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Wissenschaft und Rechtspraxis

Von Nikolaus Lehner

Recht
© adobe.stock / Robert Kneschke

Gabriele Schmölzer, der nun ein Fest-Skriptum gewidmet wurde, lebt die Symbiose "Wissenschaft - Praxis - Studium".


Die äußere Form der Ehrbezeugung der Jubilarin gegenüber als Fest-Skriptum Straf(prozess)recht mit dem Untertitel "Eine straf(prozess)rechtliche Symbiose" ist ungewöhnlich, wurde aber vom Herausgeber Bernd Urban bewusst gewählt. Die Jubilarin Gabriele Schmölzer, seit 2002 Professorin und langjährige Studiendekanin an der rechtswissenschaftlichen Fakultät der Universität Graz, lebt die Symbiose, die im Titel zum Ausdruck kommt: "Wissenschaft - Praxis - Studium". Alle Grußworte dieser Festschrift (Herausgeber, Fakultätsvertreterin der Hochschülerschaft, Rektor, Verlag) nehmen auf diese Arbeits- und Lebensaufgabe der zu Ehrenden Bezug.

Anregungen für Legistik und Strafrechtsanwendung

Manifester Ausdruck der Symbiose ist der dreibändige "Grazer Kommentar zur StPO", erschienen bei LexisNexis, herausgegeben von Gabriele Schmölzer und Thomas Mühlbacher, wobei Letzterer selbst eine Verkörperung dieser Symbiose darstellt: Als leitender Staatsanwalt und "Praxisprofessor" am Grazer Strafrechtsinstitut, den ich bereits persönlich in den 90-er Jahren bei den Kongressen der Association Internationale De Droit Pénal (AIDP) kennengelernt habe.

Die Beiträge zu diesem Sammelband sind gekennzeichnet durch die gelebte Verbindung von Wissenschaft und Praxis. 35 Gratulanten lassen in 32 konzisen und straffen Aufsätzen ihre eigene wissenschaftliche Herkunft und ihren eigenen Schreibstil aufleuchten. Alle Beiträge sind durchdrungen vom Gedanken der engen Verbindung von Wissenschaft, Lehre und Praxis. Wissenschaftliche Erkenntnisse werden für die Rechtspraxis nutzbar gemacht: Anregungen für Legistik und Strafrechtsanwendung. Und ohne wissenschaftliche Fundierung gibt es auch keine zielführende universitäre Lehre.

Die Mehrzahl der Beiträge stammt aus dem näheren Umkreis der Jubilarin in Österreich; aber keineswegs beschränkt auf Strafrechtskolleginnen und -kollegen. Hervorzuheben ist die Einladung vieler junger Adepten der Strafrechtswissenschaft, die mit ihren Beiträgen einen bemerkenswerten Ausweis ihrer wissenschaftlichen Begabung liefern. Die internationale Verflochtenheit der Jubilarin kommt durch die Mitwirkung einiger ausländischer Freunde und Weggenossen zum Ausdruck.

Besonders brisant finde ich den Beitrag von Peter Schick, dem Doktor-Vater der Jubilarin. Schick analysiert einen grotesken Fall, wobei es ihm gelingt, sich allein auf die rechtlichen Feststellungen zu beschränken, wodurch eine Anonymisierung der beteiligten Personen sowie der Tatumstände indiziert ist, da sich das Verfahren noch im dritten Rechtsgang befindet.

Schon Schick zitiert eingangs mit "Wenn die Worte nicht stimmen, dann ist das Gesagte nicht das Gemeinte" Konfuzius. Damit komme ich auf meine Behauptung "grotesk" zurück und beziehe mich damit auf die Problematik in diesem Prozess, in dem ein Richter im Sinne des § 293 Abs. 2 StPO die Rechtsauffassung des Berufungsgerichtes übernommen hat, jedoch ohne Bedachtnahme auf die dadurch notwendigerweise zu modifizierenden Feststellungen.

Bequemlichkeit und Karrierestreben

Für den Erstrichter ist die Judikatur der höheren Instanz eine Entscheidungshilfe, allerdings spielen Motive wie Bequemlichkeit und Karrierestreben natürlich auch eine Rolle. Wenn er grundsätzlich anderer Meinung als die Judikatur und mutig genug ist, wird er auch gegen die Rechtsprechung entscheiden. Leider oft genug ist diese nicht einheitlich, nicht nur zwischen den vier Oberlandesgerichten, sondern sogar bei den Senaten des Obersten Gerichtshofs (OGH) - Rechtssicherheit indiziert dies nicht.

Anlässlich dieses Falles wird mir das Spannungsverhältnis bewusst, nämlich einerseits die verfassungsrechtlich normierte Unabhängigkeit der Justiz und daher auch des Einzelrichters und die Bindungswirkung gemäß § 293 Abs. 2 StPO; also eine klassische Antinomie. Der OGH verwendet Kunstgriffe, indem er behauptet, er sorge hier ja bei der Aufhebung nur für eine "richtige" Rechtsansicht und, wäre der Erstrichter nicht an die OGH-Ansicht gebunden, dann müsste der OGH später ohnedies wiederum aufheben, wenn sich das Erstgericht nicht an diese Rechtsansicht hielte. Es bleibt also dabei: Man kann nicht sagen, dass die Richter in Ausübung ihres Amtes unabhängig sein sollen (Art. 87 Abs. 1 B-VG) und sie gleichzeitig (!) an eine bestimmte Rechtsansicht binden wollen (so aber § 293 Abs. 2 StPO).

Netzwerk Vollzugsforschung im Justizministerium

Michael Schwanda, zum Zeitpunkt seines Beitrages noch Präsident des Landesgerichts St. Pölten und nun Präsident des Oberlandesgerichts Graz an der Wirkungsstätte der Jubilarin, berichtet vom Netzwerk Vollzugsforschung im Justizministerium, wobei dieses Thema starken Aktualitätsbezug durch das anhängige Begutachtungsverfahren für das geplante Maßnahmenpaket aufweist. Gerade an der Reform des Maßnahmenrechts, bei der die universitäre Forschung stets eingebunden war, zeigt sich die Wichtigkeit der Verbindung zwischen Wissenschaft und Rechtspraxis durch Anregungen aus der Lehre, die auch in den Gesetzgebungsprozess einfließen. Für diesen Diskussionsprozess steht Gabriele Schmölzer in besonderer Weise, kommt sie doch aus der Kriminologie und hat dadurch zu einer Bereicherung des Dialogs zwischen Universitas und Vollzugspraxis beigetragen.

Die schöne Geste des Herausgebers, die Ehrengabe für Gabriele Schmölzer bescheiden als Fest-Skriptum erscheinen zu lassen, möge die Jubilarin dazu animieren, mit dem Studium nicht aufzuhören, um die im Titel aufscheinende Symbiose noch lange weiter zu leben.

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