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Missbrauch bei Sterbehilfe jetzt möglich?

Von Ivo Greiter

Recht
Der Gesetzgeber soll darauf hinweisen, dass die Beihilfe zum Suizid für alte und kranke Menschen nicht zu einer normalen Form der Lebensbeendigung werden soll.
© adobe.stock / BillionPhotos.com

Die vom Verfassungsgerichtshof im Dezember 2020 gesetzte Frist für das Sterbeverfügungsgesetz wurde zu wenig genutzt: Deshalb wurde auch die Begutachtungsfrist von nur drei Wochen so heftig kritisiert.


Die derzeitige Formulierung der Regierungsvorlage zum Sterbeverfügungsgesetz, das die Mitwirkung am Suizid regeln soll, enthält trotz zahlreicher Ergebnisse aus dem Begutachtungsverfahren und intensiver Bemühungen der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im Justizministerium noch etliche Schwachstellen. Die vom Verfassungsgerichtshof im Dezember 2020, als es die Strafbarkeit der Mitwirkung am Suizid aufhob, gesetzte Frist wurde zu wenig genützt. Mein Appell beinhaltet den Vorschlag, die Regierungsvorlage noch einmal zu überarbeiten und dann im Parlament eine überarbeitete Fassung zur Abstimmung vorzulegen. Er richtet sich an die Bundesregierung, an die Justizsprecherin der ÖVP, Frau Michaela Steinacker, an die Justizsprecherin der Grünen, Frau Agnes Sirkka Prammer, und an die weiteren Mitglieder des Justizausschusses.

Wenn dies aus zeitlichen Gründen nicht mehr möglich scheint, schlage ich vor, die Abstimmung auf die nächste Sitzung zu verlegen. Besser kurze Zeit ohne gesetzliche Grundlage zu leben (wie in Deutschland) statt jahrzehntelang eine Regelung zu haben, die nicht nur missbrauchsanfällig ist, sondern tatsächlich zu massiven Missbräuchen geführt hat (wie in den Niederlanden).

Bei Vergleich der Regierungsvorlage mit dem Text des ersten Begutachtungsentwurfes, der am 23. Oktober 2021 zur Begutachtung bis 12. November 2021 mit einer Frist von 21 Tagen versandt wurde, hat sich nur wenig am Inhalt geändert.

Leider! Denn es handelt sich um ein Gesetz, das auf Jahrzehnte hinaus Wirkung entfalten wird bis in eine Zeit, in der die derzeitige hektische politische Situation nur mehr eine Randbemerkung in der Geschichte Österreichs sein wird.

Die folgenden Änderungsvorschläge wurden nicht in die Regierungsvorlage übernommen:

Vorschlag 1

Die Bezeichnung des Gesetzes als "Sterbeverfügungsgesetz" ist verharmlosend und sollte in die ehrlichere Bezeichnung "Suizidverfügungsgesetz" geändert werden.

Begründung

  • Es geht nicht um die Verfügung "über das Sterben" eines anderen Menschen, sondern um die "Erlaubnis", jemanden bei seinem "Suizid" unterstützen zu "dürfen", ohne dafür bestraft zu werden.

  • Aus der Bezeichnung des Gesetzes können sich missbräuchliche Verhaltensweisen entwickeln. Wer sich darauf beruft, durch das Gesetz ermuntert zu werden, über das Sterben eines anderen zu "verfügen", hat damit die Rechtfertigung, jemanden anderen "zu sterben".

Vorschlag 2

Bei der Redaktion des Strafgesetzbuches (Artikel 3) dürfte ein gravierendes Versehen unterlaufen sein. Es fehlt die Pflicht der Vorlage der Sterbeverfügung.

Begründung

  • Damit wird auch die auf zwei Wochen verkürzte Wartefrist bei Eintritt in die "terminale Phase (§ 8 Abs. 1)" gegenstandslos. Für das Vermeiden der Strafbarkeit der "Hilfe leistenden Person" ist nur noch der Nachweis der Aufklärung durch zwei ärztliche Personen erforderlich. Weder ist der Abstand von notfalls nur mehr zwei Wochen erforderlich noch die Vorlage der errichteten Sterbeverfügung.

Vorschlag 3

Niemand darf "hilfeleistende Person sein", wenn er durch den Tod der "sterbewilligen Person" eigene Vorteile erhält.

Begründung

  • Kein Erbe und auch niemand, dem die Wohnung "der sterbewilligen Person" im Todesfall zufällt, kann "Hilfe leistende Person" (§ 3 Z 3) oder "ärztliche Person" (§ 3 Z 5) sein.

Vorschlag 4

Es muss genauer definiert werden, was konkret unter den Begriff der "schweren, dauerhaften Krankheit" (§ 6 Abs. 3 Z 2) fällt.

Begründung

  • Mit dieser Formulierung können fast alle behinderten Menschen darunter fallen.

  • Die Folge davon ist, dass diese unter Druck gesetzt werden können, ihr Leben, welches für ihre Umgebung unerträglich scheint, zu beenden, weil es jetzt gesetzlich möglich ist.

Vorschlag 5

Es sollte ausdrücklich festgehalten werden, dass die Entscheidungsfähigkeit bei Personen, die bewusstlos sind, im Koma liegen oder dement sind, zweifelsfrei nicht gegeben ist.

Begründung

  • Aus § 6 Abs. 1, letzter Satz, ist dies zwar ableitbar. Die ergänzende Formulierung soll jedoch verhindern, dass durch eine spätere Interpretation des Gesetzes die Aussage ins Gegenteil verkehrt wird.

  • In den Niederlanden, wo die Tötung auf Verlangen erlaubt ist, sind aus Protest gegen die ausufernde Zahl von Demenzpatienten, die getötet werden, die Medizinerin Berna von Baarsen und der Ethiker Theo Boer aus der Kontrollkommission zurückgetreten. Sie konnten den deutlichen Wandel in der Auslegung der Euthanasie-Gesetze hin zu tödlichen Injektionen für Menschen mit Altersdemenz nicht mittragen. Die Kontrolle der Freiwilligkeit war ihnen zu wenig genau.

Vorschlag 6

Das Sterbeverfügungsregister ist jährlich und anonymisiert zu veröffentlichen.

Begründung

  • Die interessierte Öffentlichkeit soll in diesem sensiblen Thema die Möglichkeit haben, sich laufend über die Zahl der Beihilfen zum Suizid zu informieren.

Vorschlag 7

Die Nichtrückgabe des Präparats im Falle der Aufgabe des Sterbewillens soll mit Strafe belegt werden.

Begründung

  • Damit soll der Missbrauch des Präparats durch Weitergabe an Dritte verhindert, zumindest aber erschwert werden (§ 11 Abs. 3).

Vorschlag 8

Statt mit einer Verwaltungsstrafe, sollte auch die verbotene Werbung nach § 13 im Strafrahmen des § 78 Strafgesetz (Mitwirkung am Selbstmord) bestraft werden.

Begründung

  • Die Werbung für den Suizid sollte nicht auf der Basis eines "Kavaliersdeliktes" wie zum Beispiel falsches Parken geahndet werden, sondern entsprechend der Bedeutung im Strafgesetz verankert werden.

Vorschlag 9

Die Errichtung der Sterbeverfügung sollte vor einem Richter - und nur vor einem Richter - erfolgen.

Begründung

  • Im § 3 Z 6 wird festgehalten, dass die Sterbeverfügung vor Notaren oder Mitarbeitern der Patientenvertretungen zu errichten ist. Die ganze Aufklärung über rechtliche Aspekte ist in Gefahr, von einem individuellen Ereignis zu einem Routinevorgang zu werden. Bei einem Richter ist diese Gefahr nicht so gegeben.

  • Der Nachweis der freien Entscheidung des Suizidwilligen ist von grundlegender Bedeutung.

  • Wem dies zu umständlich scheint, dem ist entgegenzuhalten, dass es um ein Menschenleben geht. Bei jedem Patienten in der Psychiatrie muss ein Richter kommen, um zu prüfen, ob die Verwendung einer Fußmatte mit Alarmauslösung beim Betreten eine Freiheitseinschränkung ist. Jede Fußmatte muss durch einen individuellen Gerichtsbeschluss genehmigt werden. Umso mehr ist der Aufwand gerechtfertigt, einen Richter einzuschalten, wenn es um die Genehmigung einer Tötung geht.

Vorschlag 10

Alle Bemühungen, das Leben zu erhalten, sollten unterstützt werden. Es sollte ausgeschlossen werden, dass gegen Menschen, diedurch lebenserhaltende Maßnahmen ein Weiterleben eines Menschen ermöglichen, Schadenersatzforderungen geltend gemacht werden können.

Begründung

  • Der deutsche Bundesgerichtshof hat mit Urteil vom 2. April 2019 entschieden: "Das menschliche Leben ist ein höchstrangiges Rechtsgut und absolut erhaltungswürdig. Das Urteil über seinen Wert stehe keinem Dritten zu. Deshalb verbietet es sich, das Leben - auch ein leidensbehaftetes Weiterleben - als Schaden anzusehen [...]. Insbesondere dienen diese Pflichten [. . .] nicht dazu, den Erben das Vermögen des Patienten möglichst ungeschmälert zu erhalten."

  • Gerichtsverfahren, die die Beurteilung des Wertes eines Lebens zum Gegenstand haben und daraus Schadenersatzansprüche ableiten, wären damit ausgeschlossen.

Vorschlag 11

Eine Präambel sollte den Hinweis enthalten, dass die Beihilfe zum Suizid nicht zu einer normalen Form der Lebensbeendigung werden soll.

Begründung

  • Der Gesetzgeber soll darauf hinweisen, dass die Beihilfe zum Suizid insbesondere für alte und kranke Menschen nicht zu einer normalen Form der Lebensbeendigung werden soll, weiters, dass das Sterben und die Beihilfe dazu nicht zu einem lukrativen Geschäftszweig und auch nicht zu einem normalen Vorgang am Ende eines Lebens wie etwa das Verschreiben von Antibiotika-Medikamenten werden darf.

www.suizid-praevention.gv.at

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