Eine Ziffer und ein Buchstabe lassen gemeinsam Emotionen hochkommen: 1G. Im Nachtclub, auf dem Fußballplatz, im Büro - wer und wo kann, darf und soll 1G fordern. Es ist ohne Frage ein hochsensibles Thema. Die Privilegien der Geimpften, die Spaltung der Gesellschaft, eine "Impfpflicht durch die Hintertür". . . Es folgt eine Prinzipiendiskussion, und das Wort Impfpflicht traut sich kaum ein Politiker in Österreich, in Europa und auf der ganzen Welt in den Mund zu nehmen.

Martin Schiefer ist seit mehr als 20 Jahren im Vergaberecht tätig und Experte für Beschaffung. Seine Kanzlei Schiefer Rechtsanwälte hat Büros ins Wien, Salzburg, Graz, Klagenfurt und St. Pölten. - © Renate Medwed
Martin Schiefer ist seit mehr als 20 Jahren im Vergaberecht tätig und Experte für Beschaffung. Seine Kanzlei Schiefer Rechtsanwälte hat Büros ins Wien, Salzburg, Graz, Klagenfurt und St. Pölten. - © Renate Medwed

Ist es nun diskriminierend - den Genesenen und den Getesteten gegenüber? Wo doch das Wort "diskriminieren" per se in der Political-Correctness-Gesellschaft zum absoluten Tabuwort mutierte. Ja, es kann schon sein, dass es diskriminierend ist, aber vielleicht sollte man in der einen oder anderen Causa diskriminieren dürfen oder müssen. Nicht-Geimpfte - mit Ausnahme der wenigen, die sich aus gesundheitlichen Gründen nicht impfen lassen sollten - denken nur an sich und handeln damit egoistisch und verantwortungslos. Impfen ist Verantwortung übernehmen: gegenüber der eigenen Gesundheit, dem Gesundheitssystem und der Gesellschaft. Eine Selbstverständlichkeit in einer Solidargesellschaft.

Mindestens gleichen Status wie Klimaschutz

Weiter gedacht - und auf mein Berufsfeld heruntergebrochen - bedeutet dies, wir dürfen, sollten und müssen 1G in öffentlichen Ausschreibungen fordern. Warum? Öffentliche Ausschreibungen sind Lenkungsinstrumente. Wir lenken, um Klimaziele zu erreichen, die regionale Wirtschaft zu unterstützen, Kreislaufwirtschaft zu forcieren. All diese Ziele "dürfen" per Ausschreibung ganz offiziell und rechtens verfolgt werden. Ohne diese Ziele gegeneinander ausspielen oder sie bewerten zu wollen, sollte die Pandemiebekämpfung mindestens den gleichen Status wie der Klimaschutz erhalten.

Die öffentliche Hand greift lenkend ein, wenn sie einen Fuhrpark mit E-Autos ausschreibt. Sie greift lenkend ein, wenn KMUs der Vorzug gegeben wird. Ebenso muss die öffentliche Hand lenkend einwirken, um die Pandemie zu bekämpfen.

Bei Ausschreibungen im Gesundheitsbereich, bei Bildungseinrichtungen oder im Personennahverkehr muss 1G selbstverständlich sein. Aber genauso selbstverständlich sollte 1G bei mindestens allen Projekten sein, bei denen Menschen persönlichen Kontakt haben: Das bedeutet, 1G als Ausschreibungskriterium für Mitarbeiter, Kooperationspartner und Lieferanten. Nur dann darf ein Auftrag von Bund, Land oder der Gemeinde erfolgen. Das sollte ehrlich gesagt gar nicht zur Diskussion stehen.