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Die Prominenz endet nicht bei der Straftat

Von Petra Tempfer

Recht
Inwieweit jemand prominent genug ist, um genannt werden zu dürfen, ist Abwägungssache.
© adobe.stock / stockphoto mania

Eindeutige Hinweise auf Personen rund um Straftaten sind in Medien verboten - es gibt aber Ausnahmen. Dass aktuell Wolfgang Fellner genannt wird, ist laut Experten rechtens. Deutschlands Judikatur ist allredings präziser.


Belästigungsvorwürfe um einen Medienmacher beschäftigen derzeit das Gericht. Oder: Belästigungsvorwürfe um einen Medienmacher, dem die Tageszeitung "Österreich" gehört, beschäftigen derzeit das Gericht. Oder, wie es in der Vorwoche durch die Medien ging: Belästigungsvorwürfe um den Medienmacher Wolfgang Fellner beschäftigen derzeit das Gericht. Diese letzte Formulierung lässt eindeutig erkennen, wer weshalb derzeit das Gericht beschäftigt, und auch zweitere lässt kaum Zweifel offen. Wählt man die erste Version, ist allerdings absolut unklar, um wen es sich handelt - allein an Tageszeitungen erscheinen etwas mehr als ein Dutzend in Österreich.

Ist es aber überhaupt erlaubt, dass Leser einer Zeitung, Fernsehzuschauer oder Radiohörer die Person hinter etwaigen Vorwürfen erkennen? Oder, anders gefragt: Wann ist es das nicht? Im Fall Fellner ist es nicht nur laut dem Rechtsanwalt und Verfassungsrichter Michael Rami gerechtfertigt, der die - so der Vorwurf - belästigte und danach fristlos entlassene Moderatorin vor dem Arbeits- und Sozialgericht vertritt. Auch die Medienrechtler Andreas Frauenberger und Sascha Jung sehen es so.

Sie alle stützen sich dabei auf § 7a MedienG (Mediengesetz). Konkret auf Abs. 1, wonach die Identität der Opfer, Verdächtigen und Verurteilten einer gerichtlich strafbaren Handlung sowie auch der Auskunftspersonen vor einem U-Ausschuss zwar nicht eindeutig erkennbar sein darf (durch Bild, Namen oder andere identifizierende Angaben). Dieser Schutz fällt jedoch, wenn "wegen der Stellung des Betroffenen in der Öffentlichkeit, wegen eines sonstigen Zusammenhanges mit dem öffentlichen Leben oder aus anderen Gründen ein überwiegendes Interesse der Öffentlichkeit an der Veröffentlichung dieser Angaben bestanden hat". "Wenn das nicht auf Herrn Fellner zutrifft, auf wen dann?", fragt Medienrechtsexperte Rami. Daher sei der in der Medienbranche Prominente genauso wie etwa ein Politiker zu behandeln.

Inwieweit jemand prominent genug ist, um genannt werden zu dürfen, ist freilich Abwägungssache. Und auch, wann ein Fall erwähnenswert genug ist, um mit diesem in Verbindung gebracht zu werden. Franz Fuchs zum Beispiel war ein Unbekannter, bevor er in den 90er Jahren zum österreichischen Briefbombenattentäter wurde. Im Jahr 2000 suizidierte er sich in seiner Zelle. Vice versa drang der Name jenes Mannes, der 2017 alkoholisiert einen tödlichen Bootsunfall auf dem Wörthersee verursacht hatte, nicht in die Medien, obwohl er in seiner Branche kein Unbekannter war - "aber wohl nicht prominent genug", sagt dazu Rami im Gespräch mit der "Wiener Zeitung". Der Unfall sei zudem im Privatbereich passiert. Die Strafe von neuneinhalb Monaten Fußfessel hat er bereits verbüßt.

Moralischer Anspruch

Grundsätzlich gelte: "Je schwerer und aufsehenerregender die Tat, desto eher darf man die Identität der Person dahinter bekannt geben. Ein Verschweigen würde im Widerspruch zum moralischen Anspruch stehen, den der Betreffende in die Öffentlichkeit transportiert", präzisiert Frauenberger. Dieser hat den Anwalt, der im Vorfeld des Ibiza-Videos die entscheidenden Fäden gezogen hatte, vertreten.

Beim Obersten Gerichtshof (OGH) hat er den Beschluss erwirkt, dass das Video wegen des überragenden öffentlichen Interesses an seinem Inhalt weiterhin verbreitet werden darf. In seiner jüngsten Entscheidung in der Causa hat der OGH allerdings auch erlaubt, dass Bilder dieses Anwalts zumindest damals medial verbreitet werden durften - und dabei die Pressefreiheit betont.

Diese ist stets der gewichtige Gegenspieler des Identitätsschutzes. Sie hat allerdings auch klare Grenzen: "Über den Privat- und Intimbereich wie sexuelle Orientierung, Krankheiten oder Liebesaffären kann jeder selbst verfügen", sagt Frauenberger. Kinder und Jugendliche stünden ebenfalls unter besonderem Schutz.

Missachtet man diesen ungerechtfertigterweise und ganz egal in welcher Form, so können die Entschädigungen für die "erlittene persönliche Beeinträchtigung", wie es in § 7a Abs. 1 MedienG heißt, hoch sein. "Sie wurden zuletzt massiv erhöht", sagt Frauenberger. Konkret von 20.000 auf 40.000 Euro als Höchstgrenze, bei besonders schwerwiegenden Auswirkungen oder grob fahrlässigem Verhalten des Mediums können es laut Frauenberger bis zu 100.000 Euro sein.

Die Höhe der Entschädigung orientiere sich dabei immer an der finanziellen Größe des Mediums. Eine Ausnahme sei freilich, wenn Sender oder Zeitungen behördlich dazu aufgefordert werden, das Bild zum Beispiel eines Bankräubers groß zu bringen, um Hinweise zu erhalten. "Dann hat der Abgebildete Pech gehabt", so Frauenberger.

Die meisten Klagen in Österreich zum Identitätsschutz betreffen den Experten zufolge Fotos in den Medien - weil durch diese selbst dann jemand erkennbar wird, wenn man dessen Namen nicht weiß. Im Vergleich zu Deutschland sei die Klagskultur hierzulande aber zurückhaltender, sagt Jung, der Klienten wie das deutsche Nachrichtenmagazin "Der Spiegel" oder die "Süddeutsche Zeitung" im Portfolio hat - eine zurückhaltendere. Das mag vielleicht auch daran liegen, dass Deutschland eine um vieles größere Medienlandschaft bietet, mit einem ausgeprägten Boulevard-, aber auch Qualitätsjournalismus.

Österreichs Informationsinteresse

Klagen gegen Medienhäuser gebe es in Deutschland daher viele - und auch große Medienrechtskanzleien. Die Rechtsprechung in Deutschland sei präziser und nachvollziehbarer als in Österreich, sagt Jung. Hierzulande stelle wie gesagt § 7a MedienG auf das Informationsinteresse der Österreicher ab mit der Abwägung der Pressefreiheit auf der einen und dem Persönlichkeitsschutz auf der anderen Seite. Zudem gebe es weitere verstreute Bestimmungen wie § 78 UrhG (Urheberrechtsgesetz), in dem es um den Bildnisschutz geht, und § 1330 ABGB (Allgemeines Bürgerliches Gesetzbuch) zur Ehrenbeleidigung und Kreditschädigung. Auch § 16 ABGB könnte zum Tragen kommen, der Persönlichkeitsrechte schützt. "Österreich wird hier sehr zersplittert", so Jung. Hin und wieder setze sich der OGH mit der Rechtsgrundlage einzelner Fälle auseinander.

Deutsches Höchstgericht aktiv

In Deutschland habe indes der Bundesgerichtshof ein klares Stufensystem herausgearbeitet, inwieweit die identifizierende Verdachtsberichtserstattung zulässig ist: Demnach müssen laut Jung ein besonderes Informationsinteresse der Bevölkerung, aber auch ein Mindestbestand an Beweisen vorliegen. Zudem müssen die journalistischen Sorgfaltspflichten eingehalten werden, und es dürfen keine Vorverurteilungen stattfinden. Das bedeutet: Auch der Betroffene muss immer die Möglichkeit erhalten, zu den Vorwürfen Stellung zu nehmen, und Be-, als auch Entlastendes muss publiziert werden. Zu den Sorgfaltspflichten zählen zudem die sorgfältige Recherche und die Überprüfung des Wahrheitsgehalts.

Im Fall des ehemaligen deutschen Fußball-Teamspielers Christoph Metzelder habe zum Beispiel das Landesgericht Köln 2019 unter anderen den Verlagshäusern Burda und Axel Springer untersagt, über den Verdacht, kinderpornografisches Material weitergegeben zu haben, mit Namensnennung zu berichten, so Jung. Der Verdacht hatte sich erst später bestätigt, und Metzelder wurde mittlerweile rechtskräftig zu zehn Monaten Haft auf Bewährung verurteilt.

Für das Landesgericht Köln war jedoch zu Beginn der Berichterstattung der erforderliche Mindestbestand an Beweisen nicht gegeben -trotz Strafanzeige, Ermittlungen und Hausdurchsuchungen. "Das war abwegig", meint Jung, "und wurde von anderen deutschen Verlagshäusern auch nicht geteilt." Sie hielten trotz außergerichtlicher Abmahnungen an ihrer identifizierenden Berichterstattung fest. Im Zuge der weiteren Entwicklung blieben sie schließlich von Einstweiligen Verfügungen verschont.

Doch zurück nach Österreich: Hier gilt grundsätzlich das Prinzip der "Äußerungsfreiheit" für Medien. § 7a MedienG zum Identitätsschutz etwa datiert erst aus den frühen 90ern. Und blättert man alte Zeitungen aus den 30er Jahren durch, so waren dort Verdächtige nicht nur mit vollem Namen, sondern mitunter auch mit ihrer Wohnadresse zu finden.