Die junge Republik Deutschösterreich hatte zu Beginn ein Ziel: Sie wollte Bestandteil der Deutschen Republik sein. Das wurde ihr durch die Siegermächte verboten. Das Anschlussverbot an Deutschland besteht noch heute.

Die Republik Österreich hatte in ihrer Verfassung ein Staatsziel: "Österreich ist eine demokratische Republik. Ihr Recht geht vom Volk aus." (Art. 1 B-VG). Das sollte "auf ewige Zeiten" als Grundlage und Ziel gelten. Ansonsten war das Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) eine Verfahrensordnung der Politik und der Rechtsnormenerzeugung. Erst in der Zweiten Republik kam es zu mehreren Staatszielen. 1945 mussten die regierenden Parteien den Alliierten Mächten das Land als antinationalsozialistisch präsentieren. Später kamen Ziele, dem Zeitgeist entsprechend, dazu. So ist eine Summe von Austriazismen entstanden, geradezu als Ergänzung des Hauses der Geschichte.
Es begann mit dem Verbotsgesetz 1945 (StGBl 1945/13), das Gebote der Alliierten erfüllen und die Entnazifizierung Österreichs durchführen sollte. Es ist auf Dauer angelegt. Die wertneutrale wurde zur wehrhaften Demokratie.
Die Unabhängigkeitserklärung
Art. 9 und 10 des Staatsvertrages von Wien vom 15. Mai 1955 verpflichten Österreich zur Beseitigung aller Spuren des Nazismus sowie zur Bekämpfung eines Wiederauflebens. Nach der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes ist "die kompromisslose Ablehnung und Verfolgung des Nationalsozialismus" ein "grundlegendes Merkmal der wiedererstandenen Republik Österreich". Es besteht auch das Anschlussverbot an Deutschland (Art. 4). Insofern enthält auch die Unabhängigkeitserklärung als erste Verfassung 1945 auch ein Staatsziel - sie ist selbst eines.
Nach dem B-VG vom 26. Oktober 1955 über die Neutralität Österreichs erklärt Österreich "zum Zwecke der dauernden Behauptung seiner Unabhängigkeit nach außen und zum Zwecke der Unverletzlichkeit seines Gebietes [. . .] aus freien Stücken seine immerwährende Neutralität". Österreich verpflichtet sich, "diese mit allen ihm zu Gebote stehenden Mitteln aufrecht[zu]erhalten und [zu] verteidigen" (Art. I (1) Neutralitätsgesetz). Es wird "in aller Zukunft keinen militärischen Bundnissen beitreten und die Errichtung militärischer Stützpunkte fremder Staaten auf seinem Gebiete nicht zulassen" (Art I (2) Neutralitätsgesetz).
Die Neutralität wurde reduziert
Ergänzend hierzu ist das Bekenntnis Österreichs zur umfassenden Landesverteidigung (Art. 9a B-VG) zu verstehen. Ihre Aufgaben sind die Bewahrung der Unabhängigkeit nach außen, die Bewahrung der Unverletzlichkeit und Einheit des Bundesgebietes und die Aufrechterhaltung und Verteidigung der immerwährenden Neutralität. Sie gliedert sich in die militärische, geistige, zivile und die wirtschaftliche Landesverteidigung.
Durch die Entwicklung der Weltpolitik büßte die Neutralität ihre außenpolitische Funktion ein. Die Neutralitätspflichten wurden restriktiv interpretiert. Mit dem Beitritt zur Europäischen Union ab 1995 wurde die Neutralität neuerlich reduziert.
Der Weg ging von einer integralen zu einer differenziellen Neutralität. Aufrecht blieb die Verfassungsbestimmung des Verbotes des Anschlusses an Deutschland.
Das B-VG über den umfassenden Umweltschutz (BGBl 1984/491) ist aus dem Fall Hainburg als eine seiner Konsequenzen zu verstehen. 29 Jahre später wurde es durch das B-VG BGBl I 2013/111 ersetzt, das das Bekenntnis der Republik (Bund, Länder, Gemeinden) zur Nachhaltigkeit, zum Tierschutz, zum umfassenden Umweltschutz, zur Sicherstellung der Wasser- und Lebensmittelversorgung und zur Grundlagenforschung und angewandten Forschung enthält. Diese Staatszielbestimmung ist also ein Generaltitel für alles Mögliche.
Das B-VG BGBl I Nr 2013/111 hätte bald wieder geändert werden sollen, und zwar durch das "Bundesverfassungsgesetz über Staatsziele - Bekenntnis zu einem wettbewerbsfähigen Wirtschaftsstandort". Es wurde aber nicht beschlossen.
Schon 1999 war das Bekenntnis zu einem atomfreien Österreich (BGBl I 1999/149) erfolgt. Für das politische System sind das Bekenntnis zur Existenz und Vielfalt politischer Parteien durch die Verfassungsbestimmung des Art. I des Parteiengesetzes 2012 unter Ausschluss von nationalsozialistischen Parteien sowie die Erklärung des Rundfunks zur öffentlichen Aufgabe durch Art. I Abs. 3 B-VG BGBl 1974/396 über die Sicherung der Unabhängigkeit des Rundfunks relevant.
Im Art. 120a Abs. 2 B-VG hat die Republik die Rolle der Sozialpartner ausdrücklich anerkannt: "Sie achtet deren Autonomie und fördert den sozialpartnerschaftlichen Dialog durch die Einrichtung von Selbstverwaltungskörpern." Damit ist auch ein Weg der Interessenwahrnehmung und Konfliktregelung festgelegt.
Ein wichtiges Staatsziel, das Bund, Länder und Gemeinden betrifft, ist der Auftrag zur Sicherstellung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts - Art. 13 Abs. 2 B-VG (B-VG Novelle 1986; idF BGBl I 2008/1) - mit der Koordinierungspflicht der Gebietskörperschaften.
Das Bekenntnis zur Gleichstellung von Mann und Frau durch Art. 7 Abs. 2 B-VG idgF und Art. 13 Abs. 3 B-VG, wonach Bund, Länder und Gemeinden bei der Haushaltsführung die tatsächliche Gleichstellung von Frauen und Männern anzustreben haben, ist besondere Gesellschaftspolitik. Gleiches gilt für das Bekenntnis zur Gewährleistung der Gleichbehandlung behinderter und nicht behinderter Menschen in allen Bereichen des täglichen Lebens durch Art. 7 Abs. 1 B-VG, in diesem Zusammenhang auch die Anerkennung der österreichischen Gebärdensprache durch Art. 8 Abs. 3 B-VG idgF.
Bekenntnis zu Vielfalt an Kulturen
Wesentlich und durch Staatsverträge von 1919 und 1955 abgesichert ist das Bekenntnis der Republik (Bund, Länder, Gemeinden) zur gewachsenen sprachlichen und kulturellen Vielfalt, die in den autochthonen Volksgruppen zum Ausdruck kommt (Art. 8 Abs. 2 B-VG idgF). Die vielen anderen Volksstämme haben nicht die Rechte der anerkannten.
In das B-VG besonders integriert wurde das B-VG BGBl I 2005/31, durch das unter anderen Abs. 5a in Art. 14 B-VG eingefügt wurde. Es enthält besondere Gesellschaftspolitik: Folgende Grundwerte und Ziele von Bildung und Schule sind festgelegt: Demokratie, Humanität, Solidarität, Friede und Gerechtigkeit sowie Offenheit und Toleranz gegenüber den Menschen sind Grundwerte der Schule, auf deren Grundlage sie der gesamten Bevölkerung, unabhängig von Herkunft, sozialer Lage und finanziellem Hintergrund unter steter Sicherung und Weiterentwicklung bestmöglicher Qualität ein höchstmögliches Bildungsniveau sichert.
Im partnerschaftlichen Zusammenwirken von Schülern, Eltern und Lehrern ist Kindern und Jugendlichen die bestmöglich geistige, seelische und körperliche Entwicklung zu ermöglichen, damit sie zu gesunden, selbstbewussten, glücklichen, leistungsorientierten, pflichttreuen, musischen und kreativen Menschen werden, die befähigt sind, an den sozialen, religiösen und moralischen Werten orientiert Verantwortung für sich selbst, Mitmenschen, Umwelt und nachfolgende Generationen zu übernehmen.
Homo Austriacus als Ziel
Jeder Jugendliche soll seiner Entwicklung und seinem Bildungsweg entsprechend zu selbständigem Urteil und sozialem Verständnis geführt werden. Er soll dem politischen, religiösen und weltanschaulichen Denken anderer aufgeschlossen sein. Zudem soll er befähigt werden, am Kultur- und Wirtschaftsleben Österreichs, Europas und der Welt teilzunehmen und in Freiheits- und Friedensliebe an den gemeinsamen Aufgaben der Menschheit mitzuwirken. In diesem Zielbündel ist gewissermaßen ein Homo Austriacus als Ziel von Bildung und Schule im pädagogischen Dreieck intendiert.
Lassen wir die Aufzählung der Staatsziele Revue passieren. Sie sind ein Spiegel der Entwicklung der Zweiten Republik: Zu Beginn steht der Kampf gegen den Nationalsozialismus, dann ging es um die volle Souveränität: 1955 der Staatsvertrag, die dauernde Neutralität, der Beitritt zur UNO. Diese Staatsziele sollten bleiben. Die weiteren Staatsziele widerspiegeln den Zeitgeist in der Republikentwicklung: Gesellschaftlich, wirtschaftlich und in Hinblick auf die Umwelt. Letztere und die gesellschaftlichen wären weiter zu empfehlen.
Mit dem Beitritt zur EU 1995 wurde die Republik Österreich ein anderer Staat, ohne dass die Staatsziele ausdrücklich geändert wurden. So ist im Laufe der Jahrzehnte aus verschiedenen aktuellen "Lagen" eine bunte Landschaft entstanden, insgesamt ein kunterbuntes Österreichbild.
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