivierbare Vorteile gegenüber wie Effizienzgewinne, Zeit- und Kostenersparnis oder deutlich geringere Umweltbelastung infolge des Wegfalls von Flugreisen (sowie einer elektronischen Aktenführung). Im Lichte bestehender globaler Trends (zunehmende Digitalisierung, Nachhaltigkeit oder Klimaschutz) sowie des steigenden Effizienzdrucks werden diese Aspekte in den kommenden Jahren weiter an Gewicht gewinnen. Daneben wurde infolge der Pandemie vielerorts nicht nur die technische Infrastruktur geschaffen, sondern, wie gezeigt, auch die rechtlichen Grundlagen geklärt, um Videoverhandlungen zielführend abzuhalten.

Vor diesem Hintergrund und im Unterschied zur Vergangenheit werden sich Schiedspraktiker und Unternehmen künftig in den meisten Schiedsverfahren die Frage stellen müssen, ob eine Videoverhandlung in Betracht kommt. Dabei wird es letztlich auf die Umstände im Einzelfall ankommen. So ist auch denkbar, dass es in der Praxis zu Hybridlösungen kommt, also etwa nur einzelne Personen per Videokonferenz teilnehmen (wie Zeugen mit weiter Anreise), um so das Beste aus beiden Welten zu vereinen. Schiedspraktikerinnen und Unternehmer sind jedenfalls gut beraten, sich darauf einzustellen, dass Videoverhandlungen kein temporäres Phänomen bleiben.

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